Urteil gegen Klima-Aktivistin Lynn: „Ein zweiter Schock“

Die Klima-Aktivistin Lynn machte öffentlich, was ihr auf einer Osnabrücker Polizeiwache passiert ist. Daraufhin wurde sie wegen Verleumdung verurteilt.

Aktivistin Lynn sitzt auf einer Straße mit einem Schild auf dem steht: "Ich habe Angst vor Hunger und Verteilungskampf wegen der Klimakrise".

Fühlt sich kriminalisiert: Aktivistin Lynn bei ihrer friedlichen Aktion in Osnabrück Foto: Hermann Pentermann

OSNABRÜCK taz | Den 3. Mai 2023 wird „Lynn“ nicht vergessen. Es ist der Tag, an dem sie verurteilt wird, vom Amtsgericht Osnabrück, in einem Verfahren, das sie als „kalt“ und „kontextlos“ empfindet, in dem sie sich unverstanden fühlt.

Die 23-Jährige ist Klima-Aktivistin bei Extinction Rebellion; Lynn ist ihr Aktionsname. Anfang 2022 setzt sie sich in Osnabrück auf die Straße, in einer „Rebellion of One“, mit dem Schild: „Ich habe Angst vor Hunger und Verteilungskampf wegen der Klimakrise“. Die Aktion ist friedlich, der Verkehr kann auf die Gegenfahrbahn ausweichen.

Der Frieden ist vorbei, als die Polizei eintrifft. Zwei Polizisten ziehen Lynn von der Straße, obwohl sie einwilligt, freiwillig aufzustehen. Was auf der Wache folgt, beschreibt Lynn kurz danach als Einschüchterungsversuch, als Machtmissbrauch, als Grenzüberschreitung: „Ich musste mich ausziehen. Zeitweilig stand ich da völlig nackt.“ Weil Lynn davon erzählt (taz berichtete), reicht die Polizei Verleumdungsklage ein. Am 3. Mai erlebt Lynn einen „zweiten Schock“: Die Richterin glaubt der Polizei.

Mehr noch: Sie geht weit über den Strafantrag der Staatsanwältin hinaus. Statt 70 Tagessätze verhängt sie 120. Würde das Urteil rechtskräftig, stünde in Lynns Lebenslauf dadurch eine Vorstrafe. „Das ist krass“, sagt sie, die an der Universität Osnabrück ihren Bachelor in Psychologie schreibt. „Das stellt infrage, ob ich je approbiert werde, als Psychotherapeutin arbeiten kann.“ Damit nicht genug: Den Bußgeldantrag der Staatsanwältin erhöht die Richterin um das Doppelte. In Lynn löst der Prozess Wut aus, Enttäuschung, Verwirrung, Trauer.

Die Macht des Staates

Lynn ist engagiert, empathisch, reflektiert. „Wenn ich Handlungsbedarf sehe, handle ich“, sagt sie. Als „gewissenhaft und organisiert“ beschreibt sie sich. Sie habe ein „Bedürfnis, andere Menschen zu verstehen“, auch einen „sehr besonderen Humor“. Und dann lacht sie ein bisschen, trotz allem.

Die Härte des Urteils erklärt Lynn so: „Wir sind uns sicher, dass das Urteil vor einem Jahr, bevor die Letzte Generation derart in den öffentlichen Diskurs geraten ist, anders ausgefallen wäre. Klimaaktivismus ist für die Richterin ganz klar negativ konnotiert.“ Lynn fühlt sich „kriminalisiert“.

Im Grunde hat Lynn nichts gegen die Polizei. Als Erlebnispädagogin arbeitet sie zur Prävention von (Cyber-)Mobbing und Rassismus, in dem die Polizei immer wieder als helfende und schützende Instanz erwähnt wird. Bei Klima-Aktionen arbeitet sie bundesweit als Polizeikontakt, um zu vermitteln, einen friedlichen Rahmen zu gewährleisten. „Aber wenn du erlebst, was ich erlebt habe, geht das natürlich nicht spurlos an dir vorbei.“

Lynn ist sehr konsequent. Mit Wirtschaftspsychologie hat sie nach zwei Semestern aufgehört. Auch weil dort der Nahrungsmittelkonzern Nestlé als nachhaltig angesprochen wurde. „Da wurde viel Greenwashing betrieben.“ Lynn handelte und ging.

In ihrem noch jungen Leben hat Lynn schon viel erlebt. Ein Freiwilliges Ökologisches Jahr an einer politischen Bildungsstätte. Ein mehrwöchiges Selbstexperiment, um geldfrei zu leben. Am 3. Mai hat sie die Macht des Staates erlebt. Lynn wird in Berufung gehen.

Der Autor, für die taz Beobachter von Lynns Aktion Anfang 2022, ist im Prozess Anfang Mai 2023 als Zeuge der Verteidigung aufgetreten.

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