Kritischer Aktionär über Aktivismus: „Druck ist am effektivsten“

Torten bei der VW-Hauptversammlung, Resolution beim Aktionärstreffen von Shell: Wie Aktivisten Macht bei Konzernen erlangen, erklärt Tilmann Massa.

Ein Security hält eine Aktivistin am Arm fest

Klima-Aufruhr bei der VW-Hauptversammlung vor zwei Wochen, später kam noch ein Tortenwurf dazu Foto: Britta Pedersen/dpa

taz: Herr Massa, wie viele Tortenwürfe auf Hauptversammlungen haben Sie schon gesehen?

Tilman Massa: Das war tatsächlich mein erster.

Tilman Massa ist Co-Geschäftsführer beim Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Zusammen mit zivilgesellschaftlichen Initiativen und Organisationen bringt die Aktionärsvereinigung Themen wie Klimagerechtigkeit und menschenrechtliche Sorgfalt anhand konkreter Beispiele auf Aktionärsversammlungen ein.

Worum ging es?

Der Tag der VW-Hauptversammlung war der 80. Geburtstag von Aufsichtsratsmitglied Wolfgang Porsche. Der Wurf war wohl ein kritisches Statement gegen die Familien-Clan-Strukturen, in denen der Konzern geführt wird und die die Mehrheiten im Aufsichtsrat in der Hand halten. Auch konservative Fondsgesellschaften fordern schon lange, dass nach drei, spätestens vier Wahlperioden so ein Aufsichtsratsmandat niedergelegt werden sollte, das hat Porsche längst überschritten.

Sie selbst sind auch mit Kritik an VW zur Hauptversammlung gekommen. Was haben Sie dort gemacht?

Der Dachverband Kritische Aktionärinnen und Aktionäre vertritt Kleinaktionäre auf Hauptversammlungen vieler großer Konzerne. Die Aktionäre übertragen uns ihre Stimmrechte, sodass wir dort kritische Fragen stellen können, etwa zu menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, Klimaschutz oder Umweltschutzmaßnahmen. Wichtig ist uns, Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen entlang der Wertschöpfungsketten der Konzerne vor Ort die Möglichkeit zu geben, ihre Kritikpunkte und Forderungen äußern zu können.

Wen haben Sie diesmal eingeladen?

Haiyuer Kuerban vom Weltkongress der Uiguren. Er verdeutlichte in einem Redebeitrag die Situation der Uiguren in der chinesischen Region Ostturkistan/Xinjiang. Er sprach von Völkermord, den grausamen Haftbedingungen und Zwangsarbeit in Fabriken. In dieser Region betreibt Volkswagen im Rahmen eines Joint Venture „SAIC-Volkswagen“ ein Werk. Herr Kuerban fragte den Vorstand, was denn nun die tatsächliche Einflussnahme von VW auf dieses Werk ist und wie er ausschließen kann, dass dort keine Menschenrechte verletzt werden.

Was sagte der Vorstand?

Der blieb weiterhin vage. Er beharrte darauf, dass es so etwas in dem Werk und auch in den Lieferketten nach aktuellen Kenntnisstand nicht gebe. Auch bei Nachfragen auf konkrete Zulieferer, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsprogramm der chinesischen Regierung und der dort stattfindenden Zwangsarbeit in Verbindung stehen, blieb er hart. Deswegen ist es schon unglaubwürdig, weiterhin von keiner Kenntnis zu sprechen. Hinzu kommt, dass unabhängige Prüfungen der Zulieferer in der Region unmöglich sind, darum haben sich selbst Zertifizierungsfirmen wie TÜV-Süd und andere aus der Region zurückgezogen.

Auch eher konservative Investoren wie Deka und Union Investment äußerten sich sehr kritisch gegenüber dem Vorstand. Hat Sie das überrascht?

Nicht direkt, weil beide schon im Vorfeld im Dialog mit VW dazu standen und auch zuvor schon Nachfragen gestellt haben. Deka Investment hat neulich entschieden, VW nicht mehr in ihre nachhaltigen Fonds aufzunehmen. Solche Maßnahmen können dazu führen, dass es für VW schwieriger wird, sich über Kredite oder Anleihen Geld zu beschaffen. Es ist auf jeden Fall ein wichtiges Zeichen, dass auch Investoren sagen: Wenn ihr uns gegenüber nicht glaubhafter machen könnt, dass ihr genug tut, um Zwangsarbeit in euren Lieferketten auszuschließen, entziehen wir wirklich Gelder.

