Leerstehendes Traditionskino: Verfallende Pracht

In Oldenburg sorgt eine Immobilie des Unternehmers Ulrich Marseille für Probleme. Das denkmalgeschützte Wall-Kino wird seit Jahren nicht mehr genutzt.

Weiße Fassade mit Säulen und Graffiti

Ziemlich imposant für einen Leerstand: das Oldenburger Wall-Kino Foto: Marcus Windus

Der Abend des 21. März 2007 dürfte einer jener Abende gewesen sein, an dem die Oldenburger aus Oldenburg in Oldenburg – so heißt das wirklich – ganz bei sich waren, voller Wehmut zwar, aber doch glücklich, weil sie ein bedeutendes Bauwerk ihrer Stadt nun doch auf der sicheren Seite wähnen durften: Das Wall-Kino – gerettet vor dem möglichen Abriss durch den neuen Eigentümer Ulrich Marseille, der das Kino, erbaut 1914, von der Adoptivmutter nur geerbt und dem Oldenburger Kino-Betreiber gerade erst gekündigt hatte.

Der Kinobetrieb würde wenige Wochen nach diesem Abend im März 2007 enden, aber jetzt kam, als im Rahmen einer Sondervorstellung „Cinema Paradiso“ gezeigt wurde, die erlösende Botschaft: Das Gebäude sei – innen wie außen – unter Denkmalschutz gestellt worden; Jubel, Aufatmen.

Der, der die Nachricht überbrachte, war Jörg-Michael Henneberg von der Oldenburgischen Landschaft, die das Erbe des ehemaligen Landes Oldenburg, aufgegangen im Bundesland Niedersachsen, bewahren soll. Und nun wurde hier etwas bewahrt, und man muss wissen, dass die Oldenburger sehr an ihren alten Gebäuden hängen. Zu viele wurden plattgemacht, als die Stadt in den 1960er und 1970er Jahren modernisiert wurde; tragisch auch deshalb, weil der Zweite Weltkrieg hier kaum Spuren der Verwüstung, zumindest nicht im Stadtbild, hinterlassen hatte.

Ein Stück dieses Oldenburgs in Oldenburg bliebe erhalten, Aufatmen also, vielleicht auch ein bisschen Häme, als Henneberg „in Richtung des Gebäudebesitzers Ulrich Marseille sagte“, wie die Nordwest-Zeitung schrieb, durch den Denkmalschutz „wird es schwierig, hier etwas grundlegend anderes zu machen“.

Bewahren, das kann aber eben auch manchmal verhindern bedeuten. Jedenfalls steht das Kino seit 2007 leer; zwischendurch musste man sich Sorgen um die Bausubstanz machen, weil Feuchtigkeit eingedrungen war, weil es beschmiert wurde, weil es verlotterte. 2021 hat die Stadt das Dach instandsetzen lassen und dem Eigentümer die Kosten in Rechnung gestellt; zwischendurch, gar nicht so lange her, war der Radweg vor dem Gebäude gesperrt, weil Teile herabzustürzen drohten. Inzwischen hat Marseille die Fassaden aber streichen lassen, zumindest sieht das Kino jetzt wieder ganz schön aus. Ein bisschen wie der Filmpalast mit Schmuckfassade, der es einst war.

Aber was wird da nun draus – und welche Möglichkeiten hat eine Kommune, wenn der Eigentümer partout nichts mit dem schönen Gebäude machen möchte oder zumindest nicht das, was gemäß Denkmalschutz möglich wäre? Schwierig.

Die Fassade soll bleiben

Was Marseille will: Das Gebäude bis auf die Fassade, die auch er für schützenswert erachtet, abreißen und dahinter was Neues bauen, so hat er es uns auf Nachfrage per SMS nochmal mitgeteilt.

Dem steht entgegen, was das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege sagt: Fassadenschmuck, Raumstruktur und „Teile der wandfesten Innenausstattung“ ließen „nach wie vor erkennen, wie ein Kino in der Entstehungszeit des Gebäudes gestaltet worden war“, die Ausweisung als Einzeldenkmal würdige „Architektur und kulturgeschichtliche Bedeutung“ dieses Ortes. Also die Hülle und das Innere des Gebäudes. Die Stadt Oldenburg als Untere Denkmalschutzbehörde führt das weiter aus: Weil das Gebäude als ehemaliges Kino unter Denkmalschutz stehe, müsste „eine anderweitige Nutzung zumindest einen Bezug zum Thema Kino/Theater haben“, schreibt Pressesprecher Stephan Onnen.

