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Wenn das Klischee von der Realität überholt wird

Montag am Sowjetischen Ehrenmal Schönholzer Heide am Stadtrand von Berlin. Es ist der 8. Mai. Wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine findet nur ein stilles Gedenken statt. Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) ist gekommen und Vertreter der Abgeordnetenhausparteien. Die AfD hat einen Mittfünfziger geschickt, der für Erinnerungspolitik zuständig ist. Erstaunt stellt man fest, dass der mit dem Fahrrad gekommen ist (wie auch die Autorin) und mit diesem auf dem Rückweg, wie man selbst, am Bahnhof Schönholz die S-Bahn Richtung Innenstadt nimmt. Nachdem er sein Gefährt, auf dem ein Kindersitz steckt, abgestellt hat, nimmt er Platz. Irgendwann unterwegs setzt sich ein Fahrgast zu ihm. Die beiden scheinen sich zu kennen, es wirkt, als unterhalten sie sich prächtig.

Am Anhalter Bahnhof erhebt sich der AfDler, wieder wie man selbst, um auszusteigen. Sein Gesprächspartner steht zum Abschied kurz auf, sieht dann, wie der andere zum Fahrrad greift. Seine Gesichtszüge entgleisen. „Bist du übergelaufen?“ Es klingt entgeistert. Grinsend schiebt der AfDler sein Rad aus der Bahn.

Berlin-­Nieder­schön­hausen

Rund 32.000 Ein­woh­ner*innen. Das Sowjetische Ehrenmal in der Schönholzer Heide (ein beliebtes Ausflugsziel) wurde 1947–1949 errichtet; während des Zweiten Weltkriegs war hier der Standort eines großen Zwangs­arbeiter­lagers.

Plutonia Plarre