Union gegen Grundgesetzänderung: Verfassungsgericht bleibt verwundbar
Das Grundgesetz sollte geändert werden, um eine Ausschaltung von Karlsruhe zu verhindern. Die Union macht auch hier nicht mehr mit.
Die CDU/CSU hat die Gespräche über einen besseren Schutz des Bundesverfassungsgerichts platzen lassen. Ohne die Union ist die geplante Grundgesetzänderung aber nicht möglich. Vertreter:innen der Bundesregierung und der Ampelkoalition zeigten sich entsetzt und enttäuscht.
Mit der Grundgesetzänderung sollte verhindert werden, dass eine etwaige künftige extremistische Mehrheit im Bundestag zunächst das Bundesverfassungsgericht ausschaltet, um ungestört ihre verfassungsfeindliche Politik durchsetzen zu können.
Wenn etwa die AfD gemeinsam mit dem Wagenknecht-Bündnis BSW eine Mehrheit im Bundestag hätte, dann könnten sie die Altersgrenze für Verfassungsrichter:innen von 68 auf 60 absenken und für die freiwerdenden Plätze die Wahl mit einfacher Mehrheit statt mit Zwei-Drittel-Mehrheit einführen. Bald wäre Karlsruhe auf Linie gebracht.
Viele Regeln, die bisher nur im Verfassungsgerichts-Gesetz enthalten sind, sollen daher ins Grundgesetz aufgenommen werden, damit sie künftig nur noch mit Zwei-Drittel-Mehrheit geändert werden können. Dazu gehört etwa die Wahl der Verfassungsrichter:innen mit Zwei-Drittel-Mehrheit und die Altersgrenze von 68 Jahren.
„Derzeit keine zwingende Notwendigkeit“
Die Justizminister:innen von Niedersachsen (Kathrin Wahlmann, SPD), Hamburg (Anna Gallina, Grüne) und Bayern (Georg Eisenreich, CSU) sprachen sich Anfang Februar gemeinsam für eine Grundgesetzänderung aus. Inzwischen gibt es auch schon einen konkreten Gesetzentwurf für die Grundgesetzänderung, den eine Arbeitsgruppe der Bundesländer erarbeitet hat. Darin ist auch eine Regelung vorgesehen, die Wahlblockaden verhindern soll. Falls die AfD im nächsten Bundestag mehr als ein Drittel der Sitze innehaben sollte, könnte sie die Wahl von Verfassungsrichter:innen im Bundestag verhindern. Laut Länder-Entwurf soll dann jedoch die Wahl im Bundesrat stattfinden.
Auch im Bundestag arbeitet seit einigen Wochen eine Gruppe von Rechtspolitiker:innen an einer Grundgesetzänderung. Mit dabei waren die Unions-Politiker:innen Ansgar Heveling (CDU) und Andrea Lindholz (CSU). Aus diesen Gesprächen stieg die Union nun aber aus. Dies hat die Fraktionsspitze um Friedrich Merz (CDU) und Alexander Dobrindt (CSU) beschlossen. Öffentlich mitgeteilt hat dies am Donnerstag Fraktionsvize Andrea Lindholz über die Rheinische Post. Es gebe „derzeit keine zwingende Notwendigkeit“ für eine Grundgesetzänderung. Diese habe „nicht nur Vorteile“. Konkreter wurde sie nicht.
Justizminister Marco Buschmann (FDP) sagte, er bedaure den Ausstieg der Union sehr, seine Hand bleibe aber ausgestreckt. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte: „In diesen Zeiten braucht es staatspolitische Verantwortung statt Fundamentalopposition.“ Der grüne Fraktionsvize Konstantin von Notz kritisierte: „In einer extrem angespannten Situation das Schutzniveau für das Bundesverfassungsgericht nicht zu erhöhen, ist politisch entweder naiv oder in höchstem Maße fahrlässig.“
Fraktionsspitze setzte sich über Fachpolitiker:innen hinweg
Für Verwirrung sorgte, dass am Donnerstag in der FAZ-Juristenplattform „Einspruch“ ein Beitrag der beiden Rechtspolitiker Martin Plum (CDU) und Volker Ullrich (CSU) erschien. Sie plädierten dabei nicht für einen Abbruch, sondern für eine Ausweitung der Gespräche über Grundgesetzänderungen.
Neben dem Schutz des Bundesverfassungsgerichts sollten auch die Grundzüge des Wahlrechts im Grundgesetz verankert werden, damit sich eine eventuelle autoritäre Mehrheit das Wahlrecht nicht nach eigenen Bedürfnissen mit einfacher Mehrheit zurechtbiegen kann.
