Viele wollen zu Mladić lieber schweigen

Seit in Serbien Jagd auf den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Radko Mladić gemacht wird, ist der Friede in dessen bosnischer Heimatregion Kalinovik gestört. Dass Mladić wirklich an das UN-Tribunal in Den Haag ausgeliefert wird, glauben nicht alle

AUS KALINOVIKERICH RATHFELDER

Das Dörfchen Bozinovici in der Gemeinde Kalinovik umfasst nicht mehr als zehn Anwesen. Von hier hat man einen herrlichen Blick auf über 2.000 Meter hohe, noch im Juni von Schnee, bedeckten Gebirgsmassive 60 Kilometer südlich von Sarajevo. Hier ist der mutmaßliche Kriegsverbrecher Radko Mladić aufgewachsen. Schafe grasen und geben die Milch für den guten Käse dieser Gegend. Den Berghang hinauf sind die Reste einer österreichischen Befestigungsanlage aus dem 19. Jahrhundert zu erkennen. „Hier war im Ersten Weltkrieg Adolf Hitler als Soldat stationiert“, schmunzelt Boris. War der nicht an der Westfront? Ob es stimme oder nicht, die Leute glaubten daran, antwortet der schmale junge Mann. Diese Geschichte ist wie ein böser Fluch, der über dem Ort liegt.

Boris will mit all dem nichts zu tun haben. Der 30-Jährige lebt in einem selbst gebauten Holzhaus in einem der Seitentäler und pflegt seinen Gemüsegarten. Er hat sich in die Einsamkeit zurückgezogen. Da sei Ruhe, Friede, sagt er.

Doch im zentralen Ort der 2.400 Menschen zählenden Gemeinde Kalinovik ist der Frieden seit den Nachrichten aus Belgrad gestört. In Serbien werde Jagd auf Ratko Mladić gemacht, heißt es. Mladić, Oberkommandierender der serbischen Truppen während des Krieges in Bosnien, hat dem Ort einen zweifelhaften Ruhm verschafft. Kalinovik ist heute trostlos. Nicht dass hier gekämpft worden wäre. Von Beginn an herrschten die Serben, die Front war weit. Doch der Ort hat für seinen berüchtigten Sohn, den Schlächter von Srebrenica, bezahlen müssen.

Die meisten der wenigen mehrstöckigen Häuser stehen leer. Im alten Sägewerk werkeln Arbeiter vor sich hin, an der Hauptstraße vor den beiden wenig einladenden Cafés lungern Jugendliche herum. Die Kasernen des ehemaligen Armeegeländes wurden 1995 durch Nato-Bombenangriffe zerstört. Die Textilfabrik ist bankrott. Keine Arbeit, keine Perspektive.

Der 1943 geborene Ratko Mladić wollte auch weg, in den Sechzigerjahren, im sozialistischen Jugoslawien. Damals herrschte Aufbruchstimmung, die Jugend ging in die Städte. Ratko entschied sich für die Armee.

1941, nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht und der italienischen Mussolini-Truppen, errichteten die kroatischen Ustaschen in der Region eine Schreckensherrschaft. Kroatische Milizen jagten im Sommer 1941 Serben, verhafteten und töteten sie. Die serbische Bevölkerung floh in die Bergwälder, bildete Widerstandsgruppen, schloss sich den Tschetniks des Drazo Mihailović an, eine Minderheit auch den kommunistischen Partisanen. Sie hegten Groll gegen die Muslime, die sich indifferent verhielten.

Auch Mladić. „Im Mai 1992, gleich zu Beginn des letzten Krieges, kam Mladić mit seinen Freunden und feierte ein Fest“, berichtet Jovan. Der alte Schäfer hat noch zwei Zähne im Mund. Mladić ging zu den muslimischen Nachbardörfern Golubici und Kute, die nur ein paar Schritte unterhalb seines Dorfes liegen. Er sagte seinen alten Nachbarn, sie hätten nichts zu befürchten und sollten bleiben. Er garantiere für ihre Sicherheit. Mehr will Jovan nicht sagen.

„Viele blieben, ich nicht“, sagt Meho. Er brachte seine Familie über die Berge ins muslimische Gebiet. Jetzt schaut der 70-jährige auf die Ruinen seines Dorfes. „Sie kamen im Juni, holten die Männer, brachten sie in das Magazin aus österreichischer Zeit, unterhalb der Stadt, die Frauen und Kinder in die Schule.“ 120 Menschen seien ermordet worden im Juni 1992. „Alle fünf muslimischen Dörfer der Gemeinde wurden niedergebrannt.“

Mladić hatte damals den Nachbarn Sicherheit versprochen. Wie bei der Einnahme Srebrenicas drei Jahre später. Und dann das Versprechen gebrochen. Wie in Srebrenica. „Ich will dazu nichts sagen“, bemerkt ein junger Mann, der an seinem Moped bastelt. Man redet hier nicht gern über den General. Schon gar nicht mit Fremden.

Bozo war auch Soldat. Mladićwar sein Held, sein Vorbild, damals, am Anfang des Krieges, als die Serben siegreich waren, bekennt der Kriegsinvalide. Er glaube nicht, dass Mladić ausgeliefert werde. „Mladić respektieren alle serbischen Soldaten.“

In dem zehn Kilometer entfernten Dorf Hotovija sind die muslimischen Überlebenden des Massakers von 1992 zurückgekehrt und haben ihre Moschee wieder aufgebaut. Es ist friedlich. Die Schule in Kalinovik ist renoviert. Kinder spielen hier und wissen nichts von dem Schrecken, den Vergewaltigungen, den Schreien der Frauen. Sie wissen nichts von der verworrenen, blutigen Geschichte des Ortes. Es ist still. Nur aus den Cafés an der Hauptstraße dudelt billige Musik.