Revolution aus der Zwergenwelt

Nanotechnologie gilt als Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts. Deutschland zählt zu den Global Playern. Neben dem Forschungsministerium hat auch das Ministerium für Verteidigung ein besonderes Interesse an der neuen Technologie

Nanotubes könnten ähnliche Auswirkungenwie Asbest haben

VON ULRIKE KOPETZKY

Die Nanotechnologie (NT) steht weder beim Nationalen Ethikrat noch bei der Enquetekommission des Bundestages „Recht und Ethik in der modernen Medizin“ auf der aktuellen Agenda. Dabei ist der zivile Anwendungsbereich in der Medizin wie auch in der Chemieindustrie Treiber der Entwicklung.

Laut einer Studie im Auftrag des Forschungsministeriums (2004) gibt es in Deutschland rund 450 Nanotechnologie-Firmen, deren Patentanmeldungen sich alle zwei Jahre verdoppeln. Milliardenumsätze werden schon jetzt gemacht und man erwartet eine exponentielle Steigerung in den nächsten zehn Jahren, sollten nicht „Show Stopper sozioökonomischer Art wie die Toxizität von Nanopartikeln“ die Wirtschaftsträume hemmen. Die meisten Firmen wurden zu dem Zeitpunkt gegründet (1996 bis 2000), als Geld vom Staat kam – 2000 waren es 35 Millionen Euro, 2004 schon 122 Millionen.

Was ist das Neue an der Nanotechnologie? Es sind Technologien, die sich mit der Erforschung, Bearbeitung und Produktion von Materialien und Strukturen in einem Bereich von einem Milliardstel Meter, einem Nanometer, befassen. Ziel ist die gezielte Manipulation von Atomen oder Molekülen. Dabei rücken Oberflächeneigenschaften von Materialien und quantenphysikalische Effekte in den Vordergrund, ebenso Phänomene der Selbstreplikation. Gerade Letzteres gab schon Anlass zu Horrorszenarien wie sich selbst reproduzierende Nanoroboter.

Laut dem Büro für Technikfolgenabschätzung gibt es zwei Strategien, um in die Nanodimension vorzustoßen: den Top-Down-Ansatz in der Physik, der die fortschreitende Miniaturisierung von Komponenten bedeutet, und den Bottom-up-Ansatz in Chemie und Biologie, bei dem aus atomaren oder molekularen Bausteinen immer komplexere Strukturen aufgebaut werden.

Eine Verkleinerung von Strukturen kann eine größere Härte oder Bruchfestigkeit von Stoffen nach sich ziehen. So findet die Nanotechnologie Anwendung bei der Veredelung von Oberflächen – sich selbst reinigende Fenster könnten ein Effekt sein. In den Lebenswissenschaften arbeitet man an Diagnosechips für Krankheiten. Diese könnten dann Blutwerte bei Schwangeren oder „Risikopatienten“ mit implantierten Sensoren überwachen. Homecare und Telemedizin werden damit zu einer Option. Da Nanopartikel so klein sind, können sie auch die Blut-Hirn-Schranke durchdringen und so gezielter Wirkstoffe transportieren.

Der Konvergenz mit der Gentechnik oder Biotechnologie attestiert das TAB „umfassende und tief greifende Veränderungen der Bedingung der menschlichen Existenz“. Neben Chancen werde auch Risiken thematisiert. So gibt es kaum Forschung zur unkontrollierten Freisetzung von Nanopartikeln; Nanotubes könnten ähnliche Auswirkungen wie Asbest haben.

Die Forschungsergebnisse sind nun auch in den Fokus des Verteidigungsministeriums gerückt. Die USA sind weltweit Nummer eins bei der Erforschung, 2002 wurde von der US Army das Institute for Soldier Nanotechnologies am MIT gegründet. Laut Matthias Grüne vom Frauenhofer Institut Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen (INT) in Euskirchen forscht man in den USA an der besseren Panzerung und Tarnung von Militärfahrzeugen, auch an technisch-biologischen Hybridsystemen (externe Rechner, die biologische Systeme steuern). Zudem ist ein multifunktionaler Kampfanzug für Soldaten in der Entwicklung. Mit künstlichen Muskeln soll ihre Leistungsfähigkeit gesteigert werden, Sensoren und Chips könnten die Körperfunktionen überwachen und Medikamente verabreichen. Fast fiktional sind die Visionen in der Aufklärung: eine „aufgerüstete Fliege“ könnte per Fernsteuerung und Videokamera auf dem Rücken durch Schlüssellöcher fliegen und würde kaum auffallen.

Bereits Mitte der 90er ließ das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) die sicherheitspolitischen und wehrtechnischen Aspekte der NT durch das INT untersuchen. Wie ein Sprecher des BMVg bestätigt, wurde dem Ministerium im November 2004 eine Studie vorgelegt, deren Veröffentlichung aber erst für Dezember 2005 geplant ist.

Den militärischen Entwicklungen mit der NT sieht der Physiker und Rüstungsforscher Jürgen Altmann von der Universität Dortmund mit Sorgen entgegen. Besondere Gefahr sieht er neben autonomen Kampfsystemen auch bei neuen biologischen und chemischen Waffen durch die NT. Dort käme die Dual-Use-Problematik besonders zum Ausdruck. Seien im zivilen Bereich Stoffe entwickelt worden, die Mechanismen enthalten, die gezielt Krebszellen töten, so könnte der gleiche Mechanismus bei B-Waffen nur bestimmte Gruppen oder Individuen treffen. Damit ist anders als mit bisherigen Krankheitserregern eine selektive militärische Wirkung möglich, was vor allem das B-Waffen-Übereinkommen (BWÜ) gefährde, auch weil es keine verlässlichen Kontrollen enthalte. Zudem sei nicht klar, ob die Terminologie des BWÜ („biologische Agenzien“) sowie das C-Waffen-Übereinkommen („chemische Wirkung“) auf neue, NT-basierte artifizielle Wirksysteme anwendbar sei. Das Auswärtige Amt verweist auf Anfrage auf die einschlägigen Bestimmungen in den beiden Übereinkommen, die eine vollständige Ächtung der Waffen ungeachtet ihrer Herkunft oder der Art ihrer Produktion beinhalten.