Sicherer als Bayern

Bremer Oberverwaltungsgericht bietet geflüchteten Tschetschenen Zuflucht: Sie dürfen als „Gruppenverfolgte“ in Bremen bleiben

Auch innerhalb der russischen Föderation wären Tschetschenen nicht sicher

bremen taz ■ Flüchtlinge, die 1999 und 2000 aus Tschetschenien nach Bremen kamen, dürfen hier bleiben. Sie gelten als „gruppenverfolgt“. Diese Entscheidung stellte das Bremische Oberverwaltungsgericht jetzt drei tschetschenischen Klägern zu, deren Klage auf Asyl noch vorm Bremer Verwaltungsgericht gescheitert war. Nach der ausführlichen Berufungsverhandlung dagegen gestand das Oberverwaltungsgericht den Flüchtlingen jetzt Schutz vor Abschiebung zu – und ging dabei als erstes Oberverwaltungsgericht in Deutschland sehr weit: Der zweite Senat des OVG befand die Lage der Volkszugehörigen der Tschetschenen bis heute innerhalb der russischen Föderation als „nicht hinreichend sicher“, während das bayerische Oberverwaltungsgericht just anders entschieden hat.

Umso zufriedener zeigt sich Rechtsanwältin Christina Bremme. „Endlich wird ein Gericht der verzweifelten Lage dieser Menschen aus dem Kaukasus gerecht“, sagt sie. Die Leichtigkeit, mit der Einzelrichter am Verwaltungsgericht und das Asylbundesamt Rückkehrmöglichkeiten sähen, habe sie bislang erschreckt.

Tatsächlich setzte sich die zweite Kammer ausführlich mit Fluchtmöglichkeiten auseinander, die die Betroffenen innerhalb der russischen Föderation gehabt hätten – und kommt zu einer klaren Einschätzung. Wären diese Menschen in andere Regionen der Föderation geflohen, so hätte sie dort „Hunger und Elend erwartet“, widersprachen die Richter auch dem Asylbundesamt. Das hatte den Flüchtlingen bescheinigt, außerhalb Tschetscheniens, aber innerhalb der russischen Föderation, leben zu könnten. Ob die Behörde Widerspruch gegen das Urteil einlegt, ist noch nicht bekannt.

Flüchtlinge, die nach 1999 und 2000 aus dem Kriegsgebiet Tschetschenien flohen, halten die Bremer RichterInnen unterdessen für gruppenverfolgt. Dies gilt für eine im März 2001 geflohene dreiköpfige Familie. Sie sei zu Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges wie im Prinzip alle Tschetschenen Opfer einer russischen Kriegsführung geworden, „die auch auf die physische Vernichtung der tschetschenischen Zivilbevölkerung gerichtet ist, obwohl diese keinen Widerstand leistet oder nicht am militärischen Geschehen beteiligt ist“, so steht es in der über 40-seitigen Urteilsbegründung. Allein die mutmaßliche tschetschenische Volkszugehörigkeit reiche aus Sicht der Richter aus, um gewalttätigen Übergriffen und Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt zu sein. Auch sei die Zahl der Übergriffe auf die zivile Bevölkerung Tschetscheniens so hoch, dass von einer Gruppenverfolgung gesprochen werden müsse.

Rückkehrmöglichkeiten der Familie nach Tschetschenien sahen die Juristen keine. „Die heutige Situation in Tschetschenien ist militärisch dadurch gekennzeichnet, dass russische Sicherheitskräfte im Namen ihrer so genannten antiterroristischen Operation“ nach wie vor massive Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung begehen, urteilten sie. Einem anderen Kläger gewährten sie deshalb Abschiebeschutz. Eva Rhode