Der zweite Frühling der Plattenläden

MUSIK Am Samstag nahmen 16 Berliner Schallplattenläden am internationalen Record Store Day teil: Bis in die Nacht hinein gaben Musiker Konzerte, um den Geschäften auch als sozialen Dreh- und Angelpunkten für Musikfans zu huldigen

Menschen hören dem Konzert vom Bürgersteig aus zu, weil der Laden zu klein ist

Vinyl boomt – im vergangenen Jahr wurden so viele Schallplatten verkauft wie zuletzt 1994, heißt es aus dem Bundesverband Musikindustrie. Dennoch: Die Euphorie um den zweiten Frühling des lange totgesagten Mediums verdeckt, dass kleine, unabhängige Plattenläden oft auf der Strecke bleiben. Den Läden als sozialen Dreh- und Angelpunkten für Musikfanatikern wird allerdings seit 2007 jährlich gehuldigt: mit dem internationalen Record Store Day, an dem es Konzerte und exklusive Angebote in den Läden gibt. Mehr als hundert Geschäfte in Deutschland nahmen am Samstag daran teil, 16 davon in Berlin.

Angesagte Mikrogenres

In der Neuköllner Nogatstraße feierte Lird Records, ein Plattenladen, der zu einem Café gehört, sogar Eröffnung. Das Angebot ist winzig, aber überlegt ausgewählt – neben Psychedelic-Klassikern finden sich angesagte Mikrogenres wie Witch House oder Platten des kalifornischen HipHop-Kollektivs Odd Future. „Wir versuchen, Nischen abzudecken, in denen es in Berlin bisher nicht viel zu kaufen gibt“, sagt Besitzer Sam Aston. Im Café finden bis in die Nacht hinein Konzerte statt – vom Elektronik-Frickler bis zur Popband ist alles dabei. Vorerst aber genießen die Gäste noch ihre vegane Soja Latte in der Frühlingssonne.

Menschenansammlungen auf dem Bürgersteig, weil der Laden zu klein ist, gibt es derweil beim Konzert der Songwriterin Gemma Ray im Schöneberger Mr Dead and Mrs Free. „So ein Anblick ist eine echte Seltenheit geworden,“ sagt Volker Quante, der das Geschäft am Nollendorfplatz seit 1983 betreibt. Mr Dead and Mrs Free ist ein Plattenladen wie aus einem Nick-Hornby-Roman: Die Wände zieren alte Ausgaben britischer Musikmagazine und Poster von Nick Cave, die Kisten sind voll mit raren Indie- und Waveplatten.

„Unsere Kunden kommen gezielt zu uns, auf Laufkundschaft sind wir nicht angewiesen. Neben vielen Stammkunden sind auch viele junge Leute dabei“, sagt Quante.

Wenig Aufregung herrscht dagegen bei Spacehall in Kreuzberg – der Record Store Day scheint hier nur ein Tag wie jeder andere. Während sich Plattenläden zunehmend spezialisieren, setzt man bei Spacehall weiter auf ein möglichst breites Angebot von Reggae über Punk bis House und Techno. „Wir halten nicht viel von einem Plattenladen, der seinen Kunden vorschreibt, welche Platten sie zu kaufen haben“, heißt es von den Betreibern.

JULIAN JOCHMARING