Wahlen in Zeiten der Gewalt

SYRIEN Bei den Parlamentswahlen ist nicht die Frage, wem man seine Stimme gibt, sondern ob man wählen geht. Viele kämpfen um das wirtschaftliche Überleben

„Jetzt ist die beste Reisezeit für Syrien, und ich bin arbeitslos“

AYMAN NAHAS, REISEFÜHRER

VON SEIF AL-SHISHAKLI

BERLIN taz | „Jetzt ist die beste Reisezeit für Syrien, und ich bin arbeitslos. Das hätte ich nie für möglich gehalten“, sagt Ayman Nahas. Der Elektroingenieur, der in der DDR studierte, arbeitete über zehn Jahre für eine staatliche syrische Reiseagentur und erläuterte deutschen Kulturtouristen die syrische Geschichte.

„Bis zur Revolution war ich privilegiert. Ich konnte durch das Land reisen, wurde gut entlohnt, und Trinkgeld gab es in US-Dollar“, berichtet Nahas. Acht Millionen Dollar setzte der Tourismus noch 2010 um, 40 Prozent mehr als im Vorjahr. Nun sind fast alle Hotels geschlossen und Tausende arbeitslos. Nahas hat viele Bekannte, die in der Branche arbeiteten. Sie stecken in einem Zwiespalt: Einerseits sympathisieren sie mit dem Aufstand, andererseits sehen sie weder eine Chance, das Regime zu stürzen, noch Pläne für die Zeit nach einem Umsturz. Geschweige denn eine Idee, wie das Image des Landes verbessert und der Tourismus angekurbelt werden könnte.

„Dass unsere Politik korrupt und verlogen ist und oft am Menschen vorbeigeht, steht außer Frage. Wer aber dagegen protestiert, ist einfach dumm. Die Armee ist viel zu stark, als dass die Deserteure sie jemals besiegen könnten“, meint Nahas.

Die Parlamentswahl am 7. Mai interessiere ihn, wie auch alle früheren Wahlen, nicht. Nach einem Verfassungsreferendum im Februar stehen 13 neue Parteien zur Wahl, während man früher nur den Parteien der National-Progressiven Front die Stimme geben konnte, die von der herrschenden Baath-Partei dominiert wird. Für Nahas ändert das nichts. „Ihr wisst doch, wie das in der DDR war, das ist hier nicht anders“, sagt er und lacht. „Wir haben nur leider kein reiches Westdeutschland an unserer Seite.“ Für ihn geht es um das wirtschaftliche Überleben. Nahas harrt ängstlich der Dinge und versucht, seine Ersparnisse so lange wie möglich zu strecken.

Das brauchen Mahmud, Mansur und Dany, drei professionelle Partyveranstalter in Damaskus, nicht. Sie verdienen weiter Geld mit ihrer Event- und Hochzeitsagentur, die sie erst nach Beginn der Unruhen gegründet haben. Lange versuchten die jungen Präsidentenanhänger, die Gewalt im Land als von „ausländischen terroristischen Kräften“ gesteuert zu betrachten. Denn eine vom Volk ausgehende Revolution macht in ihren Augen „überhaupt keinen Sinn“. Den Syrern sei es gutgegangen, sagt Mahmoud. Fast alle seiner Bekannten hätten Flachbildschirmfernseher, iPhones, konnten für Reisen und ihre Hochzeit sparen. Jetzt gehe es allen schlechter, die Preise seien gestiegen, die Leute fingen an, bei Hochzeitsfeiern zu sparen.

Um sich zu informieren, schaut Mahmud mit seinen Freunden den staatlichen Propagandasender al-Dounia, der über eine internationale Verschwörung gegen den Präsidenten und über von Terroristen ermordete Soldaten berichtet. Die „bekanntermaßen ölgierige“, von den USA und den Saudis gesteuerte UNO habe nun Beobachter nach Syrien entsandt, um an „unser Öl“ zu kommen, das sei „klar“.

Mit ihren Familien werden die drei Twens wählen gehen, danach freuen sie sich auf ein staatliches Straßenfest und hoffen, dass sich auch Assad dort blicken lässt. Ihre T-Shirts mit dem Konterfei des Präsidenten werden sie auf jeden Fall wieder tragen, um den „imperialistischen Mächten“ und dem „verlogenen Judensender al-Dschasira‘“ die Stirn zu bieten.

Für den ehemaligen Journalisten Abu Mohammed dagegen wird die Parlamentswahl „genau so eine Farce wie all die Wahlen zuvor“ werden. Er geht davon aus, dass die Wahlen nur in den Stadtzentren stattfinden werden, da das Regime die Macht über viele ländliche Gebiete längst verloren hat. Fünf Provinzen, in denen rund 60 Prozent der Syrer leben, seien „außer Kontrolle“.

Er prognostiziert, dass die Wahlen in Vororten der Städte und auf dem Land boykottiert werden, da die Opposition daran gehindert wurde, Kandidaten aufzustellen. Hinzu kommt, dass die Protestbewegung die Wahlen ebenfalls als Farce ansieht und die Exilopposition zum Boykott aufgerufen hat. „In Deraa wurde bereits ein Kandidat getötet, viele andere wurden bedroht“, sagt Abu Mohammed. „Wenn die Regierung die Kandidaten schon nicht schützen kann, wer kann dann garantieren, dass es bei den Wahlen ehrlich zugehen wird?“