Kampf gegen Rechtsextremismus: Aus neurechts wird rechtsextrem

Der Verfassungsschutz stuft die AfD Jugend, das Institut für Staatspolitik und den Verein Ein Prozent als rechtsextrem ein. Dort reagiert man trotzig.

Hannes Gnauck, der Vorsitzende der "Jungen Alternative", zwischen anderen Männern

Hannes Gnauck, Vorsitzender der „Jungen Alternative“, am 10. Februar in Berlin Foto: Christian Ditsch/SZ Photo

BERLIN taz | Anfang April kam man zum Feiern in Schnellroda zusammen. Das neurechte Blatt „Sezession“ feierte auf dem Gelände des Instituts für Staatspolitik sein 20-jähriges Jubiläum – und nach eigenen Angaben kreuzten 140 Gäste auf, darunter die Fraktionsspitzen aller AfD-Ostverbände, mit Festredner Björn Höcke. Über eine „wirklich schöne Feier“ freute sich danach Gastgeber und Sezessions-Herausgeber Götz Kubitschek, der auch Lenker des Instituts für Staatspolitik ist.

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Seit Mittwoch nun gibt es ein verspätetes Jubiläumspräsent für Kubitschek, ein unwillkommenes: Das Bundesamt für Verfassungsschutz stufte sein Institut für Staatspolitik als gesichert rechtsextremistische Bestrebung ein und damit als vollwertiges Beobachtungsobjekt. Parallel geschah Gleiches mit zwei verbandelten Organisationen aus der neurechten Szene: der AfD-Parteijugend „Junge Alternative“ (JA) und dem Verein „Ein Prozent“. Sie alle stehen jetzt auf einer Stufe mit der NPD.

„Die Positionen des Instituts für Staatspolitik, Ein Prozent und der Jungen Alternative sind nicht mit dem Grundgesetz vereinbar“, erklärte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang. „Es bestehen keine Zweifel mehr, dass diese drei Personenzusammenschlüsse verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgen.“ Alle drei Gruppen versuchten, vermeintlich Fremde auszugrenzen und dies gesellschaftlich anschlussfähig zu machen, so Haldenwang. Dieses Propagieren von Feindbildern könne „den Boden für unfriedliche Verhaltensweisen gegenüber den Betroffenen bereiten“.

Mit der Einstufung kann der Verfassungsschutz nun leichter alle nachrichtendienstlichen Mittel wie Observationen oder V-Leute gegen die Gruppen einsetzen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) begrüßte den Schritt: Die „Neuen Rechten“ verbreiteten „nichts als Hass und Ausgrenzung“ gegenüber Andersdenkenden oder Migranten.

Kubitschek ist zentraler Kopf

Alle drei Organisationen sind seit Jahren prägende Akteure der neurechten Szene, die von einer radikal rechten Kulturrevolution träumt. Kubitscheks Institut für Staatspolitik (IfS), bereits im Jahr 2000 gegründet, fungiert hier als ideologischer Thinktank, gibt sich intellektuell. Mit der „Sezession“ gibt das Institut die zentrale Publikation der Szene heraus, organisiert regelmäßig „Akademien“, an denen auch AfD-Anhänger:innen teilnehmen. Geklagt wird dort über eine vermeintliche „Umvolkung“ oder „Ersetzungsmigration“.

Refugium für FaschismusDer Politikwissenschaftler Volker Weiß schrieb in seinem Buch „Die autoritäre Revolte“ über die Neue Rechte, dass ihr Gründervater Armin Mohler der ideengeschichtlichen Erfindung einer vermeintlichen „Konservativen Revolution“ der „Geisteswelt des Faschismus unmittelbar nach dessen Niederlage ein Refugium“ schaffte. Mohler versuchte dazu, die Traditionslinien innerhalb des völkischen Nationalismus zu kappen und den Nationalsozialismus ahistorisch als etwas Singuläres erscheinen zu lassen – wissenschaftlich natürlich nicht haltbar. Die extreme Rechte der Bundesrepu-blik zehrt von dieser Möglichkeit des ideologischen Neubeginns bis heute.