Nach Informationen der taz handelte es sich dabei aber um keine mit der Fraktion abgesprochene Initiative. Der Vorstoß von Plum und Ullrich zeigte eher, dass die Rechtspolitiker:innen der Union durchaus bereit sind, über Grundgesetzänderungen zum Schutz der Demokratie zu diskutieren und sich die Fraktionsspitze aus machtpolitischen Gründen über die Fachpolitiker:innen hinweggesetzt hat.
Am Freitagnachmittag sah CDU-Chef Friedrich Merz anscheinend ein, dass er sich ins Abseits manövriert hatte. Wenn es geeignete Vorschläge gebe, das Bundesverfassungsgericht besser zu schützen, sei er „selbstverständlich für eine Diskussion offen“.
Leser*innenkommentare
Matt Gekachelt
Was will Opa Friedrich denn noch? Wenn er die Notwendigkeit sieht, die Af D zu stoppen, ist es zu spät.
Typische rückwärtsgerichtete CDU FDP Politik.
Iguana
Merz will also nicht mehr an entsprechenden Entwürfen mitarbeiten, ist aber bereit, darüber zu diskutieren, wenn man ihm einen Entwurf vorlegt, den er gut findet. Wäre es da nicht sinnvoller, wenn die Union gleich in der Arbeitsgruppe bleibt und an einem Entwurf arbeitet, der ihnen vernünftig erscheint?
Einfach-Jemand
Ich möchte an dieser Stelle mal was los werden. Dem zuvor geschickt werden muss, dass ich weder Wähler, noch besonderer Sympatisant oder ähnliches von Frau Wagenknecht bin.
Aber:
Liebe TAZ, lieber Herr Rath – ich wüsste wirklich gerne wo dieser -schon vorsorgliche- Beißreflex gegenüber Frau Wagenknecht herkommt, dass ihr jetz hier sogar unterstellt wird mit der AFD -möglicherweise- das Grundgesetz zu ändern. Ich empfinde diese Berichterstattung als unernst, angesichts dessen, worum es hier geht. Ich kenne von Frau Wagenknecht ausnahmslos Äußerungen und Statements, die eine Zusammenarbeit mit der AFD Kategorisch ausschließen – etwas anderes zu suggerieren schießt im wahrsten Sinne des Wortes einfach nur am Ziel vorbei. Angesichts der Geschichte der Thüringer FDP – und des doch recht offensichtlichen Flirts von Teilen der Union mit der AFD ist es mir ernsthaft schleierhaft, wie die Gefahr einer drohenden Grundgesetzänderung zuallererst in Bezug auf das neue Bündnis von Frau Wagenkencht gesehen werden kann. Ich finde: Wer eine solche Sorge oder eine solche Unterstellung ausspricht, kann dies nicht nur einfach so tun, sondern muss auch etwas belastbares dahinter haben. Es handelt sich ja nicht um einen x-beliebigen Vorwurf...
Würde das nicht auch zu der demokratischen Kultur gehören, von der allenthalben zu lesen ist, dass sie gegen Frau Wagenknecht verteidigt werden müsse?
Philippo1000
Auch im Zusammenhang mit den Demos gegen die "afd"
sollte folgendes deutlich werden: FDP, SPD und Grüne arbeiten für die Demokratie, den Erhalt des Rechtsstasts und gegen Rechtsextremismus.
Die CDU " sieht hier keine (...)Notwendigkeit".
Das sollten sich auch mal Diejenigen vor Augen führen, die die Ampel gerne für Alles verantwortlich machen.
Die CDU kann offenbar nur Fundamentalopposition.
Dass ein Vorschlag zum Rechtsschutz der Justiz aus den Ländern kam und Meckermerzi die Verhandlungen abbricht, zeigt, dass Friedrich gerne Alleine die Entscheidungen fällt. Die Tatsache, dass sich die Partei ihre Arbeit einfach verbieten lässt, gibt Rückschlüsse auf die eher undemokratische Situation innerhalb der CDU.
Rabenbote
Provokant gesprochen könnte man Merz und Dobrindt auch unterstellen, dass sie sich eine blaue Tür für mögliche zukünftige Mehrheiten offen halten möchten.
Monomi
Merz ist offenbar der Ansicht :Von Trump lernen heißt Siegen lernen. Er macht in Totalblockade, in der Hoffnung auf das Kanzleramt.
