Grundrechtereport 2023: Das „Nie wieder“ des Grundgesetzes

Die Ex-Verfassungsrichterin Susanne Baer nennt das Grundgesetz eindeutig antirassistisch. Erstaunlicherweise sei das kaum wahrgenommen worden.

Ein Aktivist klebt auf einem Autodach

Aktion der Letzten Generation Foto: Paul Zinken/dpa

BERLIN taz „ |Es ist erschreckend, wie vielen in unserer Gesellschaft die Frage des Rassismus einfach nur auf die Nerven geht“, sagte Ex-Verfassungsrichterin Susanne Baer, als sie den aktuellen Grundrechtereport vorstellte. Der Grundrechtereport ist ein Taschenbuch, das jährlich von zehn Bürgerrechtsorganisationen herausgegeben wird.

Das Grundgesetz sei jedenfalls eine eindeutig antirassistische Verfassung des „Nie wieder“, betonte Baer. Es sei erstaunlich, dass dies jahrzehntelang wenig wahrgenommen wurde. „Aber den Gerichten fehlten auch passende Fälle“, stellte Baer fest. Inzwischen habe aber das Bundesverfassungsgericht zum Beispiel klargestellt, dass rassistische Äußerungen im Betrieb eine fristlose Kündigung rechtfertigen und dass ein Sportverein rechtsextremistische Mitglieder ausschließen darf.

Auch die EU, auf die das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zurückgeht, habe wichtige Impulse gesetzt, erinnert Baer. Das 2002 in Deutschland beschlossene AGG verbietet Diskriminierungen im Arbeitsrecht und bei zivilrechtlichen Massengeschäften, etwa im Supermarkt oder am Disco-Eingang. Wie man allerdings die „geschmacklose Bemerkung vom Rechtsbruch unterscheidet“, das sei noch nicht ausdiskutiert.

Geschenk zum Geburtstag des Grundgesetzes

Skeptisch äußerte sich Baer gegenüber der Idee, dass Flüsse, Seen und Wälder eigene einklagbare Rechte haben könnten. „Da stellt sich doch ein Paternalismus-Problem“, sagte sie. „Wer nimmt denn dann für sich in Anspruch, dass er die Rechte der Natur vertritt? Das kann ja in viele verschiedene Richtungen gehen.“

Den Grundrechtereport nannte Baer „ein schönes Geschenk zum Geburtstag des Grundgesetzes“, auch wenn sie selbst nicht alle Inhalte des Buches teile. Es sei wichtig, dass sich die Zivilgesellschaft in die Diskussion um die Durchsetzung der Grundrechte einbringe. „Die Grundrechte sind immer unter Druck, vor allem wenn es um Grundrechte von Minderheiten geht“, so Baer, „sie müssen oft vor Gericht durchgesetzt werden und manchmal auch gegen die Gerichte.“

So ließ Baer Skepsis erkennen, ob präventive Demonstrationsverbote für propalästinensische Gruppen in Berlin gerechtfertigt waren. Letztlich berief sie sich aber auf ihre „nachamtliche Zurückhaltung“. Susanne Baer war erst im Februar nach Ende ihrer 12-jährigen Amtszeit als Verfassungsrichterin ausgeschieden.

Kritik von der Letzten Generation

Als zweiter Präsentator kritisierte Simon Lachner von der Letzten Generation die feindselige Haltung vieler Medien, Po­li­ti­ke­r:in­nen und Au­to­fah­re­r:in­nen gegenüber den Klima-Aktivist:innen. „Wir werden bespuckt, geschlagen und mit kaltem Wasser und heißem Kaffee beschüttet.“ Die Gerichte nehme er dagegen differenziert wahr. „Die Richter suchen oft einen Mittelweg. Sie wollen uns nicht allzu hart bestrafen, weil sie unser Engagement schätzen, aber ein Freispruch ist dann eben auch nicht drin.“

Susanne Baer erinnerte daran, dass es notwendig zum zivilen Ungehorsam gehöre, die Bestrafung für den gezielten Rechtsbruch in Kauf zu nehmen. Durch diese Bereitschaft, Lasten auf sich zu nehmen, werde an die Gesellschaft appelliert, ihre Haltung zu überdenken. „Wenn ich von einem Recht auf Widerstand höre, werde ich ganz unruhig“, sagte Baer, „das nehmen ja auch Rechtsradikale für sich in Anspruch, die unseren Staat überhaupt nicht akzeptieren.“

Insgesamt umfasst der Grundrechtereport, der sich als „alternativer Verfassungsschutzbericht“ versteht, in diesem Jahr 39 Beiträge. Bemerkenswert ist etwa der Hinweis von Rechtsanwalt Lukas Theune, dass Polizisten in Hessen pauschal 2.000 Euro erhalten, wenn sie im Dienst oder außerhalb des Dienstes angegriffen werden und so einen Dienstunfall erleiden. Dieser Anreiz, Vorfälle zu melden, die wohl nicht näher überprüft werden, könne zu stark ansteigenden Zahlen von angeblicher Gewalt gegen Polizisten führen, so der Anwalt, die dann wieder für die Verschärfung von Gesetzen genutzt werden.

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