Private Unterbringung Geflüchteter: Sie würden es wieder tun

Die private Unterbringung von UkrainerInnen war und ist ein gesellschaftliches Experiment. Eine Umfrage zeigt, es ist geglückt – mit Einschränkungen.

Zwei junge Menschen stehen auf dem Bahnhof, dei Frau trägt ein Schild: We offer 2 free beds

März 2022 am Berliner Hauptbahnhof: Warten auf Geflüchtete Foto: Dagmar Schwelle/laif

Mit Gästen, heißt es, ist es wie mit frisch gefangenem Fisch, spätestens nach drei Tagen hat man keine so rechte Freude mehr daran. Nun haben seit Februar 2022 sehr viele Menschen in Deutschland ukrainische Geflüchtete sehr viel länger bei sich zu Hause aufgenommen. 60.000 fanden allein über die Initiative #UnterkunftUkraine einen Schlafplatz in einer Privatwohnung. Vier Monate lebten die Neuankömmlinge im Schnitt bei den Gastgebenden, heißt es in einer kürzlich veröffentlichten Umfrage des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung. Bei jenen, die noch zum Zeitpunkt der Befragung UkrainerInnen beherbergten, waren es sogar fast sechs Monate.

Das Schöne daran: Der allergrößte Teil der Befragten bewertet das Zusammenleben positiv. So ganz kann der Fisch-Vergleich also nicht stimmen. Hinter den Zahlen stecken allerdings viele individuelle Geschichten. Neben den bereichernden Momenten erzählen Gastgebende auch von Alltagsnervereien. Wenn die neuen MitbewohnerInnen bei offenem Fenster die Heizung aufdrehen. Wenn das Spielzeug der Kinder kaputtgeht. Wenn in einem vegetarischen Haushalt ständig Fleisch auf dem Herd steht. Oder wenn jemand vielleicht selten Danke sagt.

Für die Geflüchteten, die teils alles verloren haben, muss das Zusammenleben mit Fremden auf ­engem Raum noch ungleich schwieriger sein. Die Rolle als Bittstellende übernimmt niemand gerne. Die private Unterbringung ist ein Wagnis für beide Seiten.

Umso erfreulicher ist es, dass das Ergebnis der Umfrage so positiv ausfällt. Denn die private Unterbringung von UkrainerInnen war und ist auch ein großes gesellschaftliches Experiment. 2015 gab es etwas Vergleichbares in diesem Maße nicht, die Menschen aus dem Nahen Osten mussten damals Asyl beantragen und für die Dauer des Verfahrens in Sammel­einrichtungen wohnen. UkrainerInnen dagegen dürfen ohne Visum in die EU einreisen – und bei Privatleuten schlafen.

Herzliche Willkommenskultur

Fast 90 Prozent der Gastgebenden sagen nun, sie würden wieder Geflüchtete bei sich aufnehmen. Was toll ist für die Willkommenskultur in diesem Land, aber auch für die Geflüchteten, die in einem privaten Umfeld – bei allen Herausforderungen – sicherlich mehr Hilfe bekommen als in der staatlichen Unterbringung.

Experiment geglückt? Nicht ganz. Ein Teil von denen, die sagen, sie würden es wieder tun, knüpft das an Voraussetzungen. Die bürokratischen Hürden müssten abgebaut werden, fordern sie, es brauche auch mehr finanzielle Unterstützung. Vor allem fühlen sich viele bei der Frage der Folgeunterbringung allein gelassen. Wer Geflüchtete bei sich zu Hause aufnimmt, braucht eine Exit-Möglichkeit. Die temporären MitbewohnerInnen in eine Massenunterkunft an einem anderen Ort zu schicken? Das bringen viele nicht übers Herz. Die Wohngemeinschaft wird dann zur Zwangsgemeinschaft. Die private Unterbringung heißt eben nicht, den Staat aus der Verantwortung zu entlassen, so viel machen die Gastgebenden klar.

Vielleicht bewerten viele von ihnen das Erlebte auch deshalb so positiv, weil es ihnen selbst gutgetan hat? Ohnmacht angesichts globaler Krisen wie Pandemie, Klima­erwärmung, Krieg ist ein erdrückendes Gefühl. Die Gastgebenden verfolgen den Krieg in der Ukraine nicht nur, sie tun etwas, im Kleinen, sie sind eben nicht ohn-, sondern wirkmächtig. Wenn ein Teil der Wahrheit darin liegt, dass sie nicht nur Geflüchteten helfen, sondern ein bisschen auch sich selbst – umso besser.

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