Papa halt

Kinder ja oder nein? Galt es bislang als Privileg der Singles, das Leiden an sich und den Umständen in Erfolg umzumünzen, betätigen sich nun einige Schriftsteller als Analytiker eines neuen Bewusstseins: Was heißt das eigentlich, Vater zu sein?

Modick möchte die Befreiungsrhetoriken in ein Plädoyer für ein neues Wir-Gefühl umpolen

VON JAN ENGELMANN

Die Häuserwände durchzuckt der Puls der Zeit. Wo neulich noch krakelige Tags eine Politik des Eigennamens forderten, sind nun vermehrt Gemeinschaftsappelle zu lesen. Eine „familienfreundliche Republik“ verspricht die Noch-Bundesregierung auf großflächigen Plakaten, als hätte das olle Gedöns jetzt noch eine Chance gegen die Endspielträume einsamer alter Männer. Ob es Gerhard Schröder wirklich darauf angelegt hat, demnächst mehr Zeit mit seiner Adoptivtochter Viktoria zu verbringen? Eine Frage, die künftige Forschergenerationen interessieren dürfte.

Damit es aber überhaupt so weit kommen kann, müssen wir uns um unsere Reproduktion kümmern. Die öffentlichen Aufrufe, doch bitte im Namen des Volkes zu gebären, haben Kinderlose in die Defensive gebracht. In den Wohlfühlwelten der Hochglanzmagazine werden royale Schwangerschaften zelebriert, als hinge davon der Bestand der Demokratie ab. Boris Becker darf bei Kerner den aufopferungsbereiten, zwangsflexibilisierten Jet-Set-Vater geben und tennisspielende Schriftsteller ihre nägelkauende Schirrmacher-Lektüre zu ätzender Kritik verarbeiten. Das klingt dann so:

„Ein Bekannter, liiert mit einer Dreißigjährigen, wird nach zwanzigjähriger Erholungspause wieder mal Vater. Der Mann ist fünfundsechzig. Im Hinblick auf die demographische Entwicklung und den Notstand der Sozialsysteme eine lobenswerte Leistung. Das Kind freilich wird einen Opa zum Vater haben, und wenn es heiratet, einen Greis. Oder einen Toten.“

Der Mann hat gut reden, schließlich hat er selbst alles richtig gemacht: die passende Frau zur passenden Zeit; das schnelle Einvernehmen, zusammen Kinder großzuziehen; der Beruf des freien Schriftstellers als zwar finanziell ungesicherte, dafür aber selbstbestimmte Möglichkeit, die familiäre Enge hin und wieder zu überschreiten. Und sei es nur in der Fantasie. Man muss sich Klaus Modick als einen glücklichen Menschen vorstellen. In seinem jüngst erschienenen „Vatertagebuch“ (Eichborn Verlag, 448 Seiten, 24,90 Euro), das die aktuelle Kinderdebatte in einem sehr privaten Umfeld reflektiert, wird schonungslos Bilanz gezogen. War ich ein guter Vater? Wie sehen mich die beiden fast erwachsenen Töchter heute? Was bleibt, after all these years?

Zumindest hat sich die bange Vorstellung, Kinder seien „eine permanente Kreativitätsbremse, fleischgewordene, unruhestiftende Schreibblockaden“, als unbegründet erwiesen. Die vielen Sachzwänge, die großen und kleinen Konfusionen, die Kinder so mit sich bringen, hat Modick zu genießen gelernt, als wunschloses Glück. Hier offenbart sich einer, der „die leere Ordnung der Kinderlosigkeit“ um keinen Preis gegen die familiäre Geborgenheit eintauschen will, ein geläuterter 68er, der das wärmende Gefühl der Intimität, jenes „unwachsame Vertrauen des gemeinsamen Lebens“ (Adorno), in vollen Zügen auskostet.

Das klingt wertekonservativ, soll es wohl auch. Modick erkennt im populären Pro und Contra zum Kinderkriegen längst Züge eines Kulturkampfes, neurotische Fixierungen und Intoleranzen, die auf lange Sicht zum sozialen Sprengsatz würden: „Indem Leute mit Kindern sich eher untereinander anfreunden als mit kinderlosen und kinderlose Leute ihrerseits dazu neigen, unter sich zu bleiben, weil ähnliche Erfahrungsmuster verbinden, Identifikation ermöglichen und Nähe schaffen, entsteht in der Gesellschaft eine unsichtbare, aber folgenschwere Spaltung.“

Beim staunenden Lesen gewinnt man den Eindruck, als habe sich da einer mal zum Ziel gesetzt, den Spieß umzudrehen, die etwas schal gewordenen Befreiungsrhetoriken umzupolen in ein flammendes Plädoyer für ein neues Wir-Gefühl und Familienbande. Galt es bislang als Privileg der Singles, das Leiden an sich und den Umständen in beruflichen Erfolg umzumünzen, so käme es heute darauf an, die gesellschaftliche Anerkennung für Familien zu verbessern. Denn die „Wichtigtuerei des Individuums“ – die Modick freilich als künstlerischen Antrieb selber kennt – führe in letzter Konsequenz zu einer „Form gesellschaftlicher Impotenz“.

