berliner szenen Kein Geschäftssinn

Im Bücherbogen

Das Pärchen ist Mitte 30, der Mann fragt den Buchhändler: „Ich habe angerufen, Sie haben von Ray Harryhausen ‚An Animated Life?‘“ Der Buchhändler bestätigt es, holt den voluminösen Bildband hervor. „Wie viel kostet der?“ „59 Euro.“ „Nicht gerade billig.“

Der Mann schwankt, ob er die Ausgabe tätigen soll oder nicht, schließlich bezahlt er, das Buch wird ihm in eine Tüte gepackt. Das Pärchen will den Laden verlassen, da sieht der Mann auf einem Tisch ein Buch mit einem Gemälde darauf, das eine nackte Frau mit umgelegter Riesenschlange zeigt.

Der Mann öffnet seine Fototasche, holt eine Spiegelreflexkamera hervor und beugt sich über das Buch, mit einem Blitz fotografiert er es. Eine andere Buchhändlerin wird aufmerksam und kommt heran: „Das geht hier nicht, dass Sie einfach aus einem Buch abfotografieren!“ Der Mann erwidert: „Schade, ich arbeite wissenschaftlich.“ Die Buchhändlerin bleibt dabei: „Nein, wenn Sie wenigstens einen Taler bezahlen würden!“ Der Mann führt an: „Ich habe doch gerade dieses Buch gekauft für 60 Euro, das ist doch ziemlich viel.“ Die Buchhändlerin findet das kein überzeugendes Argument: „Nein, trotzdem nicht, es gibt Leute, die fotografieren die Regale ab, weil sie eine Buchhandlung gründen wollen, das geht auch nicht.“ Der Mann glaubt eine Lösung gefunden zu haben: „Ich kann Ihnen ja einen Euro zahlen, ginge das?“

„Nein!“, sagt die Buchhändlerin. „Schade.“ Der Mann verlässt den Buchladen, sagt zu der Frau, die ihn begleitet: „Das ist Berlin, alle sind unfreundlich. Und es gibt für diese Unfreundlichkeit keine Erklärung, rein juristisch ist sie ja im Recht, aber als Mensch und Geschäftsfrau ist sie bescheuert.“ FALKO HENNIG