Enttäuschung über Claudia Roth: Kultur und Antisemitismuskritik

Nach dem Eklat bei ihrer Rede in Frankfurt ist Kulturstaatsministerin Roth abgetaucht. Nicht nur junge Jüdinnen und Juden warten auf Antworten.

Ein Portrait von Claudia Roth

Kulturstaatsministerin Claudia Roth am 18. Mai in der Frankfurter Paulskirche Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Diese Woche wurde im Jüdischen Museum in Berlin an den Rabbiner Leo Baeck erinnert. Eigentlich haben dort aber alle nur auf Kulturstaatsministerin Claudia Roth gewartet. Die hatte sich an diesem Abend für ein Grußwort angemeldet, das sie letztlich absagte – aus gesundheitlichen Gründen. Nach ihrer Rede beim „Jewrovision Song Contest“ in Frankfurt, bei der sie von jüdischen Jugendlichen ausgebuht wurde, war das irgendwie auch erwartbar. Gespannt warte ich seitdem darauf, dass Claudia Roth wieder auftaucht. Was wird sie als nächstes tun? Was sagen? Wird sie so tun als sei nichts passiert – oder sich nochmals äußern?

Roths Verteidiger fanden die Buhrufe der Jugendlichen in Frankfurt unangebracht, emotional. Grünenpolitiker Jürgen Trittin sah in der Kritik gar einen „inszenierten Eklat“ gegen Claudia Roth. Als wären junge Jüdinnen und Juden nicht selbstständig denkende Menschen, die sehr genau ihre Umwelt wahrnehmen und auf diese reagieren. Diese Buhrufe haben ihren Ursprung. Sie sind Ausdruck einer tiefsitzenden Unzufriedenheit und Enttäuschung.

Fast genau ein Jahr ist die documenta fifteen in Kassel und das große Trauerspiel dieser Kunstausstellung her. Es waren Wochen, die mit Schutzbehauptungen, haltlosen Erklärungen und Naivität gefüllt wurden, gepaart mit dem peinlichen Verhalten der documenta-Verantwortlichen und Politiker:innen, die die kritische Öffentlichkeit vorgeführt haben – diese Wochen haben Spuren hinterlassen, die noch lange nicht aufgearbeitet sind.

Nur mal zur Erinnerung: Mit welcher Naivität sich bei der documenta herausgeredet wurde (bis heute!), zeigt sich wunderbar an dem Argument, man nehme den Antisemitismus ja deshalb so ernst, weil Deutschland diese besondere Vergangenheit habe. Ich möchte da jedes Mal nur genervt mit den Augen rollen. Ja, Auschwitz war eine deutsche Erfindung, aber der Antisemitismus nicht. Egal wo er auftritt, ob in Deutschland oder Indonesien: Antisemitismus ist immer menschenverachtend.

Konsequenzen für wen?

Eine Kulturpolizei wolle sie nicht sein, sagte Roth im letzten Jahr, als über Antisemitismus auf der documenta diskutiert wurde. Antisemitische Bildsprache wollte sie anfangs nicht sehen, später dann doch und noch viel später forderte sie erst Konsequenzen. Schon damals habe ich mich gefragt: Für wen eigentlich? Für sich selbst?

Nach den Erfahrungen auf der documenta kam Roth erst Anfang dieses Jahres (!!) dazu, Antisemitismus in den ausgestellten Werken als „wirklich bedauerlich“ zu bezeichnen. Wirklich bedauerlich ist, dass ich wegen einer Mandelentzündung nicht auf ein lange ersehntes Konzert gehen kann. Agitprop, die mit Karikaturen von Juden im Stürmer-Stil auskommt, ist hingegen hetzend, ekelhaft.

Roth nahm sich für dieses Jahr vor, folgende Fragen zu klären: Was heißt eigentlich Kunstfreiheit? Wo sind die Grenzen? Es ist doch ganz einfach: Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit stehen unter dem Vorbehalt, die Würde des Menschen ist unantastbar. Judenhass ist Menschenhass. Reicht das, Frau Roth?

Kunst und Kultur sind längst zum Austragungsort von Antisemitismusdebatten geworden. Wenn sich unter dem Vorwand der „Weltoffenheit“ führende deutsche Kulturstätten und ihre Anhänger gegen den Bundestagsbeschluss zur antisemitischen BDS-Kampagne wenden und suggerieren, es werde ein kritischer Dialog ausgegrenzt, dann führt das doch eher umgekehrt dazu, dass antisemitismuskritische und jüdische Künst­le­r:in­nen und Kulturschaffende ausgegrenzt werden.

Nach den Ereignissen der documenta fifteen steht auch der Staat, als größter Förderer von Kultur in Deutschland, in der Verantwortung, Vertrauen zurückzugewinnen und sich klar zu positionieren. Alle Augen sind auf Claudia Roth gerichtet.

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Redakteurin für Gesellschaft im Ressort taz zwei. Schreibt über postsowjetische Migration, jüdisches Leben und Antisemitismus sowie Osteuropa. Axel-Springer-Preis für jungen Journalismus 2021, Kategorie Silber. Freie Podcasterin und Moderatorin.

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