Wahl im Berliner Abgeordnetenhaus: Wegner im dritten Anlauf gewählt

Kai Wegner ist Berlins neuer Regierender Bürgermeister. Die dafür erforderliche Mehrheit bekam er erst nach dem dritten Urnengang.

Kai Wegner und Franziska Giffey

Neun Stimmen fehlen Kai Wegner im ersten Wahlgang zur Wahl des Regierenden Bürgermeisters Foto: Michele Tantussi/reuters

BERLIN taz | Der CDU-Politiker Kai Wegner ist nach langem Zittern neuer Regierender Bürgermeister von Berlin. Der 50-jährige Landesvorsitzende, der an der Spitze einer Koalition mit der SPD die bisherige Amtsinhaberin Franziska Giffey (SPD) ablöste, war am Donnerstag im Abgeordnetenhaus, dem Berliner Landesparlament, in den ersten beiden Wahlgängen gescheitert. Im dritten Wahlgang aber, in dem anders als zuvor die einfache Mehrheit reichte, stimmten 86 Abgeordnete für ihn. Wegner ist damit der erste CDU-Politiker als Berliner Regierungschef, seit der langjährige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen 2001 im Zuge des Berliner Bankenskandals seit Amt verlor.

Die Berliner AfD-Fraktion hat erklärt, dass sie im dritten Wahlgang für Wegner gestimmt habe. „Dieser Schritt ist uns nicht leichtgefallen, denn wir halten den zwischen CDU und SPD geschlossenen Koalitionsvertrag für die weitgehende Fortsetzung rotgrünroter Politik mit teilweise anderem Personal“, teilte die Fraktionsvorsitzende Kristin Brinker mit. „Dennoch überwiegt für uns die gesamtstädtische Verantwortung, der wir uns stellen.“ Da die Wahl geheim ist, lässt sich ihre Aussage nicht überprüfen.

Im ersten Wahlgang hatte Wegner nur 71 Stimmen von 159 Stimmen erhalten, 80 wären nötig gewesen. Weil seine schwarz-rote Koalition 86 Sitze im Parlament hat, hatten ihm damit mindestens 15 Leute aus den eigenen Reihen die Unterstützung verweigert. Im zweiten Durchgang stimmte nach einer halbstündigen Unterbrechung der Parlamentssitzung zwar acht Abgeordnete mehr für ihn. Aber auch das war genau eine Stimme weniger als die nötige absolute Mehrheit.

In der ersten Sitzungsunterbrechung hatte eine Probeabstimmung in der 52-köpfigen Fraktion der Christdemokraten nach CDU-Angaben komplette Unterstützung für Wegner ergeben, weshalb die fehlenden Stimmen bei der SPD verortet wurden. Auch dort aber wies man die Verantwortung von sich.

Bei den Sozialdemokraten war in den vergangenen Wochen von fünf Abgeordnete zu hören, dass sie eine schwarz-rote Koalition ablehnen würden. Das am Sonntag ausgezählte Mitgliedervotum der Berliner SPD über die Zusammenarbeit mit der CDU aber hatte eine knappe Mehrheit von 54,3 zu 45,7 Prozent für die Koalition ergeben. Der Landes- und Fraktionsvorsitzende Raed Saleh legte sich deshalb nach der Auszählung darauf fest, dass die Abgeordneten seiner Fraktion den Parteiwillen umsetzen würden. Ein Durchfallen Wegners im ersten Wahlgang galt dennoch als nicht ausgeschlossen. Allenthalben ging man aber davon aus, dass der CDU-Mann spätestens im zweiten Wahlgang gewählt werden würde.

Auch Klaus Wowereit und Heide Simonis fehlten Stimmen
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Dass ein von beiden Parteien zuvor als künftiger Regierungschef abgesegneter Kandidat im ersten Wahlgang durchfällt, das gab es in Berlin in diesem Jahrhundert erst einmal: 2006 fehlten dem seit 2001 regierenden SPD-Politiker Klaus Wowereit zwei Stimmen, um erneut zum Regierenden Bürgermeister gewählt zu werden.

Damals wichen aber weit weniger Abgeordnete als jetzt von der Parteilinie ab: Wowereit erhielt 74 statt der nötigen 75 Stimmen. 73 Abgeordnete stimmten gegen ihn, zwei enthielten sich. Das war zwar eine Mehrheit, aber nicht die in den ersten beiden Wahlgängen nötige absolute. Die damalige rot-rote Koalition hatte 76 Stimmen. Bei Wegner hingegen standen den 71 Stimmen für ihn 86 Gegenstimmen und nur eine Enthaltung gegenüber.

Prominentestes Beispiel für gescheitere Anläufe ist die frühere schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD). Statt wie vereinbart von ihrer Partei, den Grünen und den südschleswigschen Wählerverbund gewählt zu werden, fehlte ihr eine einzige Stimme zur Mehrheit. Dreimal wiederholte sich im März 2005 im Landtag dieses Schauspiel, bevor Simonis ihre Kandidatur zurück zog. In Berlin ist verfassungsgemäß nur von „einem weiteren Wahlgang“ die Rede, in dem statt der absoluten nur die einfache Mehrheit erforderlich ist.

