Die Kür der Fremdheit

Manche Menschen sind eben anders anders als andere Menschen: Der Journalist Ömer Erzeren denkt über den deutsch-türkischen Dialog hinaus

VON IRIS HANIKA

Seit 1992 führt die Hamburger Körber-Stiftung einen „Deutsch-Türkischen Dialog“; im letzten Jahr sattelte sie noch eins drauf und veranstaltete ein Symposion mit dem Titel „Vielfalt als Chance – ‚Diversity‘ als Konzept für Deutschland und die Türkei“. Offenbar in diesem Rahmen ist das in der Edition der Stiftung erschienene Buch von Ömer Erzeren entstanden. Sein Titel macht gleich deutlich, worum es geht: „Eisbein in Alanya“.

Ömer Erzeren ist als Kind türkischer Eltern in Deutschland aufgewachsen. Als junger Mann übersiedelte er nach Istanbul, wo er viele Jahre Korrespondent für deutsche Zeitungen, darunter die taz, war. Heute ist er freier Autor. Er lebt in Berlin und in Istanbul, wo er die Stadtgeschichte erforscht. Weil er also quasi selbst schon ein deutsch-türkischer Dialog ist, ließ er diesen beiseite und konzentrierte sich statt dessen auf die „Diversity“, wobei er allerdings den viel schöneren deutschen Begriff in den Untertitel geschrieben hat. Um die Vielfalt menschlicher Lebensformen geht es ihm, nicht um ihre Diversifikation.

„Anders sein“ ist Ömer Erzerens Thema, und „Fremd sein“ ist dabei nur ein Aspekt von vielen. So eröffnet er seine Porträts mit einem Rundgang durch Alanya, wo sich eine so große deutsche Gemeinde gebildet hat, dass es schon zwei deutsche Zeitungen gibt. Schon in diesem überschaubaren Rahmen ist zu erkennen, wie verschieden die Leute sind, denn die einen Deutschen in Alanya erzählen sich gerne, dass alle Türken betrügen, während die anderen sich von diesen fern halten und selbstverständlich als erstes Türkisch gelernt haben, als sie in die Türkei zogen. Die Türken sagen dafür über die Deutschen, dass die immer so misstrauisch seien, während der Alanya-Bote von einem aus Deutschland zurückgekehrten Türken gemacht wird, den es dorthin zog, wo die Deutschen sind. Folgt die Geschichte von dem als Flüchtling nach Berlin gekommenen Türken, der seit zwanzig Jahren vor allem Ausgrenzung und Fremdenhass erlebt.

Damit hat Ömer Erzeren das Pflichtprogramm an Dialog erledigt. Es folgt die Kür, die viel interessanter ist, weil es da nur noch um einzelne Menschen geht, die sich alle durch irgendetwas auszeichnen. Sie sind behindert, religiös, kurdisch, homosexuell, dick oder alt und leben in Deutschland oder der Türkei. Die Dicken scheinen es Ömer Erzeren besonders angetan zu haben, denn unter der Überschrift „Anders sein“ stellt er noch einmal dicke Leute vor: eine Mutter mit Tochter aus Brandenburg, die in ihrer sozialen wie geistigen Unterschichtigkeit zu dem Schluss gelangt sind, dass ihr größter Fehler wohl der ist, überhaupt auf der Welt zu sein, während ein nicht weniger unterschichtiger, dabei aber noch viel dickerer Mann aus Istanbul durch seinen Frohsinn besticht.

Wo oder wie es besser ist, kann man am Ende nicht sagen, sondern nur, dass die Leute halt verschieden sind und es sowieso überall anders ist.

Pädagogisch wertvoll gemacht wird das Buch leider durch „Info-Telegramme“ der Körber-Stiftung, die zwischen den einzelnen Kapiteln stehen und aus denen man allerhand Wissenswertes über die jeweilige Situation von Fremden, Behinderten, Religiösen usw. in der Türkei und in Deutschland erfährt.

Abschließend gibt es einen Essay von Thomas Schmid, dem Leiter des Politikressorts der Sonntags-FAZ, der in klaren Worten darlegt, warum die Idee von der Multikulturalität nicht funktioniert und wie dafür eine „Politik der Vielfalt“ aussehen müsste, in der jeder anders sein könnte, ohne dabei den anders anderen die Köpfe einzuschlagen: „Gerade dann, wenn der demos etwas zu sagen hat, kommt es darauf an, dass die Regeln des zivilen Zusammenlebens eiserne Gültigkeit haben und auch durchgesetzt werden. Ein Staat, der einer Politik der Vielfalt huldigt, muss ein starker Staat sein.“

Im Grimmschen Wörterbuch heißt es zum Begriff „Vielfalt“: „das wort hat sich nicht eingebürgert; wenn es gebraucht wird, ist es wohl immer durch einfalt, wenigstens in gedanken gestützt.“ Ömer Erzerens Porträts und der Essay von Thomas Schmid aber zeigen, dass man inzwischen mit Einfalt nicht mehr weit kommt, wenn es um die Vielfalt geht. Indes hätte man sich gewünscht, dass die verschiedenen Textsorten – Porträts, Essay, „Info-Telegramme“ – in verschiedenen Büchern stünden, denn durch die Text-Diversity entsteht hier keine Vielfalt, sondern es heben sich die verschiedenen Herangehensweisen an diese Eigentümlichkeit des menschlichen Daseins, dass es vielfältig ist, gegenseitig auf. Oder man betrachtet es positiv und freut sich darüber, dass man drei Bücher in einem geboten kriegt.

Ömer Erzeren: „Eisbein in Alanya“. Edition Körber-Stiftung, Hamburg 2004, 225 Seiten, 14 Euro