Archäologie für die Ewigkeit: Der digitale Zwilling

Weltweit sind archäologische Stätten durch Krieg und Grabräuber bedroht. In Irak sichert ein 3D-Scanner die Funde für die Nachwelt.

Am Eingang eines Tunnels in den Licht fällt, liegen zerbrochene, antike Gegenstände

In diesen Tunneln plünderte Isis Schätze, die bis in die Zeit der As­sy­re­r:in­nen zurück­reichen Foto: Patrick Tombola/laif

Im Sommer 2014 fallen IS-Terroristen in Mossul ein. Drei Jahre dauert es, bis die irakische Armee die Stadt zurückerobert. Nach den Kämpfen bleiben von der einstigen Metropole vor allem Trümmer. Der Zerstörung zum Opfer fallen auch zahlreiche historische Stätten, für die Terroristen sind sie „unheilig“.

So wird auch die Moschee mit dem Grab des biblischen Propheten Jona gesprengt. Möglicherweise steckt dahinter mehr als nur fanatische Zerstörungswut. Unter der Moschee befindet sich nämlich ein Palast aus dem spätassyrischen Reich. Bis etwa 612 v. Chr. stand das prächtige Bauwerk in der antiken Hauptstadt Ninive und diente als Symbol militärischer Macht.

Auf der Suche nach antiken Schätzen graben die IS-Kämpfer einige hundert Meter lange Tunnel durch den Hügel unter der Moschee. Auf dem Schwarzmarkt sind solche antiken Stücke heiß begehrt und damit bestens geeignet für die Terrorfinanzierung.

Was die IS-Mitglieder innerhalb ihrer dreijährigen Besatzung aus den Tunneln geholt haben, weiß niemand genau. „Von dem Palast weiß man schon lange. Vor dem IS machten ein Friedhof, die Moschee und ein Wohnviertel großflächige Grabungen fast unmöglich. Und nun finden wir vor allem die Reste großer Zerstörungswut“, sagt Peter Miglus, Archäologe von der Universität Heidelberg. Nach der Rückeroberung bat die irakische Antikenbehörde die Heidelberger Fachleute um Hilfe bei der Sicherung der Reste.

Mit modernster Technik in die Tunnel

Wenn der beteiligte Archäologe Jan Heiler über die Arbeiten berichtet, klingt das ziemlich abenteuerlich. Unter dem Schutz der irakischen Sicherheitskräfte wurde nicht nur unter freiem Himmel gegraben, sondern vor allem auch unter Tage. „Eine der wichtigsten Aufgabe war es eine 3D-Karte des Tunnelsystems anzulegen und die Funde von dort unten zu dokumentieren“, sagt er.

Keine Arbeit für Menschen mit Platzangst: Die Gänge sind an vielen Stellen kaum 1,5 Meter hoch und weniger als einen Meter breit. Sie verlaufen entlang der Lehmziegelwände des ehemaligen Palasts. Auf den Kalksteinplatten, mit denen die Mauern verkleidet waren, entdecken die Forschenden Keilschrifttexte zu assyrischen Herrschern aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. Außerdem finden sie die Reste des einst 55 Meter langen Thronsaals und Reliefs von geflügelten Stieren, die als Torwächter dienten.

Das Heben dieser Funde ist zuerst kaum möglich, die Gefahr einstürzender Tunnel wäre zu groß. Um die archäologischen Schätze wenigstens digital für die Nach- und Fachwelt zu erhalten, greifen die Forschenden zur Kamera und fotografieren den Tunnel, Zentimeter für Zentimeter. Die Methode nennt sich „Structure from Motion“ und gehört zur sogenannten Photogrammetrie.

„Einfach gesagt, machen wir möglichst viele Bilder von den Objekten, aus verschiedenen Blickwinkeln, aber mit dem immer gleichen Licht. Am Computer entsteht aus den teils überlappenden Farbbildern ein virtuelles 3D-Modell“, erklärt Heiler. Für ein Relief oder eine Keilschriftaufzeichnung sind einige hundert Aufnahmen nötig, um ein brauchbares Modell zu erzeugen. Oft arbeitet das Team bis zu 10 Stunden am Stück in den alles anderen als sicheren Tunneln.

Einen kleinen Durchbruch in den letzten Grabungskampagnen bringt eine andere, erschwinglich gewordene Technik. „Anfangs hatten wir nur die Fotokameras zu Verfügung. Für Reliefs ist das in Ordnung, aber die Erfassung von Räumen ist damit sehr beschwerlich. Zum Glück konnten wir für das Projekt einen 3D-Scanner beschaffen, womit die Arbeit deutlich leichter wurde“, erzählt Heiler.

Im Prinzip funktioniert der 3D-Scanner ganz ähnlich wie die Photogrammetriemethode. In einem Raum aufgestellt macht das Gerät mit 360 Grad Rundumblick sehr viele Aufnahmen von der Umgebung. Diese Wolke aus Punktmessungen lässt sich ebenfalls zu einem virtuellen Abbild zusammensetzen.

Es entstehen riesige Datenmengen

Egal ob nun mit 3D-Scan oder aus vielen handgemachten Fotos – das Zusammensetzen ist ebenfalls ein aufwendiger Arbeitsschritt. Schließlich sollen die Struktur und Farbigkeit der antiken Objekte mit jeder Ecke und Erhebung im digitalen Modell sichtbar sein.

Nur so können später andere Forschende mit den digitalen Abbildern arbeiten oder sie Teil von Museumsausstellungen werden. Dieser hohe Anspruch sorgt für entsprechend große Datenmengen. Allein bei der Grabung im Mossul sind mehrere 10.000 hochauflösende Bilder entstanden.

Um daraus einen virtuellen Tunnel oder ein hohes Stierrelief zu erstellen, reicht ein normaler Bürolaptop kaum aus. Selbst Hochleistungsrechner sind Stunden, manchmal Tage mit der Modellierung und dem Rendern beschäftigt. Vor Ort und nebenbei geht das nicht, schon gar nicht in einem Krisengebiet wie Mossul.

Die weitere Aufarbeitung findet deshalb in Deutschland statt. So vergehen nach einer Grabung wie im Irak einige Monate der Bearbeitung und Auswertung, bis andere Forschende mit den erzeugten 3D-Modellen arbeiten können.

Für die Archäologie seien diese neuen Dokumentationsmethoden trotz allem Aufwand ein großer Gewinn, sagt Peter Miglus. „Schon seit dem 19. Jahrhundert gibt es Zeichnungen und Fotos von archäologischen Funden. Die Qualität älterer Aufnahmen schwankt allerdings gewaltig, und viele Details sind noch kaum zu erkennen.“ Fehlinterpretationen sind keine Seltenheit.

Hochauflösende 3D-Modelle von Re­liefs, verschiedenen Installationen oder ganzen Räumen bieten da einen deutlich besseren Blick auf die Beschaffenheit und Dimensionen der Funde, auch für Fachleute, die selbst nicht vor Ort waren.

Nach einer entsprechenden Bearbeitung sind auch eine Betrachtung durch VR-Brillen, die Projektion von Augmented-­Rea­li­ty-­Modellen an originale Schauplätze oder sogar die Reproduktion mit einem 3D-Drucker möglich. Auch für Museen sind diese Ansätze interessant.

Die Archäologen betreiben Schadensbegrenzung

Doch die neue Form der Dokumentation ist auch noch aus einem anderen Grund wichtig: Viele antike Altertümer im Mittleren und Nahen Ost sind bedroht – von Krieg, von Raub und Gier, von der Armut der Menschen. Jahrhundertealte Reliefs werden leichtsinnig gesprengt, weil dahinter Schätze vermutet werden.

Auf den Fundstellen entstehen neue Wohngebiete oder landwirtschaftliche Anbaugebiete, aus religiösem Fanatismus werden uralte Denkmäler zerstört. „Für uns Archäologen ist es ein Kampf gegen Windmühlen. Oft bleibt nichts anderes übrig, als Reste zu retten, indem wir die Funde für die Wissenschaft und die Öffentlichkeit dokumentieren, unsere Erkenntnisse mit möglichst vielen Menschen teilen und so mehr Bewusstsein für ihren kulturellen Wert schaffen“, sagt Miglus.

Die antiken Funde aus Mossul blicken einer wagen Zukunft entgegen. Teile der Tunnel sind bereits eingestürzt, auch der Wiederaufbau der Jona-Moschee hat begonnen. Immerhin wird es weitere Notgrabungen geben. Der assyrische Palast und seine leidvolle Geschichte sollen eine wichtige Rolle im historischen Bewusstsein des Iraks spielen.

So wünscht sich die Antikenbehörde neben einer stärken Präsentation der erhaltenen Reste im Stadtbild Mossuls auch eine große Ausstellung zu der Grabung und dem einst prächtigen assyrischen Palast – mit Funden und 3D-Modellen aus Heidelberg.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.