Mit diesem Outing als Familienfundi setzt der Autor eine Zäsur in der väterlichen Erbauungsliteratur, die in den letzten Jahren zunehmend grassierte. Während etwa Hanns-Josef Ortheil („Lo und Lu“) vorrangig daran gelegen war, Gummistiefelmatsch in pastellige Farben zu tauchen, ist Modicks Apologie der Vaterschaft ungleich ehrlicher und schonungsloser. Dass selbst eine sozialtechnische Kopfgeburt wie das einkommensabhängige Elterngeld zu einem Gegenstand seines offenherzigen Diariums werden kann, zeigt, wie sehr der Daddy-Diskurs mittlerweile auf naiv-romantische Einfärbungen verzichten kann und an den politischen Zeitgeist angedockt hat.

Noch 1981, als Peter Handke seine „Kindergeschichte“ veröffentlichte, war die skeptische und zugleich liebevolle Haltung, mit der er als Alleinerziehender die ersten zehn Lebensjahre von Töchterchen Amina beschrieb, ziemlich irritierend. Der neue Mann, den das Land, vor allem aber die Frauen brauchten, hatte keinerlei Beifallsstürme für seine Befindlichkeitserkundungen zu erwarten. Im Jahrzehnt der radikalen Individualisierung zählte allein der intellektuell und stilistisch überlegene Selbstentwurf, nicht etwa die Wahrhaftigkeit einer von Zweifeln durchsetzten Introspektion. Daddy cool? Von wegen.

In der Rückschau muss man sagen, dass Peter Handke seiner Zeit voraus gewesen ist. Denn ähnliche Erweckungserlebnisse sollten noch ganz andere haben. Durs Grünbeins Tochter-Tagebuch „Das erste Jahr“ bezog seinen Reiz vor allem aus der Spannung, das väterliche Staunen über die neue Unordnung der Dinge möglichst kitschfrei zu transportieren, ohne sofort wieder einer Intellektualisierung – und damit: Distanzierung – bezichtigt zu werden. So ganz ohne Pathos ging dieses Unterfangen freilich nicht ab; schließlich musste neben dem Wickeln auch noch die Rettung der Gegenwartsliteratur bewerkstelligt werden.

Während Autoren ihr Sorgerecht als Sensationsmeldung an die Leserschaft weitergaben, wurden die neuen Väter auch zum Lieblingsobjekt der Psychologen geadelt. In jüngeren Publikationen geht es immer häufiger um die Stärkung der Vater-Kind-Beziehung und damit einen neuen Rollenentwurf, der die Gleichgültigkeit postmoderner Hedonisten hinter sich lässt. Demnach soll der männliche Erziehungsberechtigte seine Geschlechterrolle nun wieder souverän ausspielen und dabei möglichst sanft und strikt zugleich sein. Klingt hübsch in der Theorie, in der Praxis wird diese runderneuerte Richtlinienkompetenz wahlweise als „Lufthoheit über die Kinderbetten“ (Olaf Scholz) oder „Rückzüchtung der Form“ (Joachim Bessing) begrüßt. Doch braucht die kein Vater, höchstens ein böser Onkel. Was also läge näher, als sich vom paternalen Leitbild ästhetisch zu distanzieren?

Die Publikumserfolge in der Popliteratur, wie beispielsweise „Herr Lehmann“ von Sven Regener oder „Die Jugend von heute“ von Joachim Lottmann, propagierten konsequenterweise ein Modell von Männlichkeit, das jegliche Fortpflanzungsambitionen als geradezu grotesk erscheinen ließ: Herr Lehmann als ewig adoleszenter Durchhänger, dessen reproduktiver Lethargie weder mit Zeugungspatriotismus noch mit irgendeinem anderen kollektiven Wahn beizukommen wäre; Lottmanns Alter Ego als onkelhafter Hipster, der die gewollte Kinderlosigkeit mit ständigen Ausflügen in die Jugendkultur kompensiert. Allein, diese Typen schienen um ein Vielfaches glaubwürdiger zu sein als etwa der einfühlsame Vorzeigevater aus Axel Hackes SZ-Kolumnen, der seinem putzigen Spross selbst die mutwillige Zerstörung der japanischen Import-CD-Sammlung milde nachsehen würde. Zwar weiß man ja aus eigener Erfahrung, dass der real shit zwischen Kita und KiKa etwas anders aussieht, doch für dessen unbarmherzige Schilderung ist nun mal kein kulturelles Kapital ausgelobt.

Frauen haben es zumindest an diesem Punkt leichter. Sie verfügen über mediale Vor-Bilder, an die sich halten können, Projektionsflächen, die ihnen Mutterschaft als genau das anstrengende Abenteuer verkaufen, das es nun mal ist. Auf männlicher Seite klafft dagegen noch ein großes Vakuum. Was heißt das eigentlich, Vater zu sein? Wie fühlt es sich an? Gibt es dafür gar eine Art Gebrauchsanweisung, die man im Bedarfsfall zücken kann?

Nein, die gibt es nicht. Aber es gibt, siehe das „Vatertagebuch“, zunehmend gelungene Versuche, eine dichte Beschreibung dessen zu liefern, was sich dem Blick von Kinderlosen oder Noch-nicht-Eltern entzieht, entziehen muss. Was es beispielsweise heißt, lange geglaubte Gewissheiten plötzlich über Bord zu werfen. Was es heißt, seine eigene Unentbehrlichkeit zu erfahren. Was in letzter Konsequenz auch heißen kann, mit seiner Situation zwar dann und wann zu hadern, insgesamt aber „vertöchtert“ (Modick) zu sein. Prima, endlich kann man wieder wählen.