Mainstream seit AfDDurch Verbindungen zur AfD sind viele Ideen der Neuen Rechten wie „Ethnopluralismus“, Antifeminismus oder revisionistischer Nationalismus im Mainstream angekommen – teils bürgerlich maskiert und normalisiert. Vor allem im völkischen Höcke-Flügel der AfD fanden neurechte Positionen Niederschlag. Einer der Schüler Armin Mohlers, Karlheinz Weißmann, ist heute im Kuratorium der AfD-nahen Erasmus-Stiftung. (taz)

Zentraler Kopf hinter dem IfS ist Kubitschek, auch wenn das Institut von Erik Lehnert geleitet wird. Kubitschek ist ein enger Vertrauter von Höcke und auch sonst bestens in der Szene vernetzt. Zuletzt beschwor er die Herbstproteste gegen die Regierung mit, die letztlich aber überschaubar blieben.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz stufte das Institut für Staatspolitik bereits im April 2020 als rechtsextremen Verdachtsfall ein. Beim Landesamt in Sachsen-Anhalt ist es bereits seit Oktober 2021 ein volles Beobachtungsobjekt. Nun zieht das Bundesamt nach und wirft dem IfS Verstöße gegen die Menschenwürde und ein „ethnisch-abstammungsmäßiges Volksverständnis“ vor. Eingebürgerte Staatsangehörige seien für das Institut „Deutsche zweiter Klasse“. Migranten, Geflüchteten und teils Muslimen würde pauschal unterstellt, die Sicherheit und den Erhalt des deutschen Volkes zu gefährden.

Ähnlich lauten die Vorwürfe gegen den Verein „Ein Prozent“, den der Verleger Philipp Stein anführt und der seit Juni 2020 Verdachtsfall war. Der Verein versteht sich als Logistikzentrum der neurechten Szene, versucht Anti-Asyl-Proteste zu pushen und zu vernetzen. Er veröffentlicht Videos, Podcasts und sogar ein rechtsextremes Videospiel, „Heimat Defender“. Mitgründer war auch hier Kubitschek. Auch bei „Ein Prozent“ sieht der Verfassungsschutz eine „inhaltliche Radikalisierung“ und rassistische, muslimfeindliche sowie völkische Äußerungen.

Die Junge Alternative ist die zahlenstärkste nun eingestufte Gruppe, nach eigener Auskunft hat sie 1.700 Mitglieder. Bereits im Januar 2019 wurde sie vom Verfassungsschutz zum Verdachtsfall erklärt. Angeführt wird der Verband derzeit vom Brandenburger Bundestagsabgeordneten Hannes Gnauck, ein Zeitsoldat, der bereits 2020 vom Militärgeheimdienst MAD als Extremist eingestuft wurde. Die JA tritt deutlich aktivistischer auf als ihre Mutterpartei. Zuletzt agitierte sie gegen „Messer-Alis“ oder karikierte Muslime als „invasive Art“. Auf einer AfD-Demonstration in Berlin im Oktober 2022 trat sie als militant wirkender Block auf, skandierte Identitären-Slogans wie „Multikulti Endstation“.

Auch in der AfD-Bundestagsfraktion ist die Parteijugend vertreten: Wenigstens sechs Mitglieder sind oder waren Teil der JA, die meisten davon in Führungspositionen. Ebenso sollen zahlreiche Mit­ar­bei­te­r*in­nen von AfD-Abgeordneten in der JA sein. So war beim ehemaligen hessischen JA-Chef Jan Nolte der rechtsextreme Oberleutnant Maximilian T. angestellt, der enge Kontakte zum verurteilten Rechtsterroristen Franco A. haben soll.

Der Verfassungsschutz wirft auch der Jungen Alternative vor, migrantische Staatsbürger als Deutsche zweiter Klasse abzuwerten, außereuropäische Migranten würden als grundsätzlich nicht integrierbar ausgegrenzt. Vor allem Muslimen würde „kulturelle Rückständigkeit“ und ein überproportionaler Hang zur Kriminalität vorgeworfen. Auch das demokratische System werde „generell herabgewürdigt“.

Bei all dem ist die JA seit dem AfD-Parteitag von Riesa im Juni 2022 so gut in der Mutterpartei verankert wie nie zuvor. Mit Carlo Clemens wurde ihr damaliger Bundessprecher in den amtierenden Parteivorstand gewählt. Seine Wahl in den Vorstand quittierte eine Gruppe Jungalternativer mit lautem Gejohle und Sprechchören. Verstanden wurde das sichtlich als Aufwertung der gesamten Jugendorganisation. AfD-Rechtsaußen und Thüringen-Chef Höcke hatte mit Blick auf die Einstufung der Mutterpartei als Verdachtsfall auf dem Parteitag gesagt: Man wolle künftig selbst bestimmen, „wer Extremist ist und von wem wir uns abgrenzen“.

