Rückblick auf die Bundesligasaison: Krass, krasser, der krasseste Kick

Eine Saison der Superlative geht zu Ende mit einem engen Titelrennen und tragischen Abstürzen.

Sané schirmt den Ball vor Hummels ab

Knappes Ding: Leroy Sané (vorn) sorgt sich um Mats Hummels und Bayerns Meister-Abo Foto: Mladen Lackovic/imago

Spannnendstes Finale

Das spannendste Meisterschaftsfinale steht an. Spannend im Vergleich zur Bundesliga vor zwei oder gar drei Jahrzehnten. Spannend ist eine Bundesligasaison immer dann, wenn der DFB mindestens ein Duplikat seiner berühmten Meisterschafts-Salatschüssel in irgendeinem Stadion deponieren muss, weil niemand sicher weiß, wer am Ende dieses Tages nach Bier stinkend und einzig vom Testosteron gelenkt seine Ehrenrunde laufen wird.

2002 waren es die Dortmunder Borussen. Vizemeister wurde Bayer Leverkusen vor Bayern München. 1992 waren es die Stuttgarter – vor Dortmund und Eintracht Frankfurt, Platz zehn belegten die Bayern, aber die hatten ja in der Saison – im März! – auch den Trainer gewechselt, von Søren Lerby auf Erich Ribbeck.

In dieser aktuellen Saison standen die Münchner Bayern tatsächlich 22-mal auf Platz eins, die Dortmunder nur dreimal. Nun also geht Borussia Dortmund als Favorit in den letzten Spieltag dieser Saison. Das Original der Meisterschale steht in der Dortmunder Arena, das Duplikat, das einmal für den „Eventuell doch noch, aber wahrscheinlich ist das nicht“-Meister geprägt wurde, wird in Köln für Bayern München bereitgehalten.

1992 war das übrigens so: Die Original-Meisterschale lag in Leverkusen, wo der spätere Meister VfB Stuttgart spielte, das Duplikat lag in Rostock, wo Eintracht Frankfurt antrat, und für die damalige Dortmunder Meisterschaftsoption hatte Bayern München freundlicherweise ein weiteres Duplikat aus seinem Trophäenschrank zur Verfügung gestellt. Nette Bayern.

Beklopptester Trainertausch

Ob sie jetzt die Kabine wiedergefunden haben beim FC Bayern? Die soll ja Julian Nagelsmann verloren haben. Deswegen hat man ihn rausgeschmissen als Trainer. Und weil Thomas Tuchel gerade frei war und eventuell bei Tottenham Hotspur angeheuert hätte, wenn die Verantwortlichen nicht schnell genug gehandelt hätten. So konnte der FC Bayern der Bundesliga einen veritablen Champions-League-Sieger-Trainer schenken.

Den sau­teuren Deal hat man dann einen italienischen Sportreporter verkünden lassen, bevor Nagelsmann von seinem Rauswurf erfahren hat – nicht dass noch einer auf die Idee kommt, beim FC Bayern München gebe es so etwas wie Anstand. Sportliche Gründe für den Trainerwechsel hat es auch gegeben. Der FC Bayern hatte gerade ein Spiel verloren, sonst war eigentlich alles in Ordnung. Pokal und Champions League durfte dann schon Thomas Tuchel vergeigen. Das hat man Nagelsmann wohl nicht gegönnt. Seit Wochen lacht ganz Deutschland über diesen Trainerwechsel. Gute Show.

Sichtbarste Fanproteste

Ohne Fans ist Fußball irgendwie doof. Das haben die leeren Stadion in den beiden Corona­spielzeiten allen vor Augen geführt. Auch denjenigen, die gerade auf das lautstarke Klientel in der Kurve nicht allzu gut zu sprechen waren.

In ihrer Verlustangst erlernten die Funktionäre flugs die Sprache der Fans. Ihr neuer Wortschatz: Mehr Demut, weniger Kommerz, eigene Werte … In dieser Saison füllten die Anhänger die Bundesligaarenen wieder wie eh und je. Aufgestaute Energie brach sich Bahn, weil mit der Weltmeisterschaft in Katar ein Schurkenstück zur Aufführung kam, das lange zuvor auf den Spielplan gesetzt wurde.

Zudem waren den Fußballbossen schon wieder die neu erlernten Vokabeln entfallen. Jetzt sprachen sie von einem alternativlosen Milliardengeschäft mit einem Investor, dem die Vereine solidarisch zustimmen sollten. Die Fans hielten Spieltag für Spieltag mit eindrücklich aufwendigen Choreografien dagegen. „Boycott Qatar 2022“, und der Kampf gegen den DFL-Investoren verwandelten die Stadionränge zu politischen Freilichtbühnen.

Weil das zivilgesellschaftliche Engagement vielfach mit zivilem Ungehorsam einhergeht, von einer jungen Fanbasis getragen wird, die bewusst Grenzen überschreitet und nun ihren Ausdrucksraum wieder zurückgewonnen hat, brennt, zischt und leuchtet es in den Stadien wie nie zuvor. So eine große Pyroshow hat es noch in keiner Saison gegeben und auch noch nie so viele verhängte Strafgelder an die Vereine durch den DFB.

Zur Kriminalisierung der Fans vonseiten der Polizei können die Fananwälte in dieser Saison auch rekordverdächtig viele Geschichten erzählen. Häufig wurden bei Ermittlungen Fans kollektiv in Haftung genommen, Züge angehalten, Busse gestoppt, Gruppen ewig eingekesselt und mit Schlagstöcken traktiert. Die kürzlich veröffentlichte Studie „Körperverletzung im Amt durch Po­li­zei­beam­t*in­nen“ legt offen, dass Fußballfans die am zweitstärksten betroffene Gruppe von Polizeigewalt ist.

Es ist aber auch wirklich ein renitentes Völkchen. Der Namenssponsor der Dortmunder Arena empörte sich kürzlich, dass die Fans in der Kurve immer noch für den alten Sta­dion­namen werben. Sogar in der „Tagesschau“, klagte er, sei es zu sehen gewesen.

Längste Winterpause

So viel fußballfreie Zeit war noch nie innerhalb einer Bundesligasaison. Die WM in Katar hat schließlich dem Vernehmen nach fast keiner geschaut.

Die TV-Statistiken sagen zwar etwas anderes, aber prall waren die Quoten tatsächlich nicht. Und um Fußball ging es aus deutscher Perspektive bei der WM eh kaum. Geredet wurde nach dem Verzicht auf die Regenbogenbinde vornehmlich über eine kompromisslerische Armbinde, die zumindest ein biss­chen Diversität abbilden sollte, was aus Sicht der Fifa aber immer noch zu viel der Zumutung für den Gastgeber Katar war. Gesten vom DFB-Team und der deutschen Innenministerin Nancy Faeser beschäftigten dann das deutsche WM-Publikum.

Am Ende beschäftigte es sich auch mit dem kläglichen Abschneiden der deutschen Mannschaft und ihrer Zukunft. Der DFB kam in der aufgeregten Debatte zu folgendem Ergebnis: Der sportlich verantwortliche Trainer Hansi Flick wurde im Amt belassen, der PR-Manager Oliver Bierhoff geschasst und dem 63-jährigen Rudi Völler sein Rentnerdasein verwehrt. Als Gute-Laune-Onkel soll er im Nationalteam gegen die Schwarzmaler wirken. Mit Fußball hatte all das also auch nichts zu tun.

Tragischste Figur

Nein, Sportdirektor des DFB wollte Fredi Bobic nicht werden. Nur anfangs, als die Diskussion über eine Nachfolge des glücklosen Oliver Bierhoff losging, sagte Bobic, er könne „nie etwas ausschließen“. Doch wichtiger sei ihm sein Arbeitgeber Hertha BSC, der ihn auch gar nicht freigeben wollte. Und angeblich war Bobic dem DFB auch zu teuer. Das war im Dezember 2022. Ende Januar 2023 war Fredi Bobic seinen Job bei Hertha los. Aber DFB-Sportdirektor war gerade Rudi Völler geworden. Schade für Fredi.

Traditionellste Überraschung

Der 1. FC Union Berlin und der SC Freiburg werden in der nächsten Saison schon wieder im Europapokal spielen. Einer von beiden sogar in der Champions League. Dabei sind die beiden Klubs doch schon in dieser ablaufenden Spielzeit durch Europa getourt.

War es nicht eine Regel, dass Klubs, die zwar Tradition, aber wenig Investorengeld, keinen Milliardär als Mäzen, keinen Weltkonzern als Eigentümer und auch keine Limowerbung als Vereinsemblem haben, zwar mal eine Saison europäisch spielen dürfen, aber sich dann gefälligst wieder ganz unten in der Tabelle einzureihen haben? Wenn es sie gab, sie scheint nicht mehr zu gelten.

Auch wenn das Meisterrennen nicht mehr Titelanwärter hat als einst die Eishockeymeisterschaft der DDR, dahinter scheint Platz zu sein für Klubs, die mit solider Arbeit sportlichen Erfolg suchen. Wen das nicht freut, der findet es auch super, dass nächstes Jahr Saudi-Arabien mit Newcastle United in der Champions League spielt.

Heftigster Absturz

Aus Russland war Sandro Schwarz gekommen. Ende Mai hatte der Fußballtrainer irgendwann dann doch noch Haltung gezeigt und Dynamo Moskau verlassen. „Die Situation in der Welt ist nicht einfach, und heute war mein letztes Spiel in Russland.“ Er heuerte bei Hertha BSC an, als Nachfolger von Felix Magath, über den der frühere Profi Bachirou Salou einmal gesagt hatte, der sei „der letzte Diktator Europas“. Großer Wechsel bei Hertha also: Sandro Schwarz wurde verpflichtet vom Neupräsidenten Kay Bernstein, ein Ex-Ultra.

Abzuwickeln galt es den Big-City-Club-Investor Lars Windhorst, der insgesamt 374 Millionen Euro in den Klub gesteckt haben soll. Zwischendurch wurde noch Sportdirektor Fredi Bobic geschasst, dann Trainer Sandro Schwarz. Nachfolger auf der Trainerbank wurde Pál Dárdai, der schon in beinahe jeder Klubsituation und -struktur für den Verein gearbeitet hatte. Herausgekommen dieses Mal: Abstieg.

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