Es scheint VW aber nicht zu beeindrucken.

Es ist natürlich immer die Frage, was am effektivsten ist. Ein Argument ist: mit Divestment, also dem Abzug von Geldern, werden auch Einflussmöglichkeiten aufgegeben. Aber insgesamt fehlt uns der Nachweis, was diese Prozesse oder kritische Nachfragen wirklich etwas bringen. Ich denke, es ist am effektivsten, wenn so ein Konzern Druck von allen Seiten bekommt: von der Zivilgesellschaft und Medien wie auch von Investoren.

Machen die Investoren genug Druck auf VW?

In Bezug auf die Risiken von Zwangsarbeit müsste das Land Niedersachsen als großer wichtiger Aktionär von VW öffentlich sagen: Wir erwarten hier deutlich mehr nachvollziehbare Antworten und Transparenz, was genau der Konzern unternimmt. Und dass ein Zeitplan und klare Bedingungen formuliert werden, bis wann der Konzern vorlegen muss, was getan wird. Es müssten dann auch Konsequenzen folgen. Natürlich sehen die Anteilseigner auch, dass etwa eine Schließung des Werks im politischen Kontext von China noch viel weitere Konsequenzen hätte, aber die Maßgabe muss sein: Menschenrechte sind unverhandelbar.

Könnte über solche Bedingungen auf der Hauptversammlung abgestimmt werden?

Nach dem Aktiengesetz hat die Hauptversammlung zum operativen Geschäft kein Mitspracherecht. Das ist allein dem Vorstand vorbehalten. Wir schauen gerade, wie man das Aktienrecht in dieser Hinsicht reformieren könnte. Nicht, weil wir glauben, für relevante Abstimmungen auch sofort eine Mehrheit der Aktionäre überzeugen zu können, sondern um zumindest Transparenz zu schaffen. Dann könnte man sehen, wie sich andere Aktionäre, beispielsweise bei VW die Familien Porsche-Piëch und eben auch das Land Niedersachsen, zu der Forderung von unabhängigen Prüfungen der Lieferketten in China verhalten. Es würde vermutlich auch die ­Relevanz bestimmter Themen auf Hauptversammlungen stärken.

In den USA ist das möglich. Am heutigen Dienstag sollen Investoren von Shell über eine sogenannte Activist Resolution von aktivistischen Aktionären abstimmen.

Das ist auch eine Initiative, die versucht, mit Unterstützung kleiner Aktionäre klarere Ausstiegspläne aus fossilen Energien mit konkreten Maßnahmen einzufordern. Das ist ein Beispiel, wie in den USA das Format genutzt wird, dass über einen bestimmten konkreten Punkt abgestimmt wird.

Haben Sie denn das Gefühl, dass Investoren heute stärker auf Umwelt- und Menschenrechte achten?

Wir sehen vor allem, dass viele Maßnahmen oder das, was unter dem Label ESG (zu Deutsch: Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) läuft, dieses Versprechen nicht einlöst – zumindest nicht so, wie wir uns das vorstellen. Und insgesamt muss sich die ganze Finanzbranche und auch die Vermögensverwaltung die Frage stellen, welchen Einfluss sie genutzt haben, um Verbesserungen herbeizuführen, wenn es um Umweltschäden, Menschenrechtsverletzungen, Arbeitsrechtsverletzungen oder die Unterdrückung von Gewerkschaften etwa in kritischen Bereichen wie im Rohstoffsektor geht.

Im EU-Lieferkettengesetz werden gerade Sorgfaltspflichten auch von Investoren verhandelt.

Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten, wie sie etwa im deutschen Lieferkettengesetz für große Konzerne in Bezug auf ihre direkten Zulieferer gelten, müssten genauso für den Finanzsektor gelten. Denn gerade Banken und Versicherungen haben es bisher – auch durch erfolgreiche Lobbyarbeit – vermieden, gesetzlich in die Pflicht genommen werden zu können.

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