Überwachung von Drogenszene: Hamburgs Polizei setzt auf KI

Künstliche Intelligenz soll im Bahnhofsviertel künftig verdächtige Bewegungen erkennen und Alarm auslösen. Der Datenschutzbeauftragte weiß von nichts.

Mast mit Überwachungskameras auf einem Platz

Wird schon heute mit Kameras überwacht: der Hansaplatz in Hamburg-St. Georg Foto: Georg Wendt/dpa

HAMBURG taz | Die Hamburger Polizei will in der Nähe des Hauptbahnhofs die Videoüberwachung massiv ausbauen. Am Hansaplatz im Stadtteil St. Georg soll künftig intelligente Überwachungstechnologie zum Einsatz kommen, um Bewegungsmuster der auf dem Platz anwesenden Menschen zu erstellen und diese zu analysieren. Das verkündete Polizeipräsident Ralf Martin Meyer jüngst beim Jahresempfang der Hamburger Polizei. So soll die Technik frühzeitig Gefahren erkennen und in solchen Fällen Alarm schlagen.

Allerdings gibt es Kritik an dem Vorhaben: „Warum wird hier nicht sehr viel mehr dafür getan, dem Elend vieler Obdachloser entgegenzuwirken?“, fragt etwa Michael Joho, Vorsitzender des Einwohnervereins St. Georg.

Bei den Behörden gilt der Hansa­platz vor allem als Problemort: Von Beschwerden wegen Lärmbelästigung und starken Drogenkonsums berichten sie regelhaft, auch von Straßenprostitution und Gewalttaten. Und so reagierte die Polizei schon einmal mit verstärkter Überwachung: Weil sich der Hansaplatz zu einem Schwerpunkt der Straßenkriminalität entwickelt habe, sind seit 2019 insgesamt 16 Kameras installiert.

Bereits in einer kurzen Zeit von 2007 bis 2009 waren sie schon einmal da, nach Protesten der An­woh­ne­r:in­nen wurden sie aber wieder abmontiert. Der Einsatz wurde von der Polizei damit begründet, Straftaten effektiver vorbeugen als auch verfolgen zu können.

Der Algorithmus entscheidet, ob Gefahr besteht

Jetzt wollen die Behörden aber offensichtlich mit der technischen Entwicklung voranschreiten: intelligente Überwachungsmethoden, darunter versteht man die Erfassung aller Bewegungen von Objekten. Hinzu kommt die Mustererkennung von Verhaltensweisen von Personen bis hin zur biometrischen Gesichtserkennung und Echtzeit-Identifizierung von Personen.

Jedoch muss es nicht bei der Erfassung dieser Daten bleiben: Intelligente Überwachungstechnik kann einen Algorithmus nutzen, der entscheidet, ob und inwieweit das aufgezeichnete Bildmaterial eine potenzielle Gefahrensituation zeigt. Das Ganze funktioniert mithilfe von künstlicher Intelligenz. Die Technik kann dann gegebenenfalls Alarm auslösen.

Michael Joho kritisiert daran, dass der Alarm auch ausgelöst werde, wenn eine Straftat bloß unterstellt werde. „Was sollen das denn für Bewegungsmuster sein?“

Die Polizei und die Innenbehörde antworten auf taz-Anfrage dazu nicht. Trotz der Ankündigung des Polizeipräsidenten beim Jahresempfang heißt es nur: „Der angefragte Themenkomplex befindet sich noch in einem frühen Planungsstadium, sodass wir derzeit keine Auskünfte dazu geben können.“ Das schreibt Tim Spießberger, Sprecher des Innensenators Andy Grote (SPD).

„Es werden keine personenbezogenen oder biometrischen Daten verwendet“, sagt Sina Imhof, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. „Das war uns bei den Debatten vor der nun stattfindenden Implementierung wichtig.“ Die Technologie solle „die Bewegungsmuster ‚Schlagen‘, ‚Treten‘ und ‚Hinfallen‘ erkennen und im Anschluss die Be­am­t*in­nen alarmieren“. Ziel sei es, diese zu entlasten. Ob die Software zuverlässig arbeite und der Personalaufwand tatsächlich reduziert werde, könne erst nach einer Evaluation gesagt werden.

Harald Heck, der seit 8 Jahren am Hansaplatz lebt, betrachtet die Videoüberwachung wie Joho grundsätzlich kritisch. Vor allen Dingen in ihrer Funktion: Denn für Heck haben die Kameras, „wenn überhaupt, etwas Symbolisches, um zu zeigen, dass man irgendwie etwas tut“. Es gehe nicht darum, das Problem zu lösen, sondern sowieso schon stigmatisierte Personen im Auge zu behalten. Die Szene verlagere sich möglicherweise, das Leid der Betroffenen aber nicht. Die herrschende Kriminalität vor Ort wundert Anwohner Heck auch nicht. Viel lieber würde er sozialpolitische Maßnahmen wie Vorortdienste und Streetworker am Hansaplatz begrüßen, statt der zunehmenden Überwachung.

Auch Michael Joho fordert gezielter Maßnahmen wie niedrigschwellige Anlaufstellen für junge Geflüchtete oder Housing-First-Projekte, die Unterkünfte zur Verfügung stellen.

Der Datenschutzbeauftragte weiß von nichts

Und was ist eigentlich mit dem Datenschutz? Alina Schöming, Sprecherin des Datenschutzbeauftragten, teilt der taz mit: Das Vorhaben sei der Behörde noch gar nicht bekannt, entsprechend müssten die Pläne der Polizei erst noch geprüft werden. Da der Hamburgische Datenschutzbeauftragte bei solchen Verfahren jedoch involviert werden müsse, werde man sich zeitnah an die Polizei wenden.

Die Nutzung von Überwachungstechnologien bleibt in kriminalpolitischen Diskursen umstritten. Das zeigt auch das Pilotprojekt der intelligenten Überwachungstechnologie am Berliner Bahnhof Südkreuz. Allerdings wurde dort zwischen 2017 bis 2018 vorwiegend mit Gesichtserkennungssoftware experimentiert. Im Abschlussbericht des Bundespolizeipräsidiums heißt es, das die Technik „einen wertvollen Beitrag zur Gewährleistung von Bahnsicherheit leisten kann“.

Konträr zu dieser Auffassung steht die Analyse des Chaos Computer Clubs. Der Verein charakterisiert den Bericht als „realitätsferne Beschönigung“. So seien die Erkennungsraten bei den Standorten der Kameras inakzeptabel schlecht.

Auch der Deutsche Anwaltsverein bezieht dazu Stellung und verweist auf verschiedene Studien, „die entweder keine, nur bedingte, d.h. ausschließlich auf Eigentumsdelikte bezogene oder kaum Wirkung von Videoüberwachung“ zeigen. Ebenfalls belegten Erhebungen, dass Kriminalität lediglich verdrängt werde. Andere verzeichneten einen Kriminalitätsrückgang in den Nachbarschaftsgebieten.

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