schurians runde welten
: Stoppt den Fußballfritz!

„Es gibt keine Ideologien mehr, für die es sich zu kämpfen lohnt. Uns bleibt nur noch das Spiel.“ (John Malkovich: In the Line of Fire, USA 1993)

Ein Land, das Reiner Calmund zum Weltmeisterschaftsbotschafter machte, muss ziemlich verzweifelt sein. Mindestens so verzweifelt wie sein Botschafter. Der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung verriet das rheinische wie manische Urvieh nun, welche Weltmeisterschaftsbotschaft er überbringen wolle. Der Fußballgroßhändler und Fernsehflop setzte sich also in Pose eines brünstigen Bundespräsidenten und knödelte belegt, „dass wir gerade in diesen schwierigen Zeiten eine Aufbruchstimmung, ein Gemeinschaftsgefühl entwickeln können.“

Und wir haben verstanden: Geht es nach Calmund & Co. wird der Fußball 2006 wie eine Käseglocke über die zerrissene bundesdeutsche Gesellschaft gestülpt, in der die solventen Alten melancholisch vom Nachkriegsaufbau und dem Wunder von Bern schwärmen. Weil es ihnen damals so schlecht ging, sie Weizengrütze in Kochkisten warm halten mussten und in der Not mit Patronen handelten, weil sie dann aber 1954 erleben konnten, wie das eine zum anderen kam, ist die Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland als Retrospektive angelegt. Wie die Rückkehr der Fluten wird sie über Gastfreunde, Freiwillige, Einsatzhelfer und Sportbesoffene hinweg schwappen. Willkommen im 1. FC Deutschland 06. Aber wer wird Spielführer?

Der Deutschlandverein – die Werbekampagne zur Koalition aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport – klingt nicht nur wie dem Hirn des Fußballentwicklungshelfers und Jugendbuchautoren Holger Obermann entsprungen, sie hat neben Calmund auch andere Botschafter.

Etwa Sönke Wortmann, der mal ein begabter Kicker war und origineller Jungfilmer, bis er sich mit einer Überdosis Hollywood samt Kanzleramt, Industrielenkern und Fußballbossen auf die Suche nach dem deutschen Pathos begab und so schon vor zwei Jahren einen hölzernen Streifen über Uwe, Fritz und Sepp schnitzte. Zum Glück sind die Botschafter 3 & 4 nur eine ästhetische Beleidigung: Goleo und Pille heißen die Maskottchen.

Doch die überparteilich angedickte PR-Soße könnte umsonst angerührt sein. Der wohl begabteste Ex-Fußballer unter den Bundeskanzlern und die fußballerisierteste Bundesregierung aller Zeiten brechen gerade ihre Zelte ab. Machen Platz für eine Frau, die zum Fußball ein ähnliches enges Verhältnis pflegt wie zu ihrem Ehemann: „Ich habe eine große Liebe zu Hansa Rostock und eine kleine zu Bayern München“, sagte Angela Merkel dem Stasi-Exorzisten Joachim Gauck vor vier Jahren, es klang so schön spröde, als rede sie über Edmund Stoiber mit Horst Seehofer. Für Menschen, denen vorm 1. FC Deutschland Angst und Bange ist, wird Merkel zum Glücksfall: Nur die Uckermärkerin kann den totalen Fußballfritz aufhalten. CHRISTOPH SCHURIAN