Vergewaltigungsurteil in Senegal: Unschuldig – und schuldig

Senegals populärster Oppositionsführer Ousmane Sonko erzielt in seinem Vergewaltigungsprozess einen Freispruch. Nun soll er wegen „Verführung“ in Haft.

Adji Sarr, die Klägerin gegen Ousmane Sonko, mit ihrem Anwalt im Dezember 2022 Foto: Seyllou /afp/getty

BERLIN taz | Niemand kann zufrieden sein mit dem Urteil, das ein Gericht in Senegals Hauptstadt Dakar am Donnerstag zum Abschluss des Vergewaltigungsprozesses gegen den populistischen Oppositionsführer Ousmane Sonko gefällt hat. Sonko wurde vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen – aber zu zwei Jahren Haft wegen „Verführung Jugendlicher“ sowie einer Geldstrafe von 600.000 CFA-Franc (umgerechnet 915 Euro) verurteilt.

Damit kann der gefährlichste Rivale von Präsident Macky Sall, der seit Jahren die unzufriedene Jugend gegen eine als unfähig verschrieene Staatsmacht mobilisiert, nicht zur Präsidentschaftswahl 2024 antreten. Aber im Hauptanklagepunkt hat Sonko gewonnen, sein mutmaßliches Opfer Adji Sarr steht als Lügnerin da.

Adji Sarr arbeitete im Massagesalon „Sweet Beauté“ in Dakar, den Ousmane Sonko regelmäßig aufsuchte, um sich nach eigenen Angaben den Rücken massieren zu lassen. Am 2. Februar 2021 erstattete die damals 21-Jährige Anzeige gegen den bekannten Politiker: Er habe sie seit Juni 2020 fünfmal sexuell bedrängt und vergewaltigt. Nach dem fünften Mal fuhr eine Freundin sie zur Polizei.

Im zutiefst konservativ-religiösen Senegal, wo Vergewaltigung erst seit 2020 als Verbrechen strafbar ist und man über Sex nicht laut spricht, kam es, wie es kommen musste: Sonko kam der polizeilichen Vorladung nicht nach und sprach von einem Komplott, er mobilisierte seine Anhänger und wurde schließlich wegen Anstiftung zum Aufruhr festgenommen, was schwere Unruhen mit 13 Toten nach sich zog.

Nachdem er angeklagt wurde und unter Auflagen auf freiem Fuß blieb, war Sonko der Volksheld und Adji Sarr, deren Name längst öffentlich war, wechselweise eine käufliche Marionette der Staatsmacht oder eine manipulative Intrigantin. Sie musste ihren Job aufgeben und lebte versteckt unter Polizeischutz in Erwartung des Prozesses.

Nach der Massage wollte er „mehr“

Dass ausgerechnet ihr Fall vor Gericht kam, während in Senegal Vergewaltigungen fast nie geahndet werden, hat Adji Sarr für manche Frauenverbände suspekt gemacht, für Senegals Opposition sowieso. Sie konnte nun nichts mehr richtig machen. Wenn sie keine Details preisgab, warf man ihr Lüge vor. Wenn sie Details preisgab, ebenfalls.

Beim ersten Mal, erzählte sie in einem Interview, habe Ousmane Sonko nach der Massage „mehr“ verlangt und gedroht, er werde eines Tages Präsident sein und niemand würde ihr glauben, wenn sie sich beschwert. Beim zweiten Mal „hat er mich sodomisiert, sein Penis war mit Exkrementen bedeckt“, dann habe er sie zum Oralverkehr gezwungen, sagte sie vor Gericht. Seine eigenen Frauen seien sehr gläubig, mit denen könne er das nicht machen, habe Sonko ihr als Rechtfertigung gesagt.

In der Öffentlichkeit empörte man sich nach ihrer Aussage vor allem darüber, dass sie so was öffentlich sagt – noch dazu im aufreizenden roten Kleid, wurde ihr vorgehalten. Vor Gericht wurde ihr vorgeworfen, sie habe keine „materiellen Beweise“ vorgelegt. Eine Kollegin im Sweet Beauté behauptete, Sarr habe es darauf angelegt, Sonkos Sperma zu erhalten, um damit „für mystische Zwecke“ zu einem Marabout zu gehen.

„Enormer Rückschlag für Frauenrechte“

Nun hat das Gericht keine Vergewaltigung bestätigt, wohl aber Verführung einer Jugendlichen. Dafür muss Sonko zwei Jahre in Haft, ebenso wegen „Anstiftung“ der Besitzerin des Massagesalons – ein Hinweis, dass das Gericht das Sweet Beauté als eine Art Bordell einstuft.

Senegal werde nun erst recht keinem Vergewaltigungsopfer mehr glauben, fürchten manche. „Dieser Prozess ist ein enormer Rückschlag für Frauenrechte“, sagte Aminata Libain Mbengue vom Feministischen Kollektiv Senegals. „Es gab keine Debatte über Zustimmung oder sexuelle Gewalt. Der politische Aspekt stand an erster Stelle.“

Doch auch Sonkos Haltung stößt auf Kritik. Nicht nur ­zettelte er 2021 lieber Unruhen an, als sich befragen zu lassen, und boykottierte jetzt den Prozess. Er höhnte auch in Trump-Manier nach Sarrs Auftritt vor Gericht: „Wenn ich vergewaltigen wollte, würde ich eine andere Frau nehmen, als so eine Vogelscheuche mit Schlaganfall.“ Darauf keilte Adji Saar zurück, offensichtlich sei Sonko monatelang einer Vogelscheuche nachgelaufen.

Zuletzt mobilisierte der Politiker mit einer „Freiheitskarawane“ die Bevölkerung. Die Gendarmerie stoppte das und verbrachte ihn in sein Haus in Dakar.

Dort soll nun der Haftbefehl gegen Sonko vollstreckt werden, denn das Gericht hat den sofortigen Haftantritt verfügt. Damit ist die Kulisse für Massenproteste gelegt, zu denen Sonkos Partei bereits aufgerufen hat.

Manche fürchten nun eine aufrührerische Stimmung, wie vor den Militärputschen in den Nachbarländern Mali und Guinea. Und Adji Sarr, die nach dem Urteil im Gerichtssaal in Tränen ausbrach, wird wohl kaum etwa anderes übrigbleiben, als Senegal zu verlassen.

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