„Ich habe das Schäm-Gen nicht“

SINÉAD O’CONNOR Die irische Songwriterin kommt für ein Konzert nach Berlin. Ein Gespräch über die Augenfarben ihrer Freunde, Kontaktanzeigen, die Hoffnung auf das Ende der Kirche – und die Lust an alten Songs

Mit dem von Prince geschriebenen „Nothing Compares 2 U“ landete Sinéad O’Connor 1990 einen Welthit. Für Schlagzeilen sorgte die irische Songwriterin auch sonst: Mal zerriss sie im US-Fernsehen provokativ ein Papstbild, in letzter Zeit machte sie mit ihrer turbulenten Männersuche von sich reden. Gerade hat sie ein tolles neues Album veröffentlicht, in dem sich ihr komplettes Seelenleben widerspiegelt. Beim Interview in einer Privatwohnung in Amsterdam erklärt die 45-Jährige bei einem Joint, wieso sie sich für nichts schämt. Ihr Berlinkonzert am 19. April sollte zuerst in der Passionskirche stattfinden, wegen starker Nachfrage wurde es ins Astra Kulturhaus verlegt.

INTERVIEW KATJA SCHWEMMERS

taz: Mrs O’Connor, was hat Sie zuletzt wütend gemacht?

Sinéad O’Connor: Ich hatte letzte Woche einen heftigen Streit mit einem Freund. Er meinte, ich sei verrückt, weil ich jemanden geheiratet habe, den ich erst wenige Wochen kannte.

Das denken aber viele!

Ja, und die können sich selbst ficken! Die wissen gar nicht, worüber sie reden. Die sollten sich lieber ihrem eigenen Wahnsinn widmen.

Hauptsache, Sie fühlen sich wohl in Ihrer Haut …

Ich bin glücklich und muss mich nicht erklären. Es nervt mich, als verrückte Sinéad behandelt zu werden. Das geht nun schon seit 25 Jahren so, und es wird langweilig. Ich sagte meinem Kumpel also: Ich muss den Mist von meinen Feinden tolerieren, aber bei meinen Freunden werde ich das nicht tun!

Haben Sie viele Freunde?

Einige. Die Väter meiner vier Kinder sind sehr gute Freunde, zwei davon ganz besonders: John Reynolds, der meine neue Platte produziert hat, und Frank Bonadio, der mich zu einigen der Songs inspirierte. Dann gibt es noch meine Therapeutin, die ist 70, sowie ihre lesbische Freundin. Und natürlich ist auch mein neuer Mann ein großartiger Freund. So kompliziert bin ich also gar nicht.

Nach der Blitzhochzeit im Dezember letzten Jahres kam nach sieben Tagen die Blitztrennung. Mittlerweile leben Sie wieder zusammen. Sind Sie immer so sprunghaft?

Ich bin nun mal ein spontaner Mensch! Die Tatsache, dass ich zuvor schon mehrmals verheiratet war und es nicht funktioniert hat, heißt ja nicht, dass es meine Schuld war, dass es so gekommen ist. Und es impliziert auch nicht, dass ich die Ehe nicht ernst nehme. Ich glaube an die Ehe unter den richtigen Umständen.

Im letzten Sommer haben Sie auf Ihrer Website Blogs veröffentlicht, in denen Sie nach einem Sex- und Ehepartner suchten – und das dann ja auch erfolgreich! Das dürfte allerdings nicht gerade geholfen haben, Ihr zweifelhaftes Image zu korrigieren.

Oh, ich hätte mich liebend gerne an eine Partneragentur gewandt, aber mir war klar, dass das dann sofort in den Zeitungen stehen würde. Deshalb nahm ich die Sache gleich selbst in die Hand. Das sorgte für Aufruhr. In meiner Heimat Irland war man offensichtlich geteilter Meinung darüber, ob es für Frauen okay ist, offen über Sex zu reden. Manche wollten mir sogar weismachen, ich wäre deshalb eine schlechte Mutter!

Aber peinlich ist Ihnen die Sache im Nachhinein auch nicht?

Ich besitze das Schäm-Gen nicht! Vielleicht würde ich so etwas wie Scham empfinden, wenn ich jemanden verletzt hätte oder Boss einer Institution wäre, in der meine Angestellten Kinder missbrauchen. Aber so etwas habe ich ja nicht zu verantworten.

Was für Männer haben auf Ihre Kontaktanzeige geantwortet?

Männer jeglicher Couleur! Sowohl Rüpel als auch Gentlemen. Nur die Angsthasen, die haben nicht geschrieben. Ich plane jetzt sogar, ein Buch mit den Briefen der Männer zu veröffentlichen. Der denkwürdigste stammte von einem Amerikaner, der mit den Worten eröffnete: Hi, ich heiße John, und ich bin ein großartiger Arschrammler. – Herrje, so direkt zur Sache ging bei mir noch niemand! Aber irgendwie gefiel mir, dass er mir nicht die große Liebe vorgaukelte.

Aber Sie haben sich trotzdem für den Typ Süß entschieden?

Genau. Süß und dreckig, lautete die Anforderung. Männer müssen beides an sich haben. Mein Mann ist da absolut qualifiziert.

