„Lohnarbeit ist Sklaverei“

FAULENZER Auch Jesus hatte keinen Job, sagt Kultautor Tom Hodgkinson im Gespräch über seine schwierige Mission für den Müßiggang

■ Der Brite gab vor zwanzig Jahren seinen gut bezahlten Job bei einer englischen Tageszeitung auf, um 1993 die Zeitschrift The Idler (Der Faulenzer) zu gründen. Er schrieb 2004 den Weltbestseller „Anleitung zum Müßiggang“ und zog mit seiner Familie aufs Land. 2011 gründete der 44-Jährige in London die Idler Academy, ein Kulturzentrum mit Bibliothek und Café.

INTERVIEW SÖREN SIEG

taz: Mr Hodgkinson, Sie sind schwer zu erreichen.

Tom Hodgkinson: Ja, ich habe gestern noch in Frankreich einen Vortrag gehalten und zehn Songs zur Ukulele vorgetragen. Natürlich über Faulheit.

Ist es nicht merkwürdig, so hart dafür zu arbeiten, dass andere Leute nicht mehr hart arbeiten? Ja, das fragt man mich, seit ich 1993 die Zeitschrift The Idler (Der Faulenzer) gegründet habe. Das war auch sehr viel Arbeit für sehr wenig Geld. So wie meine Faulenzerakademie hier. Ich träume davon, vom Buchhandel zu leben. Aber in Zeiten von Amazon ist das fast unmöglich. Auch das Café und die Kurse bringen fast nichts ein. Ich konnte 2011 nur durch einen Buchauftrag von einer Firma überleben, die Elektroautos herstellt.

Warum tun Sie sich diesen Stress an?

Das frage ich mich auch. Es ist verrückt. Aber auch ein großes Missverständnis. Beim Müßiggang geht es nicht um ein angenehmes Leben. Nicht mal um ein leichtes Leben. Vielleicht ist dein Leben sehr hart, und du hast kein Geld. Aber du bist frei. Du tust, was dir Spaß macht. Darum geht es, das hat schon Sokrates gelehrt. Auch Jesus hatte keinen Job. Lohnarbeit ist Sklaverei.

Ihr Motto ist: „Never ever work!“ Muss das nicht zynisch klingen für all die Leute in Spanien und Griechenland, die gerade ihre Jobs verloren haben?

So ist der Kapitalismus. Wer sich mit ihm einlässt, kommt in ihm um. Ich habe immer gesagt: Verlasst euch nie auf euren Job. Euer Chef wird euch bei der ersten Gelegenheit feuern. Unternehmen kennen keine Moral. Deshalb geben wir hier auch Kurse für Existenzgründer. Schaffe dir deine eigene Geldquelle!

Ich habe immer sehr viel gearbeitet. Und dann lese ich in Ihrem Buch: Du hättest lieber im Bett bleiben und weiterschlafen sollen!

Na ja, ich bin Anarchist, ich sage niemandem, was er tun soll. Aber es gibt in unserer Kultur nur noch eine einzige Einstellung zur Arbeit. Und das ist falsch. Es ist genauso gut, im Bett liegen zu bleiben wie zur Arbeit zu gehen. Faulheit ist menschlich – und produktiv. Denken Sie an John Lennon. Er war sehr faul. Und sehr produktiv. Im Mittelalter wurden Leute verachtet, die zu viel gearbeitet haben. Das ist uns völlig verloren gegangen.

Vor der Reformation war alles besser?

Vieles. Es wurde weniger gearbeitet und mehr gefeiert. Es war verboten, nachts zu arbeiten oder an den zahllosen Feiertagen. Bettler waren heilig, keine Parasiten. Und dann kam Calvin mit seiner Arbeitsmoral. Damit begann das ganze Elend.

Sie loben den Buddhismus. Ist nicht auch den Buddhisten Disziplin extrem wichtig?

Na ja, inzwischen stehen meine Texte in buddhistischen Lehrbüchern. Muslime sagen mir, ich sei ein Sufi. Eigentlich bin ich ein mittelalterlicher Christ. Aber inzwischen möchte ich ein römischer Stoiker sein: Lerne das Leben zu ertragen.

Mr Hodgkinson, Sie empfehlen, man solle seinen Wecker wegwerfen. Wie soll das mit Kindern und Job funktionieren?

Ich habe 15 Jahre ohne Wecker gelebt. Aber ich muss beichten: Heute morgen um halb sieben ging mein Wecker. Manchmal muss man auch die eigenen Regeln brechen. Im Moment ist einfach höllisch viel zu tun.

Muss man nicht in die Südsee auswandern, um unserer Arbeitsmoral zu entkommen?

