Freie Universität Berlin: Wir waren mal so frei!

75 Jahre gibt es die Freie Universität Berlin, und viele Ab­sol­ven­t*in­nen haben den Weg in die taz gefunden. Wir blicken zurück – und nach vorn.

Zum 40. Geburtstag brauchte die FU noch Polizeischutz Foto: dpa

Den Dozenten duzten wir natürlich

Vierzig Jahre ist es jetzt her, dass ich mein erstes Seminar bei den Germanisten an der FU hatte. Es ging um „weibliches Schreiben“, und der Dozent, Lothar Klawohn, reichte uns gleich zu Beginn eine Textprobe. „Hat das ein Mann oder eine Frau geschrieben?“, fragte er. Der Text stammte aus Christoph Heins „Drachenblut“, seine Protagonistin war eine Frau.

Mir fällt das ein, weil ich das Gefühl hatte, dass da damals neue Wege gegangen wurden an der FU. Vielleicht gehörte dazu auch, dass ich mit einer Kommilitonin meinen Dozenten ebenso oft beim nächtlichen Flippern in der Dicken Wirtin am Savignyplatz sah wie in Dahlem. Und natürlich duzten wir uns damals alle. Der rebellische Geist der FU war damals noch spürbar.

Viele Jahre später, mein Studium hatte ich da quasi abgebrochen, kehrte ich an die FU zurück: Das Otto-Suhr-Institut (OSI) wurde besetzt, da durfte ich nicht fehlen. Zuvor hatten wir in autonomen Seminaren versucht, eine Brücke zwischen Dahlem und Kreuzberg zu schlagen, allerdings mit mäßigem Erfolg. Wenn sich also Dahlem nicht nach Kreuzberg bewegen ließ, holten wir eben Kreuzberg nach Dahlem. Es war die einzige Besetzung des damaligen Uni­streiks, bei der die Dozenten ausgeschlossen waren. Gut, dass Lothar zu den Germanisten und nicht zum OSI gehört hatte. Nur ungern hätte ich ihm den Weg versperrt.

Heute denke ich nur selten an die FU. Zuletzt, glaube ich, vor zehn Jahren bei einer Lesung mit Christoph Hein in Usedom. Ich erzählte ihm beim Wein, wie wir seinen Roman auseinandergenommen haben. Er hat ge­lächelt. Uwe Rada

Eine Frittenbude als intellektuelles Zentrum

Wer Ende der 1990er Jahre an die FU kam, fühlte sich wie auf einem sinkenden Tanker: Das Land Berlin befand sich in massiver Geldnot, zudem war die Hochschullandschaft nach dem Mauerfall mit der Humboldt-Uni (HU) stark gewachsen. Die Folge: Die FU musste sich zum Teil selbst abschaffen. Die Zahl der Studierenden sank von ihrem absoluten Höchststand 60.000 im Jahr 1993 bis zur Jahrtausendwende um ein Drittel; die Zahl der Professuren halbierte sich im gleichen Zeitraum sogar fast auf gut 500. Zurück blieb vor allem Ratlosigkeit – und Wut auf die HU, die angeblich aus Renomeegründen vom Senat bevorzugt werde, wie es vielfach hieß.

Gerade erst war zudem das Streiksemester im Winter 1997 – die bundesweite größte Protestwelle von Studierenden seit 1968 – ohne nachhaltige Folgen zu Ende gegangen. Entsprechend angespannt ist die Stimmung, auch weil Räume fehlen: Die Lehre findet vielfach in im Winter kaum heizbaren und im Sommer überhitzten Containern statt, notdürftiger Ersatz für viele inzwischen baufällige Seminargebäude. Vom Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft heißt es gar, die Mauern würden nur noch von den zahlreichen politischen Graffiti zusammengehalten.

Zum intellektuellen Zentrum des bundesweit für seinen rebellischen Charakter bekannten Instituts ist die Frittenbude vor dem Hauptgebäude geworden. Hier wird bei kulinarisch rustikaler Kost über Michel Foucault und Judith Butler diskutiert, deren Thesen hier gerade erst jetzt angekommen sind, und über die theoretische Dimension von Hollywood-Blockbustern wie „Matrix“.

Nur vereinzelt gibt es Anzeichen, dass die FU eine Zukunft haben könnte. Es werden neuerdings E-Mail-Adressen für alle verteilt und die Bibliothek stellt ihre Zettelkataloge auf Computer um. Letzteres ein Schritt, den viele westdeutsche Unis bereits zehn Jahre zuvor vollzogen hatten. Bis zum Titel Eliteuniversität, mit dem sich die FU heute allzugern schmückt, ist es noch ein weiter Weg. Immerhin: Die Frittenbude vor dem OSI gibt es auch heute noch. Bert Schulz

Café trinken statt Vorlesungen lauschen

Es war mein Lieblingsort an der FU – das Pi-Café! In der Silberlaube in Dahlem am Ende der K-Straße direkt über dem Pfört­ne­r:in­nen­häus­chen sitzt das studentisch verwaltete Café im zweiten Stock. Es ist gemütlicher Rückzugsort, Treffpunkt, und das Beste: Es hat eine große Sonnenterrasse!

Das Pi-Café wurde in den 70er Jahren vom Psychologischen Institut als studentisch selbstverwalteter Raum erkämpft, erklärte ein Studi mir und den anderen Erstis im Orientierungsstudium im Wintersemester 2019. Während der Coronapandemie war die Uni weitgehend geschlossen; auch das Pi-Café musste dichtmachen. Seit ziemlich genau einem Jahr ist es wieder geöffnet. Obwohl ich nicht mehr an der FU studiere, war ich seitdem schon zwei Mal dort.

Das Café ist das perfekte Kontrastprogramm zu der von der Uni hochgehaltenen Exzellenz: eine grüne Oase inmitten der ewig langen Gänge und nüchternen Seminarräume. Zwischen dutzenden Pflanzen gibt es günstigen Kaffee, preiswerte Mate und köstlich-klitschigen Zitronenkuchen. Selbstgebacken wohlgemerkt. Wenn ich in 75 Jahren noch leben sollte, werde ich mich nicht an das lahme Seminar zu englischer Literatur erinnern, sondern an die vielen Nachmittage im Pi-Café. Leonel Steinbrich

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