Der Eröffnungssong „4th And Vine“ klingt, als hätten Sie ihn über Ihre im Dezember vollzogene Vermählung geschrieben.

So glamourös wie in dem Lied stellt man sich eine Hochzeit in Las Vegas vor, nicht wahr? In dem Stück gebe ich quasi noch mal mein Jawort. Allerdings dem falschen Mann!

Wie das?

Als ich den Song geschrieben habe, ging ich noch mit einem Typen mit braunen Augen aus. Wir trennten uns, ich heiratete Frank, mit grünen Augen. Ich ging also ins Studio und änderte die Augenfarbe. Mein jetziger Ehemann hat blaue Augen. Vielleicht sollte ich noch eine Version mit Piepton aufnehmen?

Die Platte wirkt wie Ihr vertontes Tagebuch des letzten halben Jahres. Es liefert viele Einblicke in Ihr Seelenleben.

Das finde ich selbst erstaunlich, denn die Songs sind in den Jahren 2007 bis 2009 entstanden. Lieder werden oftmals zur Realität im echten Leben – das war mir immer schon bewusst. Songs sind wie sich selbst erfüllende Prophezeiungen. Man muss also aufpassen, welche Songs man sich in sein Leben schreibt. Ich selbst betrachte das Album als eine Wiedergeburt.

Inwiefern?

Ich mag die Idee, dass du wiedergeboren wirst und jederzeit ein ganz neues Leben anfangen kannst. Und ich mag das an der Musik, dass sie unglaubliche Dinge im Leben passieren lässt. Musik ist mächtig und magisch.

Sie haben Musik auch gerne dazu eingesetzt, um Ihre Meinung auf provokante Weise kundzutun. 1992 haben Sie ein Bild von Papst Johannes Paul II. bei einem Auftritt im US-Fernsehen zerrissen, um auf Kindesmissbrauch in der Kirche aufmerksam zu machen.

Ich tat das einzig Richtige! Religion und Gott sind zwei verschiedene Dinge. Ich bin sehr leidenschaftlich, was Gott betrifft. Aber der Vatikan verhält sich so, dass man annehmen könnte, sie würden überhaupt nicht an den Heiligen Geist glauben! Das macht mir Angst: dass da Leute in die Kirche rennen, die eigentlich gar nicht an Gott glauben.

Was würden Sie dem Papst sagen, wenn Sie ihn kurz sprechen könnten?

Es ist sinnlos, jemandem etwas zu sagen, der überhaupt nicht daran interessiert ist, was du ihm zu sagen hast. Das ist auch das, was ich meinen Freunden sage, die Missbrauchsopfer sind. Es ist Zeitverschwendung. Opfer werden nur traumatisierter, wenn sie sich einer Kirche nähern; wenn sie dorthin zurückkehren und von den Schändern anderes Benehmen erwarten. Der Vatikan bietet diesen Schutz. Wir werden also nie kriegen, was uns zusteht. Nachdem ich zu dieser Einsicht gekommen bin, glaube ich nun, dass Gott sich um uns kümmern wird.

Das Problem wird also auf höherer Ebene gelöst?

Ja, so sehe ich das. Das Ende der Kirche steht sowieso bevor. Ich bin mir sehr sicher, dass es sie in zehn Jahren in Irland nicht mehr geben wird. Das sagen selbst Leute aus ihren eigenen Reihen.

Sie glauben nicht an das Konzept, dass Religion in die Kirche gehört?

Nicht zwingend, um eine Beziehung zu Gott zu haben. Ich sehe Jesus als einen antireligiösen Charakter. Und wenn ich das Evangelium studiere, bestätigt mich das nur darin. Aber die Kirche bietet auch Nützliches: Es ist schön, einen Platz zu haben, wo du von der Straße her mit nur einem Schritt in die spirituelle Welt eintauchen kannst. Es ist schön, eine Art Community-Feeling zu haben.

Singen Sie Ihren Hit „Nothing Compares 2 U“ noch gerne bei Konzerten?

Ich liebe es sogar! Ich denke dabei immer an meine Mutter. Leider starb sie, als ich 17 war. Sie war keine glückliche Seele, deshalb war es vermutlich eher ein Segen für sie. Ich habe das Gefühl, dass ich durch den Song mit ihr kommuniziere – ihr Liebe übermittle. Also singe ich es für sie, wo auch immer sie ist. Es ist schön, dass der Song aus den unterschiedlichsten Gründen so vielen Menschen so viel bedeutet und ich ihn teilen kann.

Und Abnutzungserscheinungen haben die älteren Stücke für Sie nicht?

Nein! Ich werde richtig Spaß an ihnen haben. Es wäre doch mies, die alten Songs nicht zu spielen, denn die wollen die Leute doch hören. Das wäre sonst wie Sex, ohne die Klitoris zu finden.

Sex ist ein Thema, das Sie schon sehr beschäftigt, oder?

Ich finde gut, Dinge akkurat zu beschreiben. Ein Leben ohne Sex würde mich sehr depressiv machen.

■ CD: Sinéad O’Connor: „How About I Be Me (And You Be You)?“ (One Little Indian/Rough Trade)

■ 19. 4., Berlin, Astra Kulturhaus, Revaler Straße 99. Es gibt noch Karten