Asylpolitik der Grünen: Bruch mit der eigenen Linie

Vor der EU-Innenministerkonferenz rücken die Grünen von ihren eigenen Asylgrundsätzen ab. Offenbar tragen sie die weitere Abschottung Europas mit.

Ein Stapel Schlauchboote liegt im Hafen von Dover, England

Zeugnisse der Flucht über den Ärmelkanal: Boote im Hafen von Dover Foto: Gareth Fuller/dpa

Nächste Woche wollen die EU-Innenminister entscheiden, wie es mit dem Asylrecht weitergeht, und führende Grüne erfinden immer neue Gründe, warum sie dabei ihre eigene Beschlusslage zu verraten gedenken. Diese lehnt „Massenhaftlager“ und Asyl-Schnellverfahren an den Außengrenzen klar ab – und genau das hat die EU vor.

Nun behauptete Außenministerin Annalena Baerbock, dies diene einer „solidarischen Verteilung“. Niemand dürfe „länger als einige Wochen im Grenzverfahren stecken“, Familien mit Kindern müssten ausgenommen sein. Ohne eine „gemeinsame europäische Antwort“ gebe es mehr Abschottung und Zäune.

Es ist ein neuer Versuch, einen eklatanten Bruch mit den eigenen Positionen zu verschleiern. Denn das neue Asylsystem wird die weitere Abschottung nicht ersetzen, wie Baerbock suggeriert, sondern ist vielmehr deren integrales Element. Erst kürzlich sagte auch Robert Habeck, er könne sich den Bau neuer Zäune vorstellen. Menschen werden nicht wochen-, sondern monatelang in den Lagern bleiben – das zeigt alle Erfahrung der Vergangenheit mit der Internierung Schutzsuchender. Der aktuelle Verhandlungsstand sieht vor, dass auch unter 12-Jährige nicht automatisch ausgenommen sind.

Der Solidaritätsmechanismus schließlich, den die neue Regelung bringen soll – den gibt es bereits. Deutschland hält sich selbst nicht daran: 3.000 Plätze hatte die Ampel von 2022 bis Mitte dieses Jahres zugesagt, doch laut den letzten offiziellen Zahlen sind erst 520 Menschen darüber gekommen. So läuft freiwillige Aufnahme meistens: kleine Kontingente, schleppend umgesetzt. Und dabei wird es bleiben. Denn die „solidarische Verteilung“, die Baerbock preist, ist eben nicht verbindlich, sondern freiwillig. Verbindlich soll nur die Pflicht sein zu zahlen, wenn nicht aufgenommen wird – etwa für mehr Grenzschutz. Dass die EU-Staaten unter der neuen Regelung plötzlich zu mehr bereit sein sollen, ist Propaganda für ein System, das nicht mehr oder humanerer Aufnahme dienen soll, sondern weniger.

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Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social

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