Theaterstück „Der Morgenstern“: Größer als das Leben

Das Hamburger Schauspielhaus adaptiert Karl-Ove Knausgårds Roman „Der Morgenstern“ als spektakuläre Live-Verfilmung. Die Frage ist nur: wozu?

Eine Gruppe Meschen - das Ensemble von "Der Morgenstern" am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg

Spielt kleine Dramen auch mal komödiantisch überzeichnet: das Hamburger „Morgensterrn“-Ensemble Foto: Thomas Aurin

Aus knapp 900 Romanseiten mit neun Episoden und neun Hauptfiguren wird ein Theaterabend von drei Stunden Länge. Von einem Stern wird erzählt, der über der norwegischen Stadt Bergen aufgegangen ist und mysteriöse Veränderungen mit sich bringt: Tiere verhalten sich seltsam, ein Toter wird bei der Autopsie wieder lebendig. Eine düstere Ahnung macht sich breit: Es ist die Apokalypse, die hier heraufzieht.

Das bringt Anforderungen mit sich für alle Beteiligten – für die Hauptfiguren, die ihre Leben mit all ihren Schieflagen weiterleben und den Stern nicht zur Kenntnis nehmen. Und für die Zuschauer*innen, die all die individuellen Alltagsgeschichten vorgeführt bekommen – und darüber hinaus einen Weltuntergang zur Kenntnis zu nehmen haben. Was hier verhandelt wird, ist in der Summe also larger than life.

Vielleicht hatte Regisseur Viktor Bodo deshalb die Idee, seine Adaption von Karl-Ove Knausgårds „Der Morgenstern“ als Mischform aus Theater und Film zu konzipieren: Es gibt eine drehbare Bühne, die Wohnungen, Hotels, Galerien oder OPs präsentiert, in denen Schau­spie­le­r*in­nen agieren. Andererseits formen die verschiebbaren Bühnenelemente Flächen unterschiedlicher Größe, auf die Videos projiziert werden; viele davon auf oder hinter der Bühne live gefilmt und direkt übertragen.

Manchmal nehmen diese Projektionsflächen den gesamten Bühnenraum ein – das Schauspielhaus wird zum Breitwand-Kino. Zu sehen gibt es die Live-Verfilmung eines Romans unter Zuhilfenahme etlicher Filmzitate aus Fantasy, Mystery und Horror.

Keine Autofiktion

Erzählt werden lediglich zwei Tage Lebenszeit, allerdings aus der Perspektive unterschiedlicher Charaktere, darunter eine Pastorin, ein Journalist, seine Frau, ein Kindergärtner, ein saufender Schriftsteller. Anders als in den Romanen, für die er berühmt geworden ist, erzählt Knausgård in „Der Morgenstern“ nicht von sich selbst, vielmehr episodenhaft von diesen Figuren: Die Pastorin hält ihren Ehemann nicht mehr aus, weswegen der meint, sie würde ihn betrügen, und damit alles noch schlimmer macht. Der Kulturjournalist will eigentlich große Storys machen und baggert alternativ eine Künstlerin an. Der alkoholkranke Schriftsteller will nicht gestört werden durch seinen Sohn, versucht aber trotzdem, die zerrüttete Beziehung zu heilen.

Weniger schnell als die Zuschauer realisieren die Charaktere, dass es ihnen an den Kragen geht, seit der Stern da ist. Für die Zu­schaue­r*in­nen ist der Stern nicht anders zu begreifen als eine Metapher für ein Unheil, das alle betrifft: der Klimawandel, die Pandemie, der Krieg. Knausgårds apokalyptisches Szenario hat es heutzutage nicht schwer, einen realen Anker zu finden.

Das Ensemble spielt all diese kleinen Dramen oft mit einer komödiantischen Überzeichnung, die in Richtung Volkstheater geht. Es gibt kleine und große Gags und immer wieder wird das Geschehen auf eine Leinwand verlagert – weil jemand anruft oder gerade nicht auf der Bühne ist oder es ein interessanter Effekt ist, wenn die Schau­spie­le­r*in­nen auf der Bühne von hinten, ihre Gesichter aber in Großaufnahme von vorn zu sehen sind. Der Star des Abends ist das Videoteam, das die Kameras platziert, die Schau­spie­le­r*in­nen filmt, die Bilder schneidet, mischt und projiziert. Auch die Tonmeister und Sounddesigner haben viel zu tun: Diese Live-Verfilmung ist ein Meisterwerk der Koordination. Es ist ein Einsatz von Technik, den man eher von großen Musical-Produktionen kennt.

Viel Technik, kein Mehrwert

Die Frage ist nur: wozu? Das Konzept der Live-Verfilmung schadet nicht, liefert aber auch keinen Mehrwert. Von Zeit zu Zeit hält der Budenzauber Lücken bereit für schauspielerische Soli auf leerer Bühne; Monologe, die die Oberfläche verlassen und das Innere der Figuren zur Sprache bringen. Da wird es ernst – und schwer nachvollziehbar: Zu viel Material, textlich und technisch, ist zuvor die Bühne rauf- und runtergegangen; schwierig, sich einzufühlen, nichts durcheinanderzubringen, zu folgen.

Nächste Vorstellungen: 20. + 25. 5.; 7. + 18. 6., Hamburg, Deutsches Schauspielhaus

Der Weltuntergang, er bleibt am Ende letztlich eine Show im Schauspielhaus. Alles ist nur Theater, nur Film, nichts, das man allzu ernst nehmen muss. Es ist ein Abend, der beeindruckt durch das Viele, das er zu bieten hat. Aber was ihm fehlt, ist eine suggestive Kraft, um fortzuwirken.

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