Soll man Kindern das Fernsehen verbieten?
JA

NACHWUCHS Viele Mütter und Väter wollen für ihren Nachwuchs eine Kindheit ohne Glotze. Andere gönnen ihnen das TV-Vergnügen

Willi Weitzel, 36, Kinderkanal-Moderator, erkundet in „Willi wills wissen“ Alltagsprobleme

Meine Tochter darf noch kein Fernsehen schauen, sie ist 16 Monate alt. Ich habe meine Examensarbeit über die Teletubbies geschrieben, die sind für Kinder zwischen eins und drei konzipiert und nachweislich für sie in Ordnung. Aber die Frage ist einfach: Müssen Kinder unter drei Jahren schon fernsehen? Ich kann die Position, Kindern das Fernsehen zu verbieten, total verstehen. Wenn ich an meine eigene Kindheit denke, wünsche ich mir manchmal, meine Eltern wären strenger gewesen. Ich lag zu viel vor dem Fernseher. Ich bin zwar nicht dick geworden, war aber unausgeglichen. Andererseits lebt Erziehung vom Vorleben. Deshalb wird der Zeitpunkt kommen, wo ich mit meiner Tochter Fernsehen schaue. In einem bestimmten Alter animieren Verbote nur dazu, sie zu brechen. Ich habe mit 14 Jahren geraucht, weil es verboten war – mit 16 war es nicht mehr interessant. Außerdem haben wir Menschen das Fernsehen erfunden und jetzt tun wir so, als sei es etwas, das eine feindliche Macht virusartig verbreitet hätte. Das Fernsehen ist doch für uns da. Wir Fernsehmacher stehlen uns natürlich ganz gerne aus der Verantwortung, wenn wir sagen, die Eltern seien zuständig. Peter Lustig hat seine Sendung immer beendet mit: So und jetzt ausschalten. Heute sagt das niemand mehr, auch ich nicht. Wenn ich später mit meiner Tochter fernsehen werde, wird die erste Regel sein: Zappen gibt’s nicht. Die Umschalttaste ist sowieso seit Jahren kaputt. Bewusst Fernsehen heißt: ins Programmheft gucken, ankreuzen, einschalten. So kann man Verantwortung lernen. Aber bis dahin wird es noch dauern. Zum Glück kommt man mit einem Kleinkind eh kaum zum Fernsehen – deshalb lebe ich auch das gerade vor.

Peter Müller, 39, Chemiker am MIT in Cambridge/USA, hat seinen Beitrag auf taz.de gestellt

Ein striktes Fernsehverbot sollte meiner Meinung nach für Kinder unter drei gelten. Je älter ein Kind ist, desto besser kann die zweidimensionale Repräsentation der dreidimensionalen Umgebung im Gehirn verarbeitet werden. Die mentalen Fähigkeiten sehr kleiner Kinder erlauben nur ein sehr begrenztes Verständnis bewegter zweidimensionaler Bilder. Wird ein sehr junges Gehirn dazu veranlasst, solche Informationen zu verarbeiten, entstehen Probleme, die sich unter anderem nachteilig auf Konzentrationsfähigkeit und Schlafgewohnheiten auswirken können. Dabei ist es vollkommen gleichgültig, welche Inhalte die Sendungen haben. Gehirne von Kindern älter als ungefähr sieben sind in der Lage, zweidimensionale bewegte Bilder zu verarbeiten. In diesem Alter sind die Inhalte relevant. Bewusst ausgelassen habe ich den Alterszeitraum drei bis sieben, der sehr schwierig einzuschätzen ist. Bei meinen eigenen Kindern gehe ich daher noch ein bisschen weiter, als nur bis zum Alter von drei Jahren Fernsehen zu verbieten.

Roland Müller, 65, Fernsehverweigerer, lehrt Wirtschaftspsychologie an der Uni Zürich

Fernsehen halte ich für eine überflüssige Erfindung. So stark prägen einen die Umstände der Kindheit! Ich bin in einem Intellektuellen-Haushalt aufgewachsen, der über keinen Fernseher verfügte. Das habe ich weder bedauert, noch den Apparat vermisst. Als ich 13 war durfte ich einige Male beim Nachbarn Fernsehen. Sonst spielte ich am Fluss oder im Wald und ging auf Bergtouren und hörte Radio. Später ging ich viel ins Kino. Gewiss sah ich nach meiner Heirat bei den Schwiegereltern an Feiertagen stundenlang fern, aber nur um den Diskussionen über die Nazizeit auszuweichen. Mit meiner zweiten Frau schaute ich bloß „Wetten, dass...?“ und Leichtathletikmeetings. Nach 9/11 lief der Apparat allerdings eine Woche lang ununterbrochen. Für Unterhaltung, Kulturgenuss und seelischen Labsal gibt es tausende Möglichkeiten. So spielte gestern in der leeren Bar eines berühmten Hotels der Pianist nur für mich Melodien, die ich wünschte. Oder: Da wir erst nach 19.30 Uhr kochen und dann nachtessen, setzen wir uns um 21 Uhr in lauen Sommernächten auf die Terrasse und erfreuen uns an Lichtern des Städtchens und am funkelnden Sternenhimmel.

NEIN

Norbert Schneider, 69, ist Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfahlen

Verbote sind immer nur ein letztes Mittel. Gerade auch in der Erziehung. Und sinnvoll sind sie überhaupt nur dann, wenn man sie auch durchsetzen kann. Beim Fernsehen kann man das vergessen. Wer ein Fernsehverbot fordert, übersieht, dass das Fernsehen sich längst in die Breite und Tiefe unserer Gesellschaft eingenistet hat. Wir leben in einer durch und durch fernsehgeprägten Welt. Man kann Fernsehen aus keinem Leben aussperren. Auch nicht aus dem Leben von Kindern, die dann im Zweifel nicht wüssten, wovon andere Kinder am Montagmorgen in der Schule erzählen. Oder einfach heimlich zum Nachbarn gehen und sich dort holen, was verboten ist. Aber man muss das Fernsehen auch gar nicht verbieten. Dazu bietet es einfach zu viel, was auch für Kinder interessant ist. Statt eine Verbots sollte man sich darum bemühen, den Kindern beizubringen, wie man fernsieht und was sie sehen sollen. Das ist dann auch das beste Mittel gegen Vielseherei oder gegen unerwünschte Programme und auch gegen ein Vorurteil von Fernsehverächtern oder besorgten Zeitgenossen, gegen das am Besten Programmkenntnis hilft.

Winfried Gockel, 42, Techniker beim Privatfernsehen, hat seinen Beitrag auf taz.de gestellt

Bei mir zu Hause in den Siebziger-Jahren hatten wir eine TV-Zeitschrift, die zum Beispiel bei der Krimiserie „Derrick“ als Altersempfehlungen „frei ab 16 Jahren“ angegeben hat. Somit war das „nix für dich“ und ich fühlte mich als Kind schon in der Schule ausgegrenzt, weil ich nicht mitreden konnte. Ich fand diese restriktive Auswahl meiner Eltern nicht gerade förderlich, weil ich mir lieber selber meine Meinung gebildet hätte, welches TV-Programm etwas für mich ist oder nicht. Den ganzen Gutmenschen, die ohne TV auskommen: Gratulation! Nur ich würde meinen Kindern niemals das TV verbieten, sondern eine gesunde Mischung als Alternative zur Freizeitgestaltung anbieten. Da ich auch in Länder fahre, wo der unzensierte Horrorfilm im Vorabendprogramm zur Unterhaltung gehört und ich dort bei den Kindern nun keine Verhaltensauffälligkeiten feststellen konnte, glaube ich die Kinder könne schon selber ganz gut beurteilen, was sie interessiert und was nicht. Statt nur übers TV klatscht und tratscht man heute sogar über ein viel breiteres Medienspektrum. Und Soziale Kompetenzen?! Ich denke bei Doku-Soaps wie bei „We are Family“ kann man schon Einblicke erwerben, wie es zum Beispiel bei anderen Familien zugeht und mit seinem Umfeld vergleichen. Gezeigt wurden da unter anderem das Leben eines Totalaussteigers ohne Strom und fließend Wasser. Der hat aber seiner Tochter nicht gesagt, du musst jetzt genauso leben wie ich, sondern stellt ihr frei, ob sie lieber bei Oma und Opa TV im Wohnzimmer gucken möchte oder am Bach in der Hütte leben. Ich sehe das Fernsehen nicht als Teufelswerk, sondern als ein Medium, mit dem man sich kritisch auseinandersetzen kann.

Klaudia Wick, 45, ist Fernsehkritikerin und Autorin eines Sachbuches über Fernsehfamilien

Fernsehen ist kein Apparat, sondern Beziehungsarbeit. Wir schalten nicht nur ein, um uns zu zerstreuen oder zu informieren. Wir schauen auch in dem wohligen Gefühl, dass andere anderenorts auch genau wie wir auf der Couch liegen. Das Fernsehen kann ein eloquenter Plauderer, gebildeter Weggefährte oder ein geduldiger Begleiter sein, mit dem sich wunderbar überflüssige Zeit totschlagen lässt. Es kann aber auch ein falscher Freund werden, der das eigene Ich von Wichtigerem – dem Leben – abhält. Wer seine Kinder für die zahllosen parasozialen Beziehungsangebote des Medienzeitalters fit machen will, der findet im Fernsehen noch eine komplexitätsreduzierte Übungswelt: Dass die Bekanntschaft mit Heidi Klum und ihren Topmodels nur einseitig ist, lässt sich ja noch relativ leicht dechiffrieren. Die Grenzen der i-Freundschaften von „Facebook“ zu erkennen, braucht hundertmal mehr Medienkompetenz. Das Einwegmedium Fernsehen bietet falsche Freundschaften lediglich an. Das Internet antwortet auch.