Fröhliche Negativität

PUNK An entscheidenden Stellen sind The Ex aus Amsterdam immer noch Punk. Musikalisch sind sie allerdings längst woanders. Heute Abend spielen sie in Bremen

„Wir sehen Musik als Mittel des Strebens nach Freiheit. Und es gibt nur eine Freiheit dort, wo es keine Unterdrückung gibt“

G.W. Sok

VON TIM SCHOMACKER

Werden sie öffentlich ausgestellt, wirken zärtliche Momente oft ungemein kitschig. Dieser nicht: Der blinde äthiopische Sänger Mohammed Jimmy Mohammed vergräbt sich in den weiten Armen des blonden holländischen Schlagzeugers Han Bennink. Weder der eine noch der andere war je Mitglied der 1979 gegründeten Band The Ex – für die schon bald der Begriff Punk viel zu eng wurde. Mindestens musikalisch gesehen.

Es gibt Strohhalme, an denen man festhalten muss. Sonst geht bald gar nichts mehr. Zu diesen Strohhalmen gehört, dass in Holland manches anders ist. Früher hätte man vielleicht beschwingter sogar gesagt: besser. Errungenschaften, die man sich von keinem Krisenphänomen, keiner Parlamentswahlkuchengrafik und gar nichts kaputtmachen lassen sollte. Die liebevolle Legende von The Ex gehört dazu. Entstanden als politische Do-It-Yourself-Kombo in den besetzten Häusern der Amsterdamer Krakbewegung – die Instrumente der ursprünglichen Besetzung wurden buchstäblich per Strohhalmziehen verteilt – gelang es The Ex, an so ziemlich allen entscheidenden Stellen nicht sentimental zu verkrusten. Stattdessen fröhlich-energetische Konzerte zu Haufb zu spielen sowie unerwartete (und in der Punkszene nicht sämtlich geliebte) musikalische Verbindungen einzugehen, bis heute sich selbst zu betreiben. Als Label, als Band, als politische Institution diesseits der Institutionen. Die dauerhafte Verbindung von The Ex mit einem Teil der holländischen Jazz- und Improvisationsszene gehört zu den Bruchstücken, aus denen man sich nach wie vor das leise Vorbild vom westlichen Nachbarn zusammenbasteln sollte.

Auch die heute 75-jährige äthiopische Saxophon-Legende Getatchew Mekuria scherzte im Backstageraum, als sich Bennink und Mohammed herzten. Das war 2004, The Ex waren gerade 25 geworden. Und luden einen illustren Kreis von Weggefährten – darunter Sprechperformer, Tänzerinnen, Klangexperimentierer – in einen Bus, um eine Woche durch Holland und Frankreich zu fahren. Zusammen erzählen die 2009 erschienene Überblicksplatte „30“ und der zeitgleich erschienene Dokumentarfilm „The Convoy Tour“ eine einzigartige Geschichte unabhängiger und dabei stets angenehm kompromissloser Musikproduktion. „Eine gewisse Stimmung lag in der Luft“, erinnert sich der damalige Ex-Sänger G.W. Sok, dessen Stimme immer ein bisschen an Mark E. Smith von The Fall erinnert, an die Anfangstage. „Damals bedeutete es einfach Spaß, (zu versuchen,) Musik zu machen und wir konnten nicht ahnen, was daraus wird.“ Aus Sok, der den Sängerpart zum 30. Ex-Jubiläum an Arnold de Boer (mit Zea schon bei der „Convoy“-Tour dabei) übergab, wurde einer, bei dem es auch nach einem guten Vierteljahrhundert nicht peinlich war, wenn er seine Texte gelegentlich durch ein Megaphon brüllte. „Zweifellos waren wir von der Hausbesetzer-Bewegung beeinflusst, zu der wir ja selber gehörten.“ Während das Konzept „The Ex“ sich weiter entwickelte, „blieben die sozialen Missstände bestehen“, sagt Sok.

Diesen begegneten The Ex programmatisch, als sie in den Kulissen einer früheren Papierfabrik in Wormer 1982 die Stücke zu „Dignity of Labour“ aufnahmen. Unter leiernd kratzige Gitarrenakkorde mengt sich ein hypnotisch langsamer Beat, der sich in repetitiven Percussion-Patterns aufsplittet. Im musikalischen Akkord hallt der qua Schließung suspendierte industrielle Akkord nach. „Wir sehen Musik als Mittel des Strebens nach Freiheit. Und es gibt nur eine Freiheit dort, wo es keine Unterdrückung gibt“, sagt Sok. Interessanterweise ist das ästhetische Mittel, der charakteristische Ex-Sound just von jener ambivalenten Maschine inspiriert, die, so lang sie läuft, nicht eben Freiheit verheißt – die im Moment ihres finalen Zur-Ruhe-Kommens (etwa in der Wormer Papierfabrik) die vormals an und mit ihr Arbeitenden aber auch nicht in die Freiheit entlässt. Die Faszination für die ästhetischen Elemente des Maschinenbetriebs läuft bei The Ex fast durchgängig mit. Bei den legendären Treffen mit dem (leider inzwischen verstorbenen) Cellisten Tom Cora genauso wie bei Begegnungen mit Musikern aus dem Umfeld des Amsterdamer Impro-Swings, zu denen auch Han Bennink gehört. Auch im eigentlich vollkommen verblüffenden Eindruck, dass sich Mekurias Free-Saxophon kein Stück an dem Ex-rhythmisierten Flächenteppich reibt. Ohne dass die Holländer zu einem Free-Jazz-Quintett-Imitat werden müssten, scheint das satte Blasinstrument des Äthiopiers einfach drüber zu tänzeln.

Ein Flächenteppich ist kein Flickenteppich. Auch auf der letzten Ex-Platte „Catch My Shoe“ finden sich Einflüsse aus der Früh- und Nebengeschichte der Band. Ugandische Musik wird in elektrische Gitarrenpartien übersetzt, äthiopische Spezifitäten werden jenseits des bloß Kulinarischen hineingearbeitet in die elegant krächzende Rundung.

■ heute, 21 Uhr, Treue