Belege gab es schon lange

In der JA hat man seither den Segen von der Parteispitze: Auf dem Bundeskongress von Apolda im Oktober 2022 hielten sowohl Höcke als auch Parteichef Tino Chrupalla Grußreden. Distanzierungen? Fehlanzeige. Der Parteinachwuchs nutzte den Spielraum für Radikalisierung bedenkenlos aus: Auf Clemens, der nicht mehr antrat, folgte Gnauck, der bei jeder sich bietenden Gelegenheit sagt: „Deutschland ist größer als die BRD!“ – so auch im Gespräch mit Kubitschek vom Institut für Staatspolitik.

Belege für eine Verfassungsfeindlichkeit der JA gibt es schon lange – in wissenschaftlichen Analysen, journalistischen und antifaschistischen Recherchen. Im „Netzladen“ verkauft die Junge Alternative neben Flyern und Fanartikeln, die an in Identitären-Ästhetik erinnern, offen neofaschistische Literatur, die zum Umsturz aufruft oder Zeitschriften des Identitären Jonas Schick mit offen faschistischer Symbolik und Bücher aus dem neofaschistischen Jungeuropa Verlag. Ebenso veranstaltet die JA wie andere Neonazis „Heldengedenken“ am Volkstrauertag, wie das NS-Regime den Tag 1934 umbenannte.

Auf dem letzten Bundeskongress im Oktober 2022 illustrierte sich dann das ganze neurechte Netzwerk: Es gab Stände von Ein Prozent, von Kubitscheks Antaios Verlag sowie des Modelabels „Phalanx Europa“, das aus der Identitären Bewegung kommt. Hier gibt es ohnehin keine Distanz: In Thüringen wählte die JA mit Nils Hartwig einen Identitären zum Leiter ihres Bundeskonvents.

Auch zur AfD sind die Grenzen ideologisch fließend. Die Verschwörungsideologie vom Bevölkerungsaustausch formulieren auch namenhafte AfD-Politiker seit langer Zeit – nicht zuletzt der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland, der nachhaltig dafür sorgte, dass die völkisch-nationalistische Strömung innerhalb der Partei an Boden gewann.

Empörung bei der AfD

Die nun Eingestuften reagierten trotzig auf den Vorstoß des Verfassungsschutz. Kubitschek antwortete als Erster auf taz-Anfrage: „Trotz dieses skandalösen Vorstoßes einer parteipolitisch instrumentalisierten Behörde sind wir uns in Anlehnung an eine relativ große deutsche Politikerin sicher: Wir halten durch, wir schaffen das!“

Die Co-Vorsitzenden der AfD, Tino Chrupalla und Alice Weidel, nannten die „empörende Einstufung“ mit Blick auf ihr eigenes VS-Verfahren ein „prozesstaktisches Manöver“. Sie kündigten juristische Mittel an. Höcke forderte unterdessen die Auflösung des Verfassungsschutzes und nannte den Geheimdienst „Teil des praktizierten Regierungsextremismus“.

Die Junge Alternative brauchte etwas länger für ihre Reaktion. Erst am späten Nachmittag hieß es in einer Mitteilung, dass es Aufgabe des Geheimdienstes sei, „die Opposition hierzulande zu unterdrücken“ – „Migrationskritiker, Coronamaßnahmenkritiker oder Friedensbefürworter“ würden „systematisch stigmatisiert“. Die Radikalisierung stritt sie ab: Die JA habe sich in den letzten Jahren „programmatisch, ästhetisch, personell“ professionalisiert und prüfe juristische Schritte.

Mitglieder der eingestuften Organisationen dürften nun Probleme bekommen, falls sie im öffentlichen Dienst arbeiten. Auch könnten Waffenerlaubnisse eingezogen oder nicht genehmigt werden. Offen bleibt, wie der Verfassungsschutz weiter mit der AfD selbst umgeht. Schon 2019 hatte der Geheimdienst die Partei als Prüffall eingestuft, im Frühjahr 2022 dann als rechtsextremen Verdachtsfall. Präsident Haldenwang hatte zuletzt erklärt, die Partei entwickele sich immer „weiter nach rechtsaußen“. Rechtsextremisten wie Höcke bekämen immer stärkeren Einfluss, Gegenkräfte seien kaum noch wahrnehmbar.

Die AfD hatte auch gegen ihre eigene Einstufung geklagt – im März 2022 aber vor dem Verwaltungsgericht Köln verloren. Inzwischen läuft ein Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster. Eine Entscheidung wird erst zum Jahresende erwartet.

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