Madjiguène Cissé ist gestorben: Die Anführerin der Sans Papiers

In Frankreich wurde sie als Vorkämpferin für die Rechte papierloser Afrikaner:innen bekannt. Jetzt ist Madjiguène Cissé mit 72 Jahren gestorben.

Cisse lacht sehr breit , sie trägt einen roten Pullover und eine hellbraune Kopfbedeckung

Anführerin mit globaler Ausstrahlung: Madiguène Cissé, 1951-2023 Foto: Amelie Losier

BERLIN taz | Sie sei „neuerdings öfter im Fernsehen als Chirac“, der französische Präsident, sagten Flüchtlinge im Sommer 1998 über Madjiguène Cissé. „Logisch“, fand sie das. „Wir sind schließlich die wichtigste Nachricht.“

Aus einem Schattendasein von Unsichtbarkeit, Entrechtung und ständiger Angst vor der Polizei hatte Madjiguène Cissé die Sans Papiers, die Hunderttausenden meist aus Afrika stammenden papierlosen Mi­gran­t:in­nen in Frankreich in die Hauptnachrichten gebracht – mit ihr als charismatischer Sprecherin an der Spitze.

Die Senegalesin, die Französisch, Deutsch und drei afrikanische Sprachen sprach, hatte Germanistik in Dakar und Saarbrücken studiert. 1994 ging sie nach Frankreich, damit ihre älteste Tochter Abitur machen konnte. Als ihre Aufenthaltsgenehmigung nicht verlängert wurde, setzte sie sich an die Spitze von rund 300 Familien, die am 18. März 1996 die Kirche Saint-Ambroise im 11. Pariser Arondissement besetzt hatten und ein Aufenthaltsrecht forderten. Als sie wenige Tage später vertrieben wurden, besetzten sie Plätze in Paris, organisierten Sternmärsche, denen sich immer mehr Mi­gran­t:in­nen im Land anschlossen. Die Proteste zogen sich über Jahre.

Den Fernsehbildern, auf denen Cissé zu sehen war, folgten bald darauf auch andere – von Polizisten, die bewaffnet Kirchen stürmten, um Afri­ka­ne­r:in­nen herauszuholen. Doch die gaben nicht auf – vor allem wegen der Hartnäckigkeit der Frauen, sagte Cissé. „Wir haben angefangen und wir werden weitermachen“, hatten diese gesagt, als ein Teil der Männer den Mut verloren habe. „Ohne die Frauen hätten wir es am Ende nicht geschafft, dass damals fast alle legalisiert wurden.“

Ein riesiges Frauennetzwerk in Senegal

1998 bekam Cissé dafür die Carl-von-Ossietzky-Medaille der Liga für Menschenrechte. Der Kampf der französischen Sans Papiers in Frankreich gab den Anstoß für Organisierungen in anderen Ländern, etwa der Gründung des Netzwerks Kein Mensch ist illegal in Deutschland.

Dass die Menschen in ihrer Heimat arm blieben, „obwohl sie den ganzen Tag arbeiten“, habe sie nie verstehen können, sagte Cissé. „Das hat mich politisiert.“ Ihr Vater arbeitete als Schulbusfahrer für französische Kinder während der Kolonialzeit. Eine antikoloniale Haltung war selbstverständlich für Cissé, doch die Entwicklung ihres Landes nach der Dekolonisierung sah sie kritisch. „Frankreich konnte gehen, weil die neue schwarze Bourgeoisie, die immer reicher wurde, Frankreichs Interessen verteidigte.“ Es gebe einen Witz in Senegal, sagte Cissé einmal, der so gehe: Ein paar Jahre nach der Unabhängigkeit fingen die Leute an zu fragen, wann endlich diese Unabhängigkeit zu Ende geht.

2000 gründete sie das „Netzwerk für Frauen für eine nachhaltige Entwicklung“, und wurde dessen Präsidentin. Über zehntausend Frauen organisierten sich im Laufe der Zeit in dem Netzwerk. Es vergab zinslose Mikrokredite, baute eine Frauensiedlung und richtete Frauenmarkthallen ein. Für die taz begleitete Cissé Gruppen der taz-Reisen in die Zivilgesellschaft nach Senegal.

Cissé starb am Montag im Alter von 72 Jahren in Dakar. Die Nationale Koordination der Sans Papiers in Frankreich schrieb, sie sei stolz darauf, eine „Führerin der sozialen, demo­kratischen und antifaschistischen Kämpfe wie Madjiguène hervorgebracht zu haben“.

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