Pandemie und Krebsforschung: Ein Bauplan gegen Krebs

Mit Corona rückte mRNA ins Rampenlicht, die Idee einer solchen Impfung stammt aus der Krebsforschung. Pandemie und Kampf gegen Krebs.

Ribosom

Farbige Transmissionselektronenmikroskopaufnahme (TEM) von Ribosomen Foto: Omikron/AKG

1. Was ist mRNA und wie funktioniert die Impfung damit?

Messenger-Ribonukleinsäure, kurz mRNA, kommt natürlicherweise in unseren Zellen vor und überträgt dem Körper die Anweisungen zum Aufbau von Proteinen. Sie enthält die genetische Anleitung, wie die Aminosäuren in der richtigen Reihenfolge zusammengesetzt werden müssen, um das gewünschte Protein herzustellen. „Die DNA ist das Buch, in dem alle Ideen stehen“, beschreibt es Niels Halama, Leiter des Deutschen Krebsforschungszentrums. „Die mRNA kopiert aus diesem Buch die Baupläne dafür und gibt sie als Botenstoff an die Zellen weiter.“

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Für die Impfstoffe wird die mRNA, also der Bauplan, im Labor hergestellt. Bei dem Covid-Impfstoff besteht dieser Bauplan aus einem Teil des Virus. So kann der Körper in Zukunft das Virus erkennen und Proteine erzeugen, die gegen Krankheitserreger schützen. Der Prozess einer herkömmlichen Impfung wird also umgekehrt: Statt die Struktur im Labor herzustellen und in den Körper einzuschleusen, gibt man dem Körper die Anleitung zur Eigenproduktion. Das Biomolekül ist hochempfindlich und zerfällt, kurz nachdem der Körper die Informationen abgelesen hat.

2. Was hat das mit Krebs zu tun?

Auch wenn die mRNA-Impfung in der Pandemie das erste Mal in der Praxis getestet wurde, kam die Technologie nicht aus dem Nichts: Die Biochemikerin Katalin Karikó und ihr Kollege Drew Weismann erkannten bereits in den 1990er Jahren das Potenzial von mRNA als Bauplan, der eine Immun­antwort gegen Krebs und andere Krankheiten auslösen könnte. Auch Uğur Şahin, der später das Biotechnologieunternehmen BioNTech gründete, experimentierte in den 2000er Jahren mit mRNA als Impfstoff.

Die Technologie und das Wissen über vielfältige Einsatzbereiche waren also bereits vorhanden. Mit Beginn der Pandemie steckte die Welt aber erstmals viel Geld, Zeit und Arbeit in die Erforschung eines präventiven Impfstoffs gegen Covid-19. Das Resultat ist im Vergleich zu anderen Impfstoffen günstig und an die unterschiedlichen Varianten des Virus gut anpassbar. „Das volle Potenzial der mRNA-Impfungen ist bei Covid noch gar nicht ganz ausgeschöpft worden“, sagt Niels Halama. Gerade in die Behandlung von bestehenden Tumoren mit mRNA werde aktuell viel Hoffnung gesetzt.

3. Hat die Coronapandemie die mRNA-Forschung vorangebracht?

Die Coronapandemie war ein beachtlicher Sprung für die mRNA-Forschung: Zuvor testete niemand die mRNA-Impfung am Menschen, heute können mRNA-Impfungen in Deutschland und anderen Ländern in jeder Praxis geimpft werden. Zudem ist der Impfstoff günstiger und anpassungsfähiger als andere Impfstoffe.

Niels Halama, Deutsches Krebsforschungszentrum

„Das volle Potential der mRNA-Impfungen ist bei Covid noch gar nicht ganz ausgeschöpft worden“

Aktuell geht die Nachfrage nach den Covid-Impfstoffen stark zurück und die Unternehmen müssen umsatteln. BioNTech kündigte im Mai an, die Forschung nun auf die Anwendung von mRNA in der Krebstherapie zu fokussieren. „Im Augenblick sind alle Augen auf die therapeutische Nutzung der mRNA-Impfung gerichtet“, sagt Halama.

