Neues Kulturhaus in Berlin: Ein besseres Humboldt Forum

Das neue Kulturhaus Spore kümmert sich um die großen Themen der Zeit: Wissensgerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Dekolonialisierung.

Gruppenfoto des Teams von Spore.

Das Team von Spore setzt sich für biokulturelle Vielfalt ein Foto: Dario J Laganà

BERLIN taz | Der Häcksler funktioniert nicht, also schneiden die Kurs­teil­neh­me­r*in­nen die Zweige mit Gartenscheren in kleine Stücke. „Gibt es hier irgendwo Macheten?“, fragt lachend Valiana Aguilar vom Kollektiv Suumil Móokt’aan. Nach der mühsamen Handarbeit werden die Zweige mit Gras, Laub, Küchenabfall, Gesteinsmehl und viel Wasser vermischt, um sich gut abgedeckt eine Woche lang stark zu erhitzen und dann sehr viel schneller Humus zu bilden als herkömmlicher Kompost.

„Heißkompost“ heißt der Workshop im Garten des Kulturhauses Spore in der Hermannstraße, einem neuen Kulturhaus für Ausstellungen und Workshop rund ums Thema Ökologie und Kunst. Der Blick geht auf einen der Signalmasten zur „Anflugbefeuerung“ des alten Flughafens Tempelhof, er geht auf die letzten Grabsteine im Anita-Berber-Park, dem ehemaligen Friedhof der St.-Thomas-Gemeinde, und nicht zuletzt auf das Kulturhaus selbst.

Das Haus und alle Ausstellungen ist jeden Samstag und Sonntag von 10 bis 20 Uhr geöffnet und befindet sich in der Herrmannstraße 86 zwischen U-Bahnhof Herrmannstraße und U-Bahnhof Leinestraße.

Workshops zu Themen wie Regeneration, kollektives Sorgetragen und Gemeinschaften pflanzen, finden häufig freitags, aber auch an anderen Tagen statt.

Andere Projekte gibt es auch noch, zum Beispiel ein Austauschtreffen zu Orten der Solidarität mit traditionellen und indigenen Lebensformen vom 23. bis 25. Juni. Mehr Infos unter https://spore-initiative.org (sm)

Im dem Gebäude aus Backsteinen aus Abrisshäusern mit seinen etagenhohen Fenstern stellt das Suumil Móokt’aan Kollektiv ihr Solar Maya vor: Ein Lernort, den sie nach dem Vorbild eines traditionellen Hofs bei den Maya auf der lateinamerikanischen Halbinsel Yucatán gebaut haben – inklusive Bienenhaus, Saatguthaus, Trockentoilette und Gemeinschaftsküche.

Yucatán war einst das Zentrum der Jahrtausende alten Maya-Kultur. Heute umfasst das beliebte karibische Urlaubsziel Teile von Mexiko, Belize und Guatemala. Durch staatlich geförderte Programme der „Urbanisierung“ wurden traditionelle Lebensweisen der Maya teilweise verdrängt, erzählt Valiana Aguilar. Es geht also auch um Selbstermächtigung durch die Wiederaneignung der Kultur, Sprache und des Wissens der indigenen Völker.

Soziale Verantwortung, im Kiez und global

Sollte man den Auftrag des Hauses Spore, wo sich derzeit sehr vieles um die Halbinsel Yucatán dreht, in einem einzigen Wort zusammenfassen, müsste die Wahl wohl auf den spröden Ausdruck Wissensgerechtigkeit fallen. Ein Haus für alle, ohne Eintritt und mit vielfältigem Programm: Es geht darum, Ökologie und Kunst zusammen zu denken. Es geht um Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung, nachbarschaftliche Beziehungen, Niedrigschwelligkeit im nicht gerade bürgerlichen Kiez in der Neuköllner Hermannstraße sowie Gerechtigkeit und Achtsamkeit zwischen Globalem Norden und Süden.

Jenem Süden, der an erster Stelle vom Klimawandel betroffen ist und wo die Auswirkungen auch in Zukunft am stärksten spürbar sein werden, berichtet die Direktorin und künstlerische Leiterin des Spore-Hauses. Antonia Alampi hat sich schon zuvor als Kuratorin, Forscherin und Autorin in Italien, Kairo und Antwerpen sowie am Berliner Kunstraum Savvy Contemporary mit Themen wie Dekolonialisierung und kulturelle Aneignung auseinandergesetzt.

Schon beim ersten Raum, den Alampi zeigt und der derzeit den Namen Xook K’iin, Zeitlichkeiten wahrnehmen, trägt, wird klar, wo im Spore die Prioritäten liegen. Es gibt Installationen, Gemälde und Dokumentationen und eine Art Holzregal in der Mitte, das unter anderem von den Künst­le­r*in­nen Estela Ay Chan und Santos Chuc Caamal stammt und auch ein Gedicht des guatemaltekischen Poeten Humberto Ak'abal einbezieht.

