Hunger auf die Bohne

Im Dezember 2022 prognostizierte das brasilianische Landwirtschaftsamt Conab eine Rekordernte für 2023 von 153,47 Millionen Tonnen Sojabohnen. Ein zentraler Grund dafür ist der erneute Anstieg der Anbaufläche um 1,8 Millionen Hektar auf nunmehr 43,3 Millionen Hektar. Binnen zehn Jahren wurde die Sojaanbaufläche um 15,6 Millionen Hektar ausgebaut – also rund um ein Drittel. Das sind gigantische Flächen, die vor allem den Cerrado haben schrumpfen lassen. Der steht, anders als die Amazonasregion Brasiliens, nicht unter einem Sojaanbaumoratorium. Mit diesem haben sich die großen Agrarkonzerne verpflichtet, kein Soja auf Kosten des Regenwaldes anzukaufen.

Ein Big Player der Sojabranche ist das Condomínio Cachoeira do Estrondo. Das zu Beginn der 1990er Jahre von dem brasilianischen Geschäftsmann Ronald Guimarães Levinsohn gegründete Unternehmen wird von drei Gesellschaften verwaltet: Delfim Crédito ImobilárioS/A., Colina PaulistaS/A und Companhia de Melhoramento do Oeste da Bahia (CMOB). In diese ist der Nachlass des 2020 verstorbenen Levinsohn übergegangen. Die verschachtelten Besitzstrukturen folgen einer Logik: zu verschleiern, wem die bis zu 440.000 Hektar Anbaufläche der Fazenda Estrondo gehören. Das ergibt Sinn, denn laut einem Gutachten des Nationalen Instituts für Kolonisierung und Agrarreform (Incra) ist die Farm das Ergebnis der illegalen Aneignung von öffentlichem Land im Bundesstaat Bahia.

Trotzdem wird an den dubiosen Besitzverhältnissen nicht gerüttelt. Das hat unterschiedliche Gründe: Die immense Nachfrage nach brasilianischem Soja vor allem seitens der Europäischen Union und Chinas haben dazu geführt, dass die Soja­lobby auch politisch deutlich stärker ist als noch vor wenigen Jahren. Zweimal haben Brasiliens Großgrundbesitzer dem Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro den Wahlkampf finanziert. Die Opposition gegen die aktuelle Regierung von Luiz Ináncio Lula da Silvas ist einflussreich, und das Argument der Arbeitsplätze wird gern ins Feld geführt. Hinzu kommt eine schwache Justiz, von der auch die Be­sit­ze­r:in­nen der Fazenda Estrondo profitieren.

Sicher ist, dass das Gros ihrer Sojasilos in der Kleinstadt Formosa do Rio Preto steht und dass die Sojabohnen direkt an die den Weltmarkt dominierenden Agrarkonzerne Cargill, Archer Daniels Midland (AMD), Cofco oder Bunge ausgeliefert werden. Das forciert das agroindustrielle Modell, welches große Teile der brasilianischen Landwirtschaft prägt, und ist mitverantwortlich dafür, dass das zweitwichtigste Ökosystem Brasiliens gefährdet ist: der Cerrado. Er hat nahezu die Hälfte seiner Fläche bereits eingebüßt. Doch bisher hat sich die Regierung Lula da Silvas nicht zum Schutz des Cerrado bekannt. Knut Henkel