HAMBURGER SZENE VON JAN KAHLCKE
: Die mit dem Tuch spricht

Es sieht aus, als habe sich die Frau von Kopf bis Fuß in eine orangefarbene Stoffbahn gewickelt, hauteng, so dass sie von ihren üppigen Rundungen fast mehr zeigt, als sie verhüllt. Darunter trägt sie senfgelbe Hosen. Sie könnte aus dem nördlichen Afrika kommen, Somalia vielleicht. Sie spricht die ganze Zeit. Eine von den vielen Durchgeknallten in der Stadt, die schon lange nicht mehr registrieren, ob da jemand ist, der ihnen zuhört, oder nicht?

Irgendwie glaube ich das nicht. Dafür fehlt ihr der irre oder wenigstens leere Blick. Dafür ist ihre Haltung zu stolz. Und ich kenne auch keine Afrikaner, die durchgeknallt sind. Passt irgendwie nicht. Woran das wohl liegt? Daran, dass sie ein festeres Wertesystem haben als wir verunsicherten Nordeuropäer? Stabilere Familien? Oder daran, dass nur die Härtesten unter ihnen es überhaupt nach Europa schaffen? Und ist das jetzt schon Rassismus, über so was überhaupt nachzudenken? Wahrscheinlich kenne ich einfach zu wenige Afrikaner in Hamburg, ist das statistische Sample so klein, dass eben zufällig kein Durchgeknallter darunter ist.

Die Frau ist inzwischen an mir vorbeigegangen. Ich sehe sie von der anderen Seite. Sie hat ein Handy unter dem straff sitzenden Kopftuch festgesteckt, in das sie spricht. Da sag noch mal einer, Kopftücher seien unpraktisch.