Ich glaube nicht. Man würde sich langweilen und unendlich fremd fühlen. Ich bin ausgestiegen, indem ich mir ein Bauernhaus in Südengland gemietet und Gemüse angepflanzt habe.

Für den Müßiggang empfehlen Sie das Leben auf dem Land, aber ist die Kulturlosigkeit dort nicht schrecklich?

Sie ist schrecklich. Einer meiner Nachbarn war noch nie in London. Und mein großer Sohn wollte immer zurück in die Stadt, seit er zwei war. Es war ein Schock, als ich nach zehn Jahren auf dem Land meinen Buchladen in London aufmachte. Ich stellte fest: Mit den Leuten, die hier reinkommen, verstehe ich mich auf Anhieb. Ich war auch in einer Anti-Flughafen-Kampagne, bis mir klar wurde: Hallo, Tom, du fliegst gerne nach Berlin oder Paris. Was machst du dann hier?

In ihrem Buch „Leitfaden für faule Eltern“ schreiben Sie: „Das Hauptproblem mit unserer Kleinfamilie ist, dass sie einfach zu klein ist.“ Diese Enge löse Stress aus. Gibt es einen Weg zurück zur mittelalterlichen Großfamilie?

Leider habe ich herausgefunden, dass die Familien im Mittelalter genauso klein waren wie unsere.

Wie bitte?

Nicht auf dem Land. Aber in der Stadt. In Florenz um 1350 hätten wir dasselbe Gespräch geführt wie jetzt. Ich dachte auch, in Südamerika würde das Paradies der Großfamilie andauern. Bis mir ein Journalist aus Paraguay erzählte, dort hätten sie auch alle nur zwei oder drei Kinder. Es ist ein globales Problem.

Und wie schaut es mit dem Sex in der Ehe aus, wenn man eine Kleinfamilie hat?

Darüber denke ich jetzt seit zehn Jahren nach. Frauen können mal so eben vier, fünf Jahre ohne Sex auskommen. Wir nicht. Und dann schauen wir uns um. Mit schlechtem Gewissen.

Und haben Affären.

Frauen haben auch Affären. Sie können sie nur besser verheimlichen. Und haben kein schlechtes Gewissen dabei.

Ist die Ehe eine Fehlkonstruktion?

Absolut. Wir erwarten viel zu viel. Die Griechen unterschieden vier Arten von Liebe: eros, die Leidenschaft; ludus, spielerische Liebe; pragma, gemeinsame Arbeit; und philia, geschwisterliche Freundschaft.

Und unsere Ehe soll alle vier enthalten?

Genau. Das kann nicht klappen. Ich kenne keine einzige glückliche Ehe. Im Mittelalter war Prostitution eine akzeptierte Lösung.

Nicht nur damals. Noch der Filmemacher Luis Buñuel hat offen von den Bordellen Madrids in den zwanziger Jahren geschwärmt.

Das ist heute das größte Tabu überhaupt. Damit machen wir uns das Leben unnötig schwer. Aber Eifersucht ist ein mächtiges Gefühl.

Großer Themenschwenk: Sie sind Schriftsteller, was halten Sie davon, im Netz solle alles umsonst sein?

Die Nerds, die das fordern, haben selber hoch bezahlte Jobs als Webdesigner. Und erwarten, dass wir Künstler umsonst arbeiten. Es ist grotesk. Diese Typen geben sich libertär, aber eigentlich sind sie bloß Parasiten.

Lässt sich dieser Prozess noch aufhalten?

Na ja, historisch gesehen ist das Urheberrecht sehr jung. Der englische Schriftsteller Samuel Johnson bekam regelmäßig Geld vom englischen König. Voltaire war Aktienhändler. In Zukunft werden wir wohl vom Sponsoring leben müssen. Und von Liveauftritten.

Zuletzt noch eine Frage meiner 13-jährigen Tochter: Was waren die glücklichsten Momente Ihres Lebens?

Sex, Trinken, Schreiben, Reden. Manchmal hatte ich auch nach drei Stunden Tanzen ein tiefes Glücksgefühl. Oder mit meinen Kindern. Am besten ist das Lesen, weil man es – anders als Sex oder Trinken – den ganzen Tag machen kann, sein Leben lang. Aber das ist eine gute Frage. Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt noch an Glück glaube. Es gibt kein irdisches Paradies. Es wird nie eins geben. Dein bester Freund kann morgen sterben, und dein Leben ist zerstört. Das ist mir vor 15 Jahren passiert. Früher dachte ich auch, meine Bücher würden eine Revolution auslösen. Leider ist sie ausgeblieben.

Sören Sieg, 45, freier Autor und Komponist aus Hamburg, taz-Genosse seit 2009. Im Juni erscheint sein Roman „Superdaddy“ (14,99 Euro) im List-Verlag. Sieg ist für dieses Interview extra nach London geflogen