Bewegungsforscher über Letzte Generation: „Noch hat die Bewegung Vertrauen“

Der Staat geht mit Razzien gegen Ak­ti­vis­t:in­nen der Letzten Generation vor. Wohin soll das führen? Fragen an den Protestforscher Simon Teune.

festgeklebte Hand auf der Straße

Bei einer Blockade der Letzten Generation wird ein Aktivist von der Straße gelöst Foto: Paul Zinken/dpa

wochentaz: Herr Teune, vergangene Woche wurden deutschlandweit Razzien bei der Letzten Generation durchgeführt. Finden Sie die Aktion verhältnismäßig?

Simon Teune: Vor allem finde ich es spannend zu beobachten, an welcher Stelle der Staat Energien aufwendet und wo nicht. Man versucht mit aller Macht, die Ak­ti­vis­t:in­nen von der Straße zu bekommen. Das ist eine bezeichnende Reaktion. Es wird keine Anstrengung sichtbar, die Ursachen zu beseitigen, die die Letzte Generation überhaupt erst auf die Straße treiben. Die Schere zwischen dem Aufwand in der Verfolgung von Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen und dem realen Klimaschutz der Politik geht immer weiter auseinander.

Schon vor den Razzien konnte man sich über das Vorgehen der Po­li­zis­t:in­nen wundern. Bei den Blockaden sieht man immer wieder, wie sie die Gelenke der Ak­ti­vis­t:in­nen auf schmerzhafte Weise verbiegen. Warum geht die Polizei teils so brutal vor?

Diese Blockaden sind für die Polizei eigentlich sehr übersichtlich. Man hat da Leute vor sich sitzen, die sagen, von ihnen geht keine Gewalt aus und es gibt auch kein Beispiel dafür, dass das anders wäre. Trotzdem haben Räumungen mit Schmerzgriffen deutlich zugenommen über die Zeit. Das heißt, man wendet da Mittel an, die man gar nicht anwenden müsste, um die Situation zu klären. Und das reiht sich auch ein in den Umgang mit anderen Klimaaktivist:innen. Also es gibt da eine Kontinuität, die zeigt: Gewalt hat nicht nur die Funktion, eine Situation zu klären, sondern sie hat auch eine erzieherische Funktion. Dafür hat der Staat aber nicht das Gewaltmonopol.

ist politischer Soziologe mit dem Schwerpunkt Protest- und Bewegungsforschung an der FU Berlin.

Was führt dazu, dass die staatliche Gewalt zunimmt?

Ich glaube, dass das mit der öffentlichen Debatte zu tun hat. Es zeigt ja schon eine gewisse Haltung, wenn die Berliner Innensenatorin sagt, die Gewalt von Au­to­fah­re­r:in­nen gegen die Letzte Generation müsse man ja „leider auch verfolgen“. Oder wenn die Bundesinnenministerin wiederum sagt, „wir müssen mit aller Härte gegen die Proteste vorgehen“. Das ist natürlich auch ein Signal, das von den Po­li­zis­t:in­nen gehört wird.

Viele Menschen haben sich besorgt geäußert, die Kriminalisierung könnte die Protestierenden in die radikale Ecke treiben. Sehen Sie diese Gefahr auch?

Die Klimabewegung und die Letzte Generation zeichnen sich bislang durch ein großes Vertrauen in die demokratischen Institutionen aus. Aber wenn Politik und Institutionen den Ak­ti­vis­t:in­nen jetzt zunehmend feindselig gegenüberstehen, kann sich das auch ändern. Das heißt nicht, dass Letzte Generation und Fridays for Future zur grünen RAF werden. Gewaltfreiheit ist ein Prinzip und keine Taktik, die man einfach so aufgibt.

Immer wieder werden Vergleiche zwischen Klimaaktivismus und Protesten der Vergangenheit gezogen, etwa zur Studentenbewegung der 60er. Was unterscheidet die Klimabewegung eigentlich von früheren Bewegungen?