4. Folgt dem Erfolg in der Pandemie nun also der Erfolg im Kampf gegen Krebs?

So einfach ist es leider nicht. „Das Coronavirus hat spezifische Marker, die der Körper gut erkennen und bekämpfen kann“, sagt Halama. Beim Krebs sei das jedoch anders. Denn die Krebszellen schaffen es, sich gut zu tarnen oder das Immunsystem zu bremsen. So können die Krebszellen ungehindert wachsen, umliegendes Gewebe zerstören und Metastasen, also Geschwüre bilden.

Eine Impfung mit mRNA kann dem Körper einen Bauplan einschleusen, der die bösartigen Zellen wieder erkennbar macht. Dafür müssen bestimmte Merkmale am Tumor gefunden werden. Tumore unterscheiden sich jedoch nicht nur nach Art des Krebses, sondern auch von Person zu Person. Selbst innerhalb eines Tumors können die Krebszellen voneinander abweichen. Ein Impfstoff müsste also in der Lage sein, verschiedene Arten von Krebszellen zu erkennen und zu bekämpfen. Bei hoch personalisierten Impfstoffen erschwert aber die wissenschaftliche Methodik selbst die Forschung: Es fehlt die Kontrollgruppe. Einen Impfstoff vor dem Einsatz auf seine Sicherheit und Effektivität hin zu prüfen, sei aber unbedingt notwendig, so Halama.

5. Warum wird die mRNA-Impfung gegen Krebs trotz dieser Hürden erforscht?

Weil For­sche­r:in­nen hoffen, dass die Impfung als unterstützende Therapiemaßnahme gegen Krebs hilft. Aufgrund der Pandemie haben vor allem die Covid-Impfstoffriesen Moderna und BioNTech nun auch in der Erforschung der mRNA-Impfung gegen Krebs die Nase vorn. Moderna etwa veröffentlichte erste Ergebnisse im April. Die Studie untersuchte mRNA-Impfungen als unterstützende Therapiemaßnahme nach der Entnahme von schwarzem Hautkrebs im Endstadium mit dem Ziel, zu verhindern, dass der Hautkrebs zurückkommt. Laut der Studie verringerte sich das Risiko um 44 Prozent. Der mRNA-Impfstoff wird nun in Phase 3 getestet. Das ist die letzte Stufe einer klinischen Studie, bevor ein Medikament oder ein Impfstoff nach abschließender Prüfung des Paul-Ehrlich-Instituts zugelassen wird.

BioNTech untersucht aktuell den Einsatz therapeutischer Impfungen bei Bauchspeicheldrüsenkrebs. Bauchspeicheldrüsenkrebs gilt als nicht therapierbar und hat selbst bei Chemotherapie oder der operativen Tumorentfernung oft schlechte Prognosen. Pa­ti­en­t*in­nen mit der begleitenden mRNA-Impfung erwiesen sich in der ersten Phase der Studie als signifikant länger rückfallfrei als die Kontrollgruppe.

6. Was ist realistisch von der mRNA-Impfung gegen Krebs zu erwarten?

Niels Halama rechnet nicht mit einer Revolution in der Krebsforschung durch mRNA. Der Einsatz eines mRNA-Impfstoffs sei unterstützend zu anderen Behandlungsmethoden wie Chemotherapien und operativen Eingriffen vorstellbar, weil dadurch die gezielte Anpassung an individuelle Tumore möglich wird. Diese individuell angepassten Maßnahmen seien vergleichsweise schnell zu entwickeln und riefen bei Pa­ti­en­t*in­nen geringe Nebenwirkungen hervor.

Es bestehe aber weiterhin das Problem der fehlenden Kontrollgruppen. Da das kleine Biomolekül durch seine Anpassungsfähigkeit besticht, könnte es auch noch in anderen Bereichen helfen: Weniger weit fortgeschritten, aber ebenfalls auf der Agenda der großen Pharmaunternehmen ist die Erforschung von mRNA-Impfungen bei Tuberkulose, HIV und Malaria.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Die Coronapandemie geht um die Welt. Welche Regionen sind besonders betroffen? Wie ist die Lage in den Kliniken? Den Überblick mit Zahlen und Grafiken finden Sie hier.

▶ Alle Grafiken

Ein Kopfhörer - das Symbol der Podcasts der taz

Entdecke die Podcasts der taz. Unabhängige Stimmen, Themen und Meinungen – nicht nur fürs linke Ohr.

Feedback willkommen! Wir freuen uns auf deine Gedanken, Eindrücke und Anregungen.

Schreib uns: podcast@taz.de

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.