Wegner galt zunächst als „König ohne Land“

Die CDU war aus der Wiederholungswahl am 12. Februar als bei Weitem stärkste Kraft hervorgegangen und kam auf 28,2 Prozent, so viel wie seit 1999 nicht. SPD und Grüne lagen weit dahinter gleichauf bei 18,4 Prozent, wobei die Sozialdemokraten nur 53 Stimmen Vorsprung hatten. Kai Wegner galt trotz des klaren Wahlsiegs dennoch vorerst als „König ohne Land“: SPD, Grüne und Linkspartei schienen ihre 2021 begonnene bisherige rot-grün-rote Koalition fortsetzen zu wollen, Wegner trotz Rekordergebnis Oppositionsführer zu bleiben.

Wegner lud dennoch zu Sondierungsgesprächen sowohl mit der SPD als auch mit den Grünen ein. Vor allem in den Gesprächen mit den Grünen deutete sich eine Annäherung an – auch Grüne berichteten, man sei sich so nah gekommen wie noch nie. Aber auch die SPD-Verhandler berichteten zunehmend von zahlreichen Übereinstimmungen. Dennoch sah es bis Ende Februar so aus, als laufe es auf eine Fortsetzung von Rot-Grün-Rot hinaus.

Bei SPD-Mitgliedern nur knappe Mehrheit für Schwarz-Rot

Dann aber, noch während der letzten Sondierungsrunde zwischen CDU und Grünen, bot SPD-Verhandlungsführerin Franziska Giffey, Landeschefin der Sozialdemokraten und Regierende Bürgermeisterin, Wegner eine schwarz-rote Koalition an. Die Noch-Regierungschefin wollte freiwillig auf ihren Posten verzichten, weil sie – so ihre Darstellung – bei Rot-Grün-Rot sozialdemokratische Ziele nicht mehr für umsetzbar hielt. Verbunden damit war heftige Kritik an den beiden bisherigen Regierungspartnern.

In der SPD, vor allem beim Nachwuchsverband Jusos, wurde sofort Ablehnung laut. Die Jusos kündigten die größte je erlebte Gegenkampagne für den nun folgenden Mitgliederentscheid über den in nur drei Wochen ausgehandelten Koalitionsvertrag an – Rot-Grün-Rot hatte dafür 2021 noch fünf Wochen gebraucht. Am vergangenen Sonntag, nach gleichfalls gut dreiwöchiger Abstimmungszeit, lag das Ergebnis vor: 54,3 Prozent für, 45,7 Prozent gegen ein schwarz-rotes Bündnis.

Was die Parteichefs Giffey und ihr Co-Vorsitzender Raed Saleh als klare Mehrheit einordneten, nannte in einer ersten Reaktion auch der Chef eines bestimmt nicht Schwarz-Rot-kritischen großen Wirtschaftsverbands bloß eine knappe Mehrheit. Am folgenden Tag stimmte erwartungsgemäß auch die CDU – nicht per Mitgliederentscheid, sondern bei einem Parteitag mit gut 300 Delegierten – dem Koalitionsvertrag zu, und zwar ohne jede Aussprache und Gegenstimme.

Nun konnten bloß noch Abweichler innerhalb der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus Wegner vom Einzug ins Rote Rathaus, der Berliner Regierungszentrale, abhalten. Bevor das Ergebnis des SPD-Votums vorlag, hatten fünf der 34 Mitglieder der SPD-Fraktion zumindest angedeutet, große Probleme mit Schwarz-Rot und Wegner zu haben. Saleh, nicht nur Partei-, sondern auch Fraktionschef, versprach vor Journalisten am Sonntag: Die würden dem Parteivotum folgen.

Erster CDU-Bürgermeister seit 2001

Fünf fehlende Stimmen hätte Wegner allerdings auch verkraften können: Zusätzlich zu den 52 Abgeordneten seiner eigenen CDU-Fraktion waren nur 28 der 34 SPDler nötig, um ihn gleich im ersten Wahlgang ins Amt zu wählen, als ersten CDUler seit Eberhard Diepgen, der bis Juni 2001 regierte. Seither stellte durchweg die SPD den Regierungschef: Erst Klaus Wowereit bis 2014, dann Michael Müller bis 2021 und seither – als erste Regierende Bürgermeisterin Berlins überhaupt – Franziska Giffey.

Nach seiner Wahl und Vereidigung durch die Parlamentspräsidentin hätte für Wegner eigentlich sofort die Fahrt zum Roten Rathaus angestanden, um dort die weiteren zehn Mitglieder des Senats zu ernennen. Sieben davon sollten Frauen sein, darunter Giffey als Wirtschaftssenatorin.

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