Generell steht die Klimabewegung vor einer überwältigenden Aufgabe. Nämlich buchstäblich die Welt zu retten, wie wir sie kennen. Und das unter dem Zeitdruck, den die Klima­krise mit sich bringt. Andere soziale Bewegungen konnten immer darauf setzen, dass ihre Forderungen im Laufe der Zeit in die gesellschaftlichen Debatten einsickern. Aber das ist eine Perspektive, die für das Aufhalten des Klimawandels einfach nicht ausreicht. Klimapolitik kann eben nur erfolgreich sein, wenn sie innerhalb von sehr kurzer Zeit eine sehr grundlegende Transformation einleitet.

Was bedeutet das für die Zukunft der Klimabewegung?

Die Not wird nicht geringer bei Gruppen wie der Letzten Generation. Und der Versuch dieser Straßenblockaden ist es ja, dieser Not eine Form zu geben. Wenn wir uns die Debatte über die Letzte Generation in fünf Jahren angucken, werden wir uns vielleicht sagen: Das waren gute Zeiten, als wir noch Leute hatten, die das Grundgesetz und die politischen Institutionen anerkannt haben. Denn es ist natürlich eine mögliche Entwicklung, dass sich kleine Gruppen in der Bewegung Gedanken über konfrontativeren Protest machen und möglicherweise Abstand nehmen von den demokratischen Institutionen, die sich gerade als nicht hilfreich erweisen in der Bewältigung der Klimakrise.

Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Warnungen vor einer sogenannten „Klima-RAF“?

Als der Aktivist Tadzio Müller diesen Begriff in die Debatte einbrachte, war das vielmehr eine Befürchtung als eine Drohung, auch wenn die Aussage dann teilweise so ausgelegt wurde. Das Argument war ja nicht: „Wenn ihr nicht macht, was die Klimabewegung fordert, dann gründen wir die neue RAF“, sondern: „Wenn das Problem nicht von den Institutionen gelöst oder angegangen wird, dann besteht diese Gefahr.“

Die Kriminalisierung hat in den letzten Tagen wieder mehr Menschen zu den Protestmärschen getrieben. Die Letzte Generation geht davon aus, dass sie eine kritische Masse braucht, um die gewünschte politische Veränderung zu erreichen. Kann man so die Transformation herbeiführen?

Die Annahme, dass nur genug Leute mitmachen müssen und dann ändert sich etwas, halte ich für ein bisschen unterkomplex. Außerdem sind die Forschungen, auf denen diese Annahme beruht, gar nicht für liberale Demokratien entstanden, sondern für autoritäre Regime. Ich glaube nicht, dass es eine Formel gibt, nach der sich Gesellschaft verändern lässt. Zumal es hier um grundsätzliche Fragen geht, wie der Transformation einer ganzen Wirtschafts- und Lebensweise, in der der globale Norden auf Kosten des globalen Südens lebt. Ich bin sehr skeptisch, dass es eine kritische Masse an Protestierenden gibt, ab der die Leute an der Macht nicht mehr anders können, als sich auf die Forderungen einzulassen.

Was braucht es stattdessen?

Das Problem ist ja nicht, dass es kein gesellschaftliches Interesse gäbe. Sondern es gibt einfach eine politische Blockade. Und das ist die Nuss, die man nicht geknackt kriegt, weder mit Straßenblockaden noch mit einem Gesellschaftsrat. Das verändert sich nur dann, wenn der Druck für eine andere Politik wirklich gesamtgesellschaftlich da ist.

Wie könnte das aussehen?

Im Moment ist es sehr bequem für fossile Akteure. Die FDP kann sagen, das Tempolimit wollen die Leute ja gar nicht, auch wenn das empirisch nicht stimmt. Aber wenn der ADAC das als Forderung aufnimmt, weil er sich damit auseinandersetzt, was die Klimakrise für den Verband und die Mitglieder bedeutet, würde das die Situation verändern. Das ist der Punkt, den es jetzt braucht: dass sich alle Akteure mit ihrer eigenen Verantwortung für die Klima­krise auseinandersetzen.

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