Rudi Hamm
Das mit der 2/3 Mehrheit hat eine großen Haken
Wenn die Gegner von Regierungen 1/3+1 Stimme haben, kann sie die anderen 2/3-1 Stimme Mehrheit blockieren und es können keine neuen Richter mehr ernannt werden.
Es kann also auch für die Demokratie gefährlich sein, diese 2/3 Mehrheit einzubauen.
Iguana
@Rudi Hamm Im Artikel steht doch, dass der Entwurf, den die Arbeitsgruppe der Bundesländer erarbeitet hat, vorsieht, dass die Wahl dann im Bundesrat erfolgt. Es gibt also bereits einen Vorschlag, wie man das Problem lösen kann. Das Problem ist also bekannt und wird berücksichtigt.
Lowandorder
Ja wie? Friedrich der Friederich kein gar so arger Wüterich? Mach Bosse! Woll
Als ich die Headline überflog dachte ich ja glatt noch:
“Wem sein Opa kein Nazi! Dem steht auch braungesprenkeltes Beinkleid!“
👿 . 😈 - Däh
“Am Freitagnachmittag sah CDU-Chef Friedrich Merz anscheinend ein, dass er sich ins Abseits manövriert hatte. Wenn es geeignete Vorschläge gebe, das Bundesverfassungsgericht besser zu schützen, sei er „selbstverständlich für eine Diskussion offen“.
kurz - Ok Ok! But
“Doon issen Ding! Snakken kunnt wi all!“
Dann im voraus! Wollnich
Normal
Joachim Petrick
Schutz für Bundesverfassungsgericht durch Verankerung von 3/4 Bundestagsstimmen- , statt einfacher Mehrheit im Grundgesetz scheint plausibel. Gleichwohl begibt sich der Bundestag damit Teil seiner politischen Gestaltungsfähigkeit. Was zum Nachteil gerät, wenn die AfD länger in Regierungsverantwortung verweilen sollte, weil dann von AfD prekär geschaffen richterliche Amtszeit-, Personalentscheidungen im Bundesverfassungsgericht ungleich schwieriger zu heilen wären, wie wir es gerade mit denen der PiS in Polen nach deren verlorener Wahl erleben
Was allerdings bei allen Lippenbekenntnissen der Ampelkoalitionäre SPD, Grüne, FDP, die Demokratie schützen zu wollen, ins Auge sticht, dass sie das, was sie in eigener Regierungsverantwortung alleine könnten, anders als im Koalitionsvertrag 2021als Ziel hinterlegt, unterlassen, nämlich wie lange vom deutschen Richterbund, Europol, Interpol bisher vergeblich gefordert, das politische Weisungsrecht in ungebrochener Tradition seit Feudal-, wilhelminische r Kaiser-, Weimarer Republik-, NS-, geteilten Deutschland Hüben und Drüben Zeit bis heute beibehalten, abzuschaffen von Ministern in Bund, Ländern gegenüber Staatsanwaltschaften, BKA, Generalbundesanwalt, weil das AfD bei Regierungsbeteiligung bereits auf Landesebene erlaubt, in die Arbeit genannter und weiterer hoheitlich staatlicher Dienst nach ihrem Belieben legal zu intervenieren, ohne das überhaupt kenntlich machen zu müssen, gemäß nachwievor geltendem Gerichtsverfassungsgesetz.
„Paragraph 147 Gerichtsverfassungsgesetzes muss so abgeändert werden, dass jeglicher politischer Einfluss auf die Staatsanwaltschaften ausgeschlossen ist und Deutschland endlich auf die Höhe europäischer Justizstandards gebracht wird“, sagte Deutsche Richterbund (DRB)-Vorsitzender Jens Gnisa in Berlin 04.06.2019 zum Thema „Politisches Weisungsrecht abschaffen“
www.drb.de/newsroo...gsrecht-abschaffen
Matt Gekachelt
@Joachim Petrick Warum die Verfassungsrichter nicht per Los bestimmen. Im Topf sind alle Volljuristen, die auch für den Bundestag kandidieren dürften!
Karla Wagner
@Joachim Petrick Und genau deshalb ist es gut, wenn der Status Quo hinsichtlich des BVerfGe erstmal erhalten bleibt.
Auch in der Vergangenheit sind nicht alle Personalentscheidungen neutral und für den Bürger transparent anhand von qualifizierten Kriterien erfolgt. Siehe die Ernennung des Herrn Harbarth und die Abendessen im Kanzlerinnenamt vor wichtigen Entscheidungen.
Unangenehm.
Rabenbote
@Joachim Petrick Danke für das Teilen dieses interessanten Links :) Diese Problematik war mir bis eben noch nicht bekannt.