E-Fuels und Kernfusion: Söders Märchenstunde

Klimaneutralität über den Preis herzustellen klappt nicht. Auch Kernfusion, Minireaktoren und E-Fuels sind reines Wunschdenken. Markus Söder und der FDP ist das egal.

Söder vor Kernkraftwerk

Betreibt er mittlerweile seinen eigenen Minireaktor? Foto: Science Photo Library/imago

FDP und Union haben erstaunliche Ansichten, wie sich Klimaschutz umsetzen lässt. So wird immer wieder der Eindruck erweckt, die Kernfusion könne eine Lösung sein. In Bayern ist bekanntlich gerade Wahlkampf, weswegen die CSU sogar eine eigene „Demonstrationsanlage für Kernfusion, beheimatet in Bayern“ bauen will.

Dabei käme die Kernfusion viel zu spät, um das Klima zu retten. Unter den Physikern gehen selbst Hyperoptimisten davon aus, dass die Kernfusion frühestens „in Jahrzehnten“ gelingt. Diese Hyperoptimisten sind übrigens selten. Die meisten Physiker winken ab, wenn sie den Begriff Kernfusion hören. Denn bisher ist es noch nie gelungen, durch Kernfusion Nettoenergie zu gewinnen. Stattdessen war die Fusion bisher ein Verlustgeschäft, weil es sehr viel Energie kostet, Atomkerne zusammenzuzwingen.

Aber selbst wenn die Hyperoptimisten recht hätten, dass die Fusion in ferner Zukunft tatsächlich Energie abwirft: Das deutsche Klimaschutzgesetz sieht vor, dass wir schon 2045 klimaneutral sein müssen, damit wir die gefährlichsten Klimakipppunkte noch vermeiden können. Bis 2045 wird aber garantiert kein einziger Fusionsreaktor stehen.

Ähnlich weltfremd ist eine weitere Idee von Union und FDP: Sie trommeln für eine Renaissance der klassischen Atomenergie per Kernspaltung. CSU-Chef Markus Söder hofft vor allem auf „Minireaktoren“, die er natürlich ebenfalls am liebsten in Bayern erforschen würde. Mini­reaktoren: Dieses Konzept klingt futuristisch, ist aber in Wahrheit uralt. Schon in den 1950er Jahren träumte man vom „Kraftwerk in der Kiste“. Die Kleinreaktoren sollten als Flugzeugantrieb dienen oder als „Babyreaktoren“ Räume heizen. Es kam bekanntlich anders. Diese Art von Minireaktoren wurde nie gebaut, und ein Grund war, dass auch sie strahlenden Atommüll hinterlassen, den niemand in seinem Wohnzimmer oder in der Küche haben wollte.

Errichtet wurden stattdessen Großkraