Tür­k*in­nen in Deutschland: Warum Erdoğan so beliebt ist

Viele Tür­k*in­nen in Deutschland wählen konservativ. Das hat nicht nur demografische Gründe, sondern hat auch mit Ausgeschlossensein zu tun.

Türkische Fahne mit Erdogans Gesicht wird aus einem offenen Autofenster gehalten

Erdoğans Fans feiern in Duisburg-Marxloh am 14. Mai Foto: Christoph Reichwein/dpa

Im Ringen um die türkische Präsidentschaft läuft Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan in Deutschland außer Konkurrenz. Zwar ging in der ersten Wahlrunde nur knapp die Hälfte der 1,5 Millionen Tür­k*in­nen in Deutschland überhaupt zur Wahl, doch die stimmten ganz überwiegend für den Amtsinhaber. Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu bekam nur ein knappes Drittel der Stimmen.

Warum halten die türkischen Wäh­le­r*in­nen in Deutschland so deutlich zu einem Autokraten, der die Demokratie in ihrem Herkunftsland systematisch demontiert und die dortige Wirtschaft ruiniert hat?

Ex­per­t*in­nen verweisen als Erklärung insbesondere auf die geografische und soziale Herkunft der türkischen Gastarbeiter, die in den 60er Jahren nach Deutschland geworben wurden. „Es sind vor allem Menschen aus dem konservativ-religiösen Unterschichtsmilieu vom Land gekommen“, sagt Yunus Ulusoy, Programmleiter bei der Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung.

Er spricht von „mitgebrachten politischen und weltanschaulichen Überzeugungen“. Die habe die Gastarbeitergeneration auch an ihre Kinder und deren Kinder weitergegeben. Und wer konservativ ist, stimmt eben für Erdoğan.

Nirgendwo so beliebt wie im Ruhrgebiet

Das Gleiche zeigt sich in anderen Staaten, die einst Gast­ar­bei­te­r*in­nen aus den ländlichen Regionen der Türkei anwarben. In Österreich und Belgien erhielt Erdoğan unter den Tür­k*in­nen sogar noch größere Stimmanteile als in Deutschland.

Hacı-Halil Uslucan, Professor für Integrationsforschung an der Uni Duisburg-Essen, sagt: „In Großbritannien und den USA ist es genau andersherum. Nach dort gingen die westlich orientierten und akademisch gebildeten Schichten aus den Städten.“ Das zeigt sich an den Wahlergebnissen: 18 Prozent der Tür­k*in­nen in Großbritannien wählten Erdoğan, in den USA waren es sogar nur 16 Prozent.

Ähnliches lässt sich teils auch innerhalb Deutschlands beobachten. Nirgendwo im Bundesgebiet erhielt Erdoğan im ersten Wahlgang so hohe Stimmenanteile wie unter den rund 500.000 türkischen Staats­bür­ge­r*in­nen im Ruhrgebiet, in Essen wählten ihn fast 80 Prozent. Die dortige Schwerindustrie hatte in den 60er Jahren besonders viele Berg­ar­bei­te­r*in­nen aus den Schwarzmeer-Regionen der Türkei geworben. Dort erhält Erdoğan heute ähnlich hohe Stimmanteile wie im Ruhrgebiet.

Ganz anders Berlin, wo rund 90.000 Menschen mit türkischem Pass leben. Viel Schwerindustrie gab es hier nie, die lange geteilte Großstadt zog andere Menschen an. Uslucan sagt: „Das türkische Milieu in Berlin ist kritischer, viele kamen auch 2016 nach dem gescheiterten Putschversuch.“ Im ersten Wahlgang erhielt Erdoğan hier deutlich weniger Stimmen als im Rest Deutschlands. Für ihn und Kılıçdaroğlu stimmten jeweils rund 49 Prozent der Wahlberechtigten.

Von der deutschen Mehrheitsgesellschaft entfremdet

Zum sozialen, geografischen und demografischen Hintergrund der Tür­k*in­nen in Deutschland kommen noch weitere Faktoren, die die Zustimmung zu Erdoğan in die Höhe treiben. Etwa, dass die Wäh­le­r*in­nen in Deutschland vor vielen negativen Folgen von Erdoğans Politik abgeschirmt sind. „Repression, Wirtschaftskrise und Inflation in der Türkei treffen diese Leute einfach nicht“, sagt Uslucan. Auch das Erdbeben im April und die katastrophalen Folgen betreffen höchstens Verwandte.

„Stattdessen sehen die Leute positive Veränderungen, etwa in den Konsulaten“, sagt Uslucan. „Dort wurden sie lange von der Elite von oben herab behandelt, geradezu erniedrigt.“ Das habe sich unter Erdoğan deutlich geändert, auch das Wählen selbst sei einfacher geworden.

Erdoğans konservative Motive von Nationalstolz und Religion verfangen aber auch, weil viele Tür­k*in­nen sich von der deutschen Mehrheitsgesellschaft entfremdet fühlen. Das geht insbesondere auf die unseligen deutschen „Integrationsdebatten“ zurück, die, befeuert von konservativen deutschen Po­li­ti­ke­r*in­nen, seit Jahrzehnten Menschen aus muslimischen Ländern herabsetzten. „Auch der dritten Generation der Türken in Deutschland wird streitig gemacht, wirklich dazuzugehören“, fasst Ulusoy zusammen.

Und Uslucan sagt: „In den Integrationsdebatten geht es fast immer in negativer Weise um Türken und Muslime. Und dann kommt ein Präsident, der sagt: Ihr gehört zu uns.“ Die Botschaft: Das Land, in dem ihr lebt, kümmert sich nicht um euch, aber wir schon. „Diese Umarmung wirkt.“

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