Gefühlte Bindestriche

AUSSTELLUNG Kunst und Design gehen doch zusammen: Die Weserburg zeigt derzeit die kuratierten Drucksachen des Amsterdamer Verleger-Duos „Roma Publications“

Eher als Verlegern ähneln die beiden umtriebigen Holländer Kuratoren

VON TIM SCHOMACKER

Neben dem Waschbecken eines öffentlichen Klos in Oslo liegt ein helles Stück Seife. Darauf sind sieben Haare. Grafisch akkurat organisiert, bilden sie die Konturen der Grenzen von vierzehn Ländern nach. Welche Ausschnitte welcher Grenzverläufe die junge ukrainische Künstlerin Oksana Pasaiko auf dem umgenutzen Badezimmerartikel verzeichnet hat, wäre vielleicht eine hübsche „Wetten dass?“-Aufgabe. In der Ausstellung Roma Publications ist nur ein Foto des Seifenstücks zu sehen. Auf einer Postkarte. Pasaikos Arbeit trägt den Titel „Short Sad Text“, stammt aus dem Jahr 2004 und ist mit dem Hinweis versehen: „Nummer eins dieser Edition wurde auf einer öffentlichen Toilette in Oslo zurückgelassen, Nummer zwei ist ein Kunstwerk.“ Welches der beiden Exemplare auf der Postkarte abgebildet ist, erfahren wir nicht. Dafür bekommen wir die Frage präsentiert: Wo fängt ein Kunstwerk an? Und wie sind die Grenzen zwischen Kunstwerk und Dokumentation beschaffen?

1998 gründeten der Künstler Mark Manders und der Grafikdesigner Roger Willems in Amsterdam die Roma Publications. Ein Großteil der bisher knapp zweihundert Veröffentlichungen ist derzeit in einer Ausstellung des Studienzentrums für Künstlerpublikationen (ASPC) in der Bremer Weserburg zu sehen. Die Bandbreite reicht von plakatgroßen grafischen Arbeiten über Bücher verschiedener Formate und Ausstattungen, Zeitungsbeilagen bis zu Postkarten wie jener von Pasaikos Seifenstück. Auch die neueste, exklusiv zur Ausstellung entstandene Publikation stellt die Frage nach dem Werkcharakter des vervielfältigten Dokumentarischen. „Arnoud Holleman. Me and Rodin. Chapter 14“ steht auf der Vorderseite des unscheinbaren weißen geklammerten Heftchens in gestauchtem A5-Format. Drinnen finden sich unter anderem Fotos von einem Exponat, das in der Ausstellung daneben steht. Elf treppenartig geschichtete Bücher über Rodin – das oberste steckt in einem Holzkästlein und ist Hollemans eigenes Rodin-Buch: „Me and Rodin“ – bilden den Sockel einer Bronze-Skulptur, die ihrerseits aus drei aufeinander gesetzten Teilobjekten besteht. Unter anderem einer Hand und einem Hahn. Man könne schon sagen, dass er von Rodin verfolgt würde, sagt Holleman im Text im Heftchen, oder andersherum, dass er der Stalker Rodins sei. „Kapitel 14“ erweitert den skulpturengeschichtlichen Werkzusammenhang des 1964 in Haarlem geborenen Künstlers, dokumentiert zugleich eine im Februar 2012 in einer anderen Ausstellung performten Rede, die ihrerseits in diesen Werkzusammenhang gehört.

Kurzschlüsse zwischen Ausstellung und Katalog, zwischen Objekt und Dokument finden sich mehrfach in den gezeigten Veröffentlichungen. Inaki Bonillas und Roger Willems „White Book“ ist gewissermaßen in sich selbst schon abgebildet. Ein Ausstellungskatalog dokumentiert – ausgehend von Lyotards Frage, wie zu sagen sei, was man gesehen hat – einen Text aus der betreffenden Ausstellung, der den Rundgang durch dieselbe beschreibt. Und selbigen Rundgang zur Lektüre unterbricht. „Ich gehe durch die Ausstellung auf der Suche nach Beweisen. (?) Aber Beweisen von was? Das Objekt von Kritik.“

Zwischen Buchmacherei, Kunst und Kunstkritik siedelt die Unternehmung von Manders und Willems. Roma-Publikationen rekapitulieren und konterkarieren ihre jeweiligen Kontexte, ähneln zusammengenommen eher einer Galerie. Freilich einer, die einen anderen Ort bewohnt als es ein Raum mit vielen weißen Wänden wäre. Rotation und Zirkulation passen als Wörter für Umlaufendes ja auf das Drucken ebenso wie auf das Öffentliche, in dem sich das Gedruckte dann bewegt. Eher als Verlegern ähneln die beiden umtriebigen Holländer Kuratoren. Konzeptionell stringent wie die gezeigten Drucksachen präsentiert sich die Ausstellung selbst. Alle Objekte sind gedoppelt: Einmal hinter Glas, als Kunstwerk in der Vitrine, einmal auf zwei Tischen zum Durchblättern. Etwa die schrullige Fotoserie „Ruth on the phone“ (in der eben das zu sehen ist: eine Frau bei verschiedenen Telefonaten) oder ein Zeitungsformat, das hinreißend konsequent der Zahl Fünf huldigt. Mit Fünfzeilern, fünf Spalten und Fotos mit zahlreichen gesammelten Fünfen (und fünfbuchstabigen Wörtern). Mit Roma-Katalognummer 175b kann man die Zeitung als Zirkulationsobjekt selber in Umlauf bringen. Eine Zeitungscollage von Rob Johannesma liegt als Sonderdruck auf einer Europalette – zum Mitnehmen.

■ bis 13. 5., Weserburg