Importierte Klassikerpflege

Fremde Räuber auf den Schillertagen: Mit postkolonialem Witz hat ein Theater aus Mosambik die Figuren ausgestattet, während Korea mehr auf korrekte Werktreue setzt

Am Ende der Internationalen Schillertage ist’s ein doppelter Räuberstreich, der Mannheim überfällt: Aus Mosambik und Südkorea, von deren Theaterwelten hier wenig bekannt ist, werden die Brüder Moor aus Schillers Räubern ins Nationaltheater Mannheim geschickt. Zwei Annäherungen an den Text, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Mit der Theatergruppe Mutumbela Gogo vom Teatro Avenida, dem einzigen professionellen Theater Mosambiks, hat der österreichische Regisseur Stephan Bruckmeier „Os Bandoleiros de Schiller – Schillers Räuber“ inszeniert.

Drei Ebenen gibt es formell, durch die zwei clowneske Zeremonienmeister führen. Die Originalszenen hat Mia Couto, einer der wichtigsten mosambikanischen Schriftsteller, beigesteuert, vieles entstand in Improvisation mit den Darstellern, und ein bisschen ist eben auch von Schiller. Seine „Räuber“ sind das Stück im Stück, das Carlos, der ehemalige DDR-Gastarbeiter, spielen will. Sein Dorf war ihm zu eng, er zog in die Stadt, um Theater zu machen, und ließ Mutter, Bruder, Freundin und Geschäft zurück. Bei seiner Heimkehr ist alles anders, der kleine Bruder zieht die Fäden.

„Os Bandoleiros“ ist ein hybrides Werk, in dem Couto und Schiller auf Slapstick und postkoloniales Volkstheater treffen. Fünf Schauspieler und zwei Schauspielerinnen springen zwischen zweiundzwanzig Rollen. Rasant, lebendig und wunderbar ironisch ist ihre Darstellung. Der deutsche Klassiker wird dabei zum Vehikel, um die eigenen Geschichten zu erzählen. Privates und Politisches fließt ein, wenn sich Kolonialzeiterinnerung und zeitgenössische Realitäten überlagern.

Allerdings kann man oft nur ahnen, wie weit die Spötteleien und Spitzfindigkeiten gehen, denn die Aufführung ist nur sporadisch übertitelt. Die Improvisationen der Clowns bleiben den Portugiesischkundigen vorbehalten, zumindest was den Wortwitz angeht. Die sprachlose Mehrheit wird mit dem Klang der Worte, der expliziten Mimik und Gestik und gelegentlichen Einwürfen auf Deutsch oder Englisch entschädigt. Die Dialoge zwischen den Figuren der Rahmenhandlung erscheinen zwar in der Übertitelung, Schiller bleibt hingegen fast unübersetzt. Seinen Nationaldichter sollte man schon kennen, gerade in Mannheim, gerade bei den Schillertagen, scheint man den deutschen Zuschauern sagen zu wollen. Doch nach der Vorstellung verspricht der Regisseur in Zukunft mehr Übertitelung für alle.

Dabei ist gerade dieser Umstand ein schönes Symptom für das Gastspiel, denn es geht in jeder Hinsicht um Übersetzungsleistungen: ein Schiller aus Mosambik auf einer deutschen Bühne. Die Wellblechhütten aus Maputo hat man daheim lassen müssen, das theater rampe aus Stuttgart, Koproduzent des Stücks, hat Blechwände aus eigener Produktion nach Mannheim gebracht. Die überzeugen in ihrer rostigen Originalität, aber fast ist man versucht, den Implikationen nachzuhängen, wären die „echten“ Blechteile aus Mosambik importiert worden: Die materiellen Zeichen einer fernen Armut fliegen als Teile eines transnationalen Kunstwerks um die Welt. Genau diese Authentizität wäre aber irrelevant gewesen, denn auch in Maputo sind Kulissen und Requisiten Theaterzeichen und damit konstruiert und nach Bedarf (re)konstruierbar.

Das Nationaltheater aus Südkorea hat dagegen alles einfliegen lassen: ein schlichtes, aber überdimensionales Drehbühnenbild, ein großes Ensemble und eigene Musikerinnen mit traditionellen Instrumenten. Fürs Festivalfinale bringt Youn Taek Lee, Starregisseur aus Seoul, Schillers Erstling in voller Montur auf die Bühne. Und hat sich dabei für Dramaturgie, Kostüme und Choreografie von deutschen Experten beraten lassen. Das Resultat ist, abgesehen von Musik und Maskentanz, Werktreue in Reinform. Historische Kostüme, klare Deklamation, kraftvolles Spiel.

Man gibt „Die Räuber“ als bewegtes Museum: Schmerz, Leidenschaft und Pathos in Opernmanier. Vornehm zurück hält sich die Inszenierung mit Aktualisierung und kultureller Umdeutung. Nur die Musik – beschwörend, düster, sinnlich – vertritt ihr eigenes Element. Mitreißend präsent sind die Schauspieler, und als Sang-Jik Lee als Franz Moor verzweifelt und auf Deutsch „Es ist kein Gott“ ruft, laufen unsichtbare Schauer durch den Raum.

Wenn auch hier die Übertitelung lückenhaft bleibt, so garantieren doch Disziplin und Konvention der Inszenierung per se eine große Verständlichkeit. Da sind die meisten deutschen Inszenierungen schlechter zu verstehen. Wohl auch deshalb ist das Mannheimer Publikum beim Schlussapplaus im Freudentaumel, weil es seinen Schiller wiederhat. So unverhofft am Ende der wechselhaften Schillertage. „Ich habe den Eindruck, dass die deutschen Zuschauer unsere Theaterarbeit heute verstanden haben“, sagt der Regisseur nach der Vorstellung im Publikumsgespräch. Ganz unironisch und bescheiden. Die deutsche Klassikerpflege ist in Korea zu Hause. Die gute Nachricht bitte an Horst Köhler weiterleiten.

KRISTIN BECKER

Gastspiele von „Os Bandoleiros“: 18. 6. Theater der Welt, Stuttgart; 21./ 22. 6. Theater Rigiblick, Zürich; 23.–25. 6. theater rampe, Stuttgart; 28. 6.– 2. 7. Schauspielhaus Wien