Energiewende im Norden: Windkraftausbau kann weitergehen

Baustopp abgewendet: Das Oberverwaltungsgericht Schleswig weist Klagen gegen den Regionalplan zur Windkraftplanung in Schleswig-Holsteins Mitte ab.

Windräder auf einem Feld vor einem Regenbogen

Weiter nach Plan: Windräder auf einem Feld in Schleswig-Holstein Foto: Frank Molter/dpa

SCHLESWIG taz | Wo brüten die Zwergschwäne? Wann ist eine Siedlung ein Dorf? Um solche Fragen ging es vor dem Oberverwaltungsgericht in Schleswig – zumindest indirekt. Eine Landwirtin und eine Gemeinde aus der Mitte Schleswig-Holsteins hatten gegen die Windkraftplanung der Landesregierung geklagt. Sie stellten dabei die Kriterien infrage, nach denen das Land die Gebiete ausgewählt hat, in denen Windkraft Vorrang haben soll. Auch gegen die Regionalpläne im Norden und Südwesten des Landes gab es Klagen. In einem Fall hatte das Gericht den Klägern recht gegeben. Im aktuellen Verfahren entschied die Kammer zugunsten des Landes, der Plan hat damit Bestand.

Beim Ausbau der Windkraft „geht es nicht um Spaß an der Freud’, sondern um Klimaschutz“, sagte Anwalt Timo Hohmuth. Er vertrat in Schleswig eine Landwirtin, die im Kreis Rendsburg-Eckernförde Land besitzt und Mitglied eines Bürgerwindparks ist. Der Park würde gern weitere Mühlen errichten, die Landwirtin würde ihre Fläche dafür geben. Aber weil Zwergschwäne in der Nähe brüten und fressen, hat die Landesregierung ihre Wiesen zu einer „weichen Tabuzone“ erklärt und damit gesperrt.

Die Gemeinde Krummbek dagegen will verhindern, dass Mühlen zu dicht an die Grenzen einer Siedlung außerhalb des Dorfes heranrücken: „Das würde jede Entwicklungsmöglichkeit totmachen“, sagt Brigitte Vöge-Lesky, die Bürgermeisterin der Gemeinde im Kreis Plön.

Beide Parteien greifen mit ihren Klagen das grundsätzliche Vorgehen des Landes an – wieder einmal. Bereits 2015 hatte ein Gericht nach einer Reihe von Klagen die damalige Windkraftplanung gekippt. Bis 2020 ließ sich das Land Zeit, um eine neue Verordnung aufzustellen. Am Ende wies die Planungsabteilung 344 Vorranggebiete für Windenergie mit einer Gesamtfläche von 32.000 Hektar aus, das entspricht zwei Prozent der Landesfläche. Ausgeschlossen waren Gebiete, die zu dicht an Wohnhäusern oder Naturschutzflächen liegen.

Windkraftausbau stockt

Weil in der mehrjährigen Planungsphase kaum neue Anlagen zugelassen wurden, geriet der Windkraftausbau im früheren Energiewende-Musterland ins Stocken. Energiewendeminister Tobias Goldschmidt (Grüne) sieht das Land inzwischen wieder „auf Erfolgskurs“: Fast ein Viertel des bundesweiten Nettozubaus für Windenergie habe im vergangenen Jahr in Schleswig-Holstein stattgefunden, sagte er im April beim Windbranchentag in Husum. Der Blick in den Norden solle für andere „ein Mutmacher“ sein. Die schwarz-grüne Landesregierung will Schleswig-Holstein zum „ersten klimaneutralen Industrieland“ machen. Ein Schritt dahin ist der Bau einer Fabrik für Batterien an der Westküste.

Doch seit März müssen Wind­kraft­be­trei­be­r*in­nen wieder zittern: Das Oberverwaltungsgericht sah einen „Abwägungsmangel“ beim Regionalplan für den Norden des Landes. Weil der Status von zwei Naturschutzgebieten nicht feststeht, ist die gesamte Planung hinfällig. Denn je nachdem, ob in den Gebieten Windräder zugelassen werden oder nicht, verschiebt sich der Bedarf an weiteren möglichen Flächen.

Der Landesverband Erneuerbare Energien Schleswig-Holstein sieht die Lage mit Sorge. Auf keinen Fall dürfe es erneut ein Moratorium geben: „Das würde den Ausbau zum Stoppen bringen“, so Landesgeschäftsführer Marcus Hrach in einer Mitteilung im März. Zum jetzigen Urteil sagte er auf taz-Anfrage: „Die Landesplanung ist gefragt, so schnell wie möglich neue Flächen für moderne Windenergieanlagen rechtssicher auszuweisen.“ Dabei müsse die Regierung das Ziel der Klimaneutralität bis 2040 mitdenken.

Mit diesem „übergeordneten Ziel zum Wohle der Allgemeinheit“ argumentierte auch Anwalt Timo Hohmuth für einen weiteren Ausbau von Windparks. Angesichts von Klimawandel und Ukraine-Krieg hätte sich die Meinung zu erneuerbaren Energien gewandelt, doch das sei nicht berücksichtigt worden. Er habe daher weiter „erhebliche Zweifel“, sagt er der taz: „Aus meiner Sicht ist das Gericht sehr wohlwollend mit der Planung des Landes umgegangen.“

Der Verwaltungsrechtler Wolfgang Ewer, der die Landesregierung vertrat, sah es anders: Einen absoluten Vorrang für den Klimaschutz gebe es nicht. Aber auch die Klage der Gemeinde Krummbek sah er kritisch: Es habe ausreichende Bürgerbeteiligung gegeben.

40 Klagen im Süden

Diese Meinung teilte das Gericht: Das Land habe mit 67 Vorrangflächen auf rund 4.800 Hektar Land die Belange des Klimaschutzes ausreichend berücksichtigt, daher brauche es die Flächen der Landwirtin nicht.

Auch die Klage der Gemeinde Krummbek wurde abgelehnt: Der kleine Ortsteil sei eine „Splittersiedlung“, für die andere Regeln gelten als für ein geschlossenes Dorf. Daher dürfen die Windräder auf 400 Meter an die Häuser heranrücken.

Zurzeit stellt die schwarz-grüne Landesregierung neue Regionalpläne auf, um mehr Windflächen ausweisen zu können. Aber auch das Gericht hat sein letztes Wort noch nicht gesprochen: Gegen den Planungsraum im Südwesten des Landes liegen über 40 Klagen vor.

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