Jetzt spricht Berlins Friedrichstraße: Gefragt hat mich noch keiner

Erst Fußgängerzone, bald wieder Autos. Kaum einer Straße wurde so zugesetzt wie der Friedrichstraße. Was, wenn sie vom Objekt zum Subjekt würde?

Ein Hochrad auf der Friedrichstraße

Er will hoch hinaus, genauso wie die Straße selbst Foto: taz

Jetzt bin ich schon mehr als dreihundert Jahre alt, aber gefragt hat mich immer noch keiner.

Der erste, der über mich hinwegentschied, war ein eitler Fatzke. Friedrich hieß er, ein Kurfürst, der sich 1701 zum König in Preußen krönen ließ.

So sehr war dieser Fritzefatzke von sich überzeugt, dass er nicht nur das neue Quartier westlich seines Schlosses nach sich benennen ließ, sondern auch die ehemalige Querstraße. Würde das heute noch Schule machen, hieße ich vielleicht Franziskastraße oder Bettinasteig.

Die eine wollte, dass mir Autos über den Buckel fahren, die andere stand eher auf Fahrräder. Jetzt ist da eine neue, deren Namen ich schon wieder vergessen habe, die lässt die SUV wieder rollen. So werde ich auf meine alten Tage hin- und hergeschubst. Ich werde langsam müde.

Ohne mich ging nichts

Als ich noch jung war, war ich mitten drin. Revolution. Barrikaden. Märzkämpfe. Die einen hab ich aufgehalten, die andern durchgelassen. Ohne mich ging nichts. Heute bauen sie wieder Barrikaden. Fürs Stadtmarketing. Manchmal fühle ich mich wie eine dieser Beachflags, die sich immer im Wind hin- und herbiegen.

Aber in meinem Glanz wollten sie sich schon immer sonnen. Die Ecke zu den Linden, legendär. Und die Goldenen Zwanziger erst, die hängen mir noch immer an. Die Varietés am Bahnhof, die leichten Mädchen, Berlin war eine Großstadtsinfonie, und ich war eine ihrer Sinfonikerinnen. Hat dabei jemand an meine Kinder gedacht? Die im Norden, zur Chauseestraße hin oder zum Belle-Alliance-Platz im Süden? Nichts war da aus Gold, die mussten gucken, wo sie bleiben. Schaut auch auf die Schattenseiten, hab ich manchmal geschrien. Aber auf dem Ohr waren sie taub.

Wann wurde ich eigentlich zum Opfer meines eigenen Erfolgs? Zum Bild, dem nichts mehr entsprach in der Wirklichkeit? Nach dem Krieg haben sie mich durchgeschnitten. Meine Beine standen nun im Schaufenster des Westens, der Rest fiel in die Hände von Arbeitern und Bauern. Umbenannt haben die mich nicht, umgebaut schon. Der letzte Schrei waren die Friedrichstadtpassagen, die mir an die Seite gestellt wurden. Da half es auch nichts, dass sie der Volksmund „Tuntenbrosche“ nannte oder „Usbekischer Bahnhof“.

Nach der Wende war der Spuk vorbei. Die Arbeiter und Bauern waren weg, an der Stelle, an der ich wieder zusammengeklebt wurde, tummeln sich jetzt die Touristen. Die find' ich eigentlich ganz okay, auch wenn ich nicht immer verstehe, was sie sagen. Englisch hat mir keiner beigebracht, aber Fredericks Street wär auch nicht so mein Ding.

Ich hätte es gut gefunden, wenn mich die Touristen auch auf ganzer Länge bequatscht hätten. Und die Berlinerinnen und Berliner, die was kaufen wollen, was trinken, was gucken. Oder die Landeier, die aus dem Bahnhof fallen und ein bisschen Stadt spielen wollen und bei Lafajette große Augen kriegen.

Denn auf meine alten Tage spüre ich grade einen neuen Frühling. Alle freuen sich mit mir, tanzen auf meinem Rücken, anstatt ihn zu befahren. Und das soll nun wieder vorbei sein?

In den letzten Tagen habe ich oft gedacht: Jetzt geben sie mir den Gnadenschuss. Aber so weit bin ich noch nicht. Das letzte Wort hab diesmal ich. Was ich sagen werde? Bleibt mein Geheimnis. Vielleicht mache ich es wie der Kaiserdamm. Ermüdungsbruch. Dann geht gar nichts mehr. Wie damals mit den Barrikaden. Oder ich mach ganz was Neues. Lasst euch überraschen!

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Jahrgang 1963, ist Redakteur für Stadtentwicklung der taz. Weitere Schwerpunkte sind Osteuropa und Brandenburg. Zuletzt erschien bei Bebra sein Buch "Morgenland Brandenburg. Zukunft zwischen Spree und Oder". Er koordiniert auch das Onlinedossier "Geschichte im Fluss" der Bundeszentrale für politische Bildung. Uwe Rada lebt in Berlin-Pankow und in Grunow im Schlaubetal.

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