Bei den bunten Vogelskulpturen inklusive Vogelstimmen und deren Interpretation, geht es um eine spezielle Methode der Klein­bäue­r*in­nen: Die Milpa ist ein über drei Jahrtausende in ganz Mittelamerika entwickeltes System der Agroforstwirtschaft, bei dem Kürbis, Mais und Bohnen zusammen angebaut werden. Dabei geht es nicht nur um eine Symbiose der drei Pflanzen, sondern auch darum, Wetterschwankungen und Naturphänomene vorherzusagen und zu deuten.

„Jede Bewegung, jedes Geräusch, jede Farbe ist nicht einfach nur schön und lädt zur Kontemplation ein, sondern hat eine Bedeutung für all jene, deren Existenz davon abhängt, die Natur zu lesen“, sagt die küstlerische Leiterin Antonia Alampi. „Alles, was uns umgibt, hat eine Bedeutung. Und wenn wir wieder fähig wären zuzuhören, wäre das schon mal ein Schritt in die richtige Richtung.“

Gegen die Deutungsherrschaft des Westens

Doch es geht hier nicht nur um die indigenen Völker, die nur sechs Prozent der Weltbevölkerung ausmachen und 80 Prozent der weltweiten Biodiversität pflegen. Es geht auch darum, die „Deutungsherrschaft“ abzugeben – eine Praxis, mit der sich ethnologische Museen wie das Humboldt Forum nach wie vor schwer tun. „All die Themen und Projektideen kommen nicht von uns, sondern von unseren Partner*innen“, sagt Alampi.

Den Anfang haben sie mit Künstler*innen, Ernährungswissenschaftler*innen, Kleinbäuer*innen, Imker*innen, Illustrator*innen, Dichter*innen, Biolog*innen, Archäolog*innen, Übersetzer*innen, Handwerker*innen, Ra­dio­mo­de­ra­to­r*in­nen und Fil­me­ma­che­r*in­nen auf Yucatán gemacht. Es werden andere aus anderen Kulturen folgen.

Doch immer werden sie zuerst mit ihren Gemeinschaften vor Ort arbeiten. Erst im zweiten Schritt werden sie gemeinsam mit dem inzwischen 14-köpfigen Team von Spore überlegen, wie man die Ergebnisse in Berlin präsentieren und weiterführen kann. Viele der so entstandenen Filme, Bücher und Broschüren waren in Yucatán also längst im Umlauf, bevor sie es nach Berlin schafften.

Derzeit verfügt das Spore über drei Ausstellungsbereiche, riesige Workshop-Räume, ein hauseigenes Kino und eine weitläufige Bibliothek. Hier finden kulturelle Programme, Workshops und auch die Besuche von Schulklassen statt. Massivholzregale von Berliner Tisch­le­r*in­nen stehen neben alten Ledersofas und schweren Chromlampen aus zweiter Hand: Einiges in diesem Haus ist gebraucht, alles ist erlesen.

Hinter dem Kulturhaus steht viel Geld

Es ist überall zu sehen: Hinterm Spore steht Geld, viel Geld. Verantwortlich ist die Stiftung der Familie Schöpflin, die durch ihren Versandhandel reich geworden ist und inzwischen vor allem in Bereiche wie soziale Verantwortung und Umweltgerechtigkeit investiert. „Natürlich geht es auch darum, andere Rollen zu suchen und Gruppen und Gemeinschaften, die beim Schutz der biologischen Vielfalt und bei der ökologischen Regeneration an vorderster Front stehen, endlich ein angemessen wertschätzendes Podium anzubieten“, sagt Alampi dazu. „Historisch gesehen wurden diese lange genug marginalisiert, unterdrückt und ausgeschlossen.“

Zusätzlich traut man hier auch den jüngsten Be­su­che­r*in­nen zu, mit gutem Material umgehen zu können, sagt die Direktorin und zeigt dann die vielleicht berührendste Ausstellung im Spore Haus. U Juum Báalam Raab, das Summen der Wächterbiene, heißt der Raum, der von einer stark gefährdeten, winzigen, stachellosen einheimischen Biene Yucatáns handelt, die in ausgehöhlten Baumstämmen gehalten wird und deren rarer Honig als Heilmittel gilt.

Dominiert wird der Raum von einer großen Installation des Künstlers Ariel Guzik aus flexiblen, mit bemaltem Stoff verhängten Wänden. Schon von draußen hört man die Tonaufnahmen aus dem Inneren von Melipona-Bienenstöcken. Die fantastischen Landschaften, Ideogramme und Gedichte laden ein, die Installation auch dann zu betreten, wenn man Angst vor Bienen hat – und einen stilisierten Bienenstock aus Ton vorzufinden, der allerdings bald nach Yucatán zurückkehren wird.

Um die Installation herum wird die Auseinandersetzung von Kindern aus Yucatán und Berlin mit den Bienen dokumentiert. „Wir erzählen hier eine sehr dringende Geschichte“, sagt Antonia Alampi. „Wir müssen uns gemeinsam um die wichtigsten Be­schüt­ze­r*in­nen der Erde kümmern, einschließlich der vielen Bienenarten, die wesentliche Bestäuberinnen für ganze Ökosysteme sind“, fügt sie an. „Das kollektive Sorgetragen ist etwas, das wir hier manchmal verlernt haben.“

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