Der Metzger von Inle

Der nächste Schrecken wartet schon unterwegs im fernen Myanmar

„Ihr 37 Nat-Geister von Myanmar, wo seid ihr? Macht diesen Typ alle!“

Mr. Tin, dem CD-brennenden Schrecken von Bagan, der in der letzten Geschichte aus Myanmar auftauchte, waren wir am Inle-See tatsächlich entkommen. Doch im seltsamen Land Myanmar bleibt niemand lange unbehelligt. Wir hatten gerade im „Four Sisters Inn“ Bier bestellt, als die Wirtin, eine stille Shan-Frau um die 40, noch einen Gast an unserem Tisch platzierte. Er trug einen roten Kopf auf dem Hals mit noch röterer Glatze obendrauf und einem Sieben-Tage-Traveller-Bart untendrunter. Er kam aus der Nähe von Bonn. „Tach. My name is Gerald“, schnaufte er. „I say it lieber early: Ich bin nicht normal.“

Das stimmte. Schon seine Sprache war es nicht. „I speak many language. English und Deutsch zum example. Dann noch German and Englisch. And Rhineländisch, he, he. Hey“, er wandte sich an meine Dolmetscherin, „you look very asiatisch. Toll.“ Ich versuchte zu erklären: „Sprechen Sie ruhig Deutsch. Meine Dolmetscherin ist zwar Chinesin. Sie hat aber lange Zeit in Deutschland gewohnt und spricht unsere Sprache ausgezeichnet.“ Gerald sprach sie nicht: „Alles klar, no problem, I love Asiatinnen. Früher in the former times I like Brasilianerinnen. But I was too stupid in language learning. And than the Volkshochschule Hennef had no courses more in Portugiesisch. Da habe ich ebend einfach meine Frau geheiratet. But if she run away, ich nehme eine Asiatin. Ich schwör.“

„Wieso denn das?“, wollte die Dolmetscherin wissen. „Weil, I mean, because I was 1988 in Phnom Penh, you know. There I met a Asiatin. After that I changed my Beruf. I was a Metzger before. With my three Kollegen I killed 600 pigs every night.“ – „So viele?“, warf ich ein: „Mit dem Bolzenschussgerät?“ Gerald nahm einen großen Schluck Myanmar-Bier: „Vergast. Anders schaffste das nicht. Okay. The Asiatin opens my eyes then. I flog back to Germany and became busdriver for the Rhein-Sieg-Kreis. I drive every day into Bonn hinein.“

„Oh“, erzählte die Chinesin munter, „ich habe in Bonn studiert. Vielleicht bin ich mal in ihrem Bus gefahren?“ – „Hehe, may be. But no. Can not be. Wenn I see a Asiatin, I remember. I remember every Asiatin in my life. In Bangkok for example. I was 1989 there and lied in bed with a Asiatin. I was already sleeping. In the middle of night she wakes me up. ,Look, look TV!‘ I looked. I see people walk under the Brandenburger Tor. I say to her: ,Ja, ja, movie! Sleep on!‘ But she says: ,No movie. News!‘ Also I leave the bed and walk out for buy a Bild-Zeitung. Zehn Mark kostete die damals. War mir so wat von ejal. But in this Bild stand nich, was ich lesen wollte. Is ja klar. Too early. The next day I hear: All is true. Ich bin dann sofort zurückgeflojen nach Germany. Unity, da wollte ich dabei sein.“

Es war dieser Moment, als etwas in meinem Schädel knackte. Ich entschuldigte mich und stürzte ins Freie. Draußen atmete ich durch und starrte wie bewusstlos auf das schwarze Wasser des Kanals, der das Dorf Nyaungshwe mit dem Inle-See verbindet. Zwei Langboote kamen gerade vom See hereingebrettert. In den Lärm der Außenborder schrie ich hinein: „Ihr 37 Nat-Geister von Myanmar, wo seid ihr? Kommt sofort her und macht diesen Typ alle!“ Dann ging ich in die Gaststube zurück.

Drinnen waren der Exmetzger und die Dolmetscherin jetzt die letzten Gäste. Gerald wandte sich mir kurz zu („Alles in Dortmund?“), um dann fortzufahren: „my … my … meine Wirkung auf Frauen is unbelievable. My wife is rich. She work for ‚Meat 2000‘ in Hennef. She earn more money than I. 2.500 Euro for a job in the Bürro. Here. I can show you …“ Gerald zog ein Feuerzeug hervor, auf dem „Meat 2000“ stand: „It’s all true. Next year we are twentyfive years together. But we not making holiday zu zweit. She likes Five-Sterne-Hotels in Tunesien. That is nothing for me. I like travel in Asia. And have I telled you this? I like Asiatinnen very much …“

Der Bus fahrende Metzger versuchte die Dolmetscherin anzuzwinkern. Ich wandte mich ab und sah der Wirtin zu, die langsam begann, die Stühle hochzustellen. Schöne gedrechselte Holzstühle, wie ich sie in Myanmar noch nicht gesehen hatte. „Seltsam“, dachte ich. „Diese Stühle, dieser Laberkopf, das Bier. Es ist fast so wie zu Hause.“

„Also“, hob der Metzger wieder an, „I ask nit what my wife in Tunesia macht, and she ask not …“ Da unterbrach ihn eine laute energische Stimme: „So Feierabend. Es gibt nichts mehr. Gute Nacht.“ Die Stimme gehörte zweifellos der Shan-Wirtin. Für einen Moment herrschte tiefes Schweigen. „Entschuldigung“, fragte ich dann. „Kann es sein, dass sie Deutsch gesprochen haben?“ – „Aber ja“, antwortete die Wirtin freundlich. „Mein Mann ist Deutscher. Und ich lebe die Hälfte des Jahres in Nürnberg.“

Die Wirtin erzählte danach noch etwas aus ihrem Leben, der Metzger schlief dabei sofort ein. Auch ich konnte ihr nicht zuhören. Ich hatte noch was zu erledigen. Ich ging zum Kanal und flüsterte in die Nacht: „Ihr 37 Nats von Myanmar, ich danke euch für dieses Wunder.“

WALTER MYNA