Marseille stört sich vor allem an den schrägen Böden in den beiden Kinosälen. Er sagt, damit könne man nichts anfangen. Er hat gegen die Ausweisung als Denkmal geklagt, aber sowohl das Verwaltungsgericht Oldenburg als auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg haben den Schutz bestätigt. Es gab auch Gespräche zwischen Marseille und der Stadt; 2015 fuhr Oldenburgs Oberbürgermeister Jürgen Krogmann zu ihm nach Hamburg, aber von dem Abrisswunsch wollte der Eigentümer nicht abrücken. Per Brief stellte er dann, so schreibt es Stadt-Sprecher Onnen, einen Neuanfang in Aussicht, aber der Einladung nach Oldenburg im Januar 2022 folgte Marseille nicht.

Stattdessen traf man sich zu einer Videoschalte und vereinbarte, sich Gedanken über „mögliche Nutzungsideen“ zu machen und klären zu wollen, „welche Bestandteile des Denkmals auf jeden Fall zu erhalten sind und wo es mögliche Spielräume geben könnte“. Klingt gut, endete aber im Nichts. Marseille habe am 11. Februar 2022 mitgeteilt, dass er ein Votum erwarte, wonach der Oberbürgermeister „einem Abriss des Gebäudes unter Beibehaltung der historischen Fassade ‚nicht mehr abneigend gegenübersteht‘“.

Der Oberbürgermeister wiederum verwies auf die Absprache, nach Nutzungsideen zu suchen; eine pauschale Zustimmung zu einem Abriss werde es nicht geben. Seitdem ist der Kontakt abgerissen. Das Kino steht da, die Fassade sieht hübsch aus, aber: wie weiter?

Nichts als Nostalgie?

Marseille glaubt, es sei viel Nostalgie im Spiel, die den Oberbürgermeister von der SPD im Handeln blockiere. Im SMS-O-Ton von Marseille klingt das so: „Der Bürgermeister hat Angst vor dem Zorn einiger seiner nostalgischen Parteifreunde, die seinerzeit im Kino ihren ersten Kuss bekommen haben – deshalb ist er bewegungsunfähig“.

Das weist die Stadt einigermaßen empört zurück, wie auch die Landes-Denkmalschutzbehörde. Es gehe hier wirklich allein um den Denkmalschutz, und der habe das Kino nun mal als solches im Blick. Und man sei ja gar nicht kompromisslos, nur müsse Marseille eben mal konkrete Vorschläge machen, was er vorhabe – abgesehen vom Abriss. Stadt-Sprecher Onnen schreibt, es sei durchaus denkbar, die schrägen Böden zu überbauen, um gerade Flächen zu schaffen. Im Rahmen eines Bauantrages könne geprüft werden, was möglich ist.

Also, da sind Gespräche, die im Sande verlaufen; eine Gruppe Oldenburger Investoren traf Marseille, aber auch da kam nichts heraus; das Staatstheater wollte das Gebäude mal nutzen, als das eigene Haus saniert wurde, doch die Gespräche scheiterten. Aber könnte die Stadt den Eigentümer nicht enteignen?

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Die Idee dazu kam vor ein paar Jahren auf, das städtische Rechtsamt hat das auch geprüft, ist aber skeptisch. Ein externes Gutachten wird erwartet, aber die Hürden, die Paragraph 30 des Niedersächsischen Denkmalschutzgesetzes setzt, sind hoch.

Manche in Oldenburg vermuten, Marseille wolle das Gebäude langsam verrotten lassen, damit am Ende nur noch der Abriss bliebe. Er schreibt dazu per SMS: „Quatsch.“ Und auch das Landesamt für Denkmalpflege sieht die Gefahr nicht, denn Eigentümer seien ja zum Erhalt des Denkmals verpflichtet. Und können notfalls auch dazu gebracht werden.

Wie es aussieht, wird das Wall-Kino in Oldenburg noch lange dort stehen. In alter Pracht, aber leer.

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