G7-Gipfel im japanischen Hiroshima: Im Zeichen nuklearer Drohungen

Ab Freitag treffen sich die G7 in Japan. Neben den Themen Ukraine und Nordkorea steht auch ein politisch sensibler Museumsbesuch auf dem Programm.

Blick auf Hiroshima

Friedenspark in Hiroshima: Hier wollen die Gipfelteilnehmer am Freitag eine Schweigeminute abhalten Foto: Michael Kappeler/dpa

TOKIO taz | Auf die Titelseite ihrer Sonderbeilage zum G7-Gipfel druckte die japanische Tageszeitung Chugoku Shimbun ein ganzseitiges Foto von Hiroshima, aufgenommen eine Stunde nach der Explosion der Atombombe vom 6. August 1945. Der Staub der Pilzwolke fällt im Moment der Aufnahme gerade herunter. Bis Ende 1945 wird die Bombe 140.000 Menschen getötet haben.

Mit dem Foto drückte die Zeitung die Erwartung vieler Stadtbewohner aus, dass der G7-Gipfel, den die sieben führenden demokratischen Indus­trie­staaten von Freitag bis Sonntag in Hiroshima abhalten, klar im Zeichen der nuklearen Abrüstung stehen wird.

Unterstützung kommt von Fumio Kishida. Dem japanischen Premierminister ist mit der Wahl des Gipfelorts ein Coup gelungen. Sein Wahlkreis liegt in Hiroshima, seine Familie stammt von dort. Zu Kishidas Zielen gehört seit jeher die Verwirklichung einer Welt ohne Atomwaffen.

„Wir werden eine starke Botschaft für eine atomwaffenfreie Welt aussenden“, erklärte Kishida. Allerdings bezweifelten 61 Prozent der Japaner in einer Umfrage, dass der Gipfel Fortschritte bringen wird. Hunderte Bürger demonstrierten am Sonntag in Hiroshima sogar gegen eine Instrumentalisierung des Opfergedenkens.

Kishida hatte die Stadt ausgewählt, nachdem Russlands Präsident Putin im Frühjahr 2022 mit Atomwaffen im Krieg gegen die Ukraine drohte. Ebenso hat Nordkorea sein Arsenal an atomwaffenfähigen Raketen kräftig ausgebaut. Diese Entwicklungen stärken die Symbolik, die von Hiroshima ausgeht. Die Hilfe für die Ukraine ist denn auch Hauptthema der G7-Gespräche. Ein zweiter Fokus wird der Umgang mit Chinas Drohungen gegen Taiwan und sein Bündnis mit Russland sein.

Vorbehalte gegen Museumsbesuch

Bereits am Freitag wollen die Regierungschefs von Frankreich, Italien, Großbritannien, Deutschland, Kanada, den USA und Japan im Friedenspark am Mahnmal für die Bombenopfer eine Schweigeminute abhalten und mit Überlebenden sprechen. Außerdem besuchen sie ein Museum, das die Folgen der Explosion für die Bevölkerung dokumentiert.

Gegen den Besuch hatten die USA, Frankreich und Großbritannien laut einem Bericht des Fernsehsenders NHK längere Zeit Widerstand geleistet. „Die G7-Atommächte befürchteten, der Museumsbesuch könnte ihre Position zur nuklearen Abschreckung untergraben“, erläuterte ein japanischer Außenbeamter. Der Kompromiss: Die Politiker besuchen das Museum, aber Holztafeln an den Fenstern versperren die Sicht. So wird unklar sein, ob die G7-Chefs auch erschütternde Exponate wie ein verkohltes Kinderdreirad sehen werden.

Barack Obama, der 2016 als erster amtierender US-Präsident nach Hiroshima kam, verbrachte nur zehn Minuten im Ostgebäude des Museums, in dem nicht das menschliche Leid, sondern lediglich die Auswirkung der Bombe auf die Stadt thematisiert wird.

Wie Obama will auch der heutige US-Präsident Joe Biden sich nicht dafür entschuldigen, dass die USA die Bombe damals einsetzten. Das stellte sein nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan im Vorfeld des Gipfels klar: „Das Gedenken ist aus seiner Sicht kein bilateraler Moment“, sagte Sullivan. Viele US-Amerikaner halten den Nuklearangriff bis heute für legitim, da er die Kapitulation von Japan im Zweiten Weltkrieg erzwang.

Die geplante gemeinsame G7-Erklärung zur nuklearen Abrüstung wird einen Appell zum „Nie wieder“ enthalten – obwohl drei der sieben Staaten selbst Atommächte sind und die übrigen vier unter dem US-Atomschutzschirm stehen.

Vor dem Gipfel bekannten sich die USA überraschend zum von Russland auf Eis gelegten New-Start-Vertrag zur gegenseitigen Verringerung von Atomwaffen. Man habe 1.419 einsatzbereite Atomsprengköpfe, hieß es aus Washington, auch Moskau solle diese Daten freigeben.

Dagegen forderte Akira Kawasaki von der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (Ican): „Die G7 sollten nicht nur Russland verurteilen, sondern ihre Abschreckungspolitik mit Atomwaffen verändern.“

Scholz zeigt sich zuversichtlich

Biden will in Hiroshima auf ein Sanktionspaket mit neuen Maßnahmen gegen Russland und eine bessere Durchsetzung bisheriger Restriktionen drängen. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) betonte nach seiner Ankunft in Hiroshima am Donnerstag, dass es vor allem darum gehe, das Sanktionsregime so weiterzuentwickeln, dass eine Umgehung nicht möglich sei. „Ich gehe davon aus, dass wir sehr gut zusammenfinden können“, so Scholz.

Weniger einig sind sich die G7-Länder in der Frage, wie weit eine wirtschaftliche Entkoppelung von China notwendig ist. Weitere Schwerpunkte sind die Bekämpfung des Klimawandels, die Eindämmung der Krankheit Demenz und die Regulierung von künstlicher Intelligenz. Ein trilaterales Gespräch zwischen Biden und Kishida sowie Südkoreas Präsident Yoon Suk Yeol wird sich mit Nordkorea beschäftigen. Mit der Begegnung in Hiroshima setzt Kishida die Annäherung an Südkorea fort.

Auch die Staats- und Regierungschefs von Brasilien, Indien, Indonesien und Vietnam hat der Gastgeber eingeladen. Die Geste hängt ebenfalls mit der Ukraine zu­sam­men, denn die westlichen Industrieländer wollen den „Globalen Süden“ im Umgang mit Russland auf ihre Seite ziehen.

Im Vorfeld des G7-Gipfels ­haben Entwicklungsorganisationen Schuldenerleichterungen besonders für afrikanische Länder gefordert. „Coronapandemie, Hungersnöte, die Folgen der Klimakrise – immer wenn es darauf ankam, war die Unterstützung der G7 für ärmere Länder bestenfalls halbherzig“, sagte Stephan Exo-Kreischer von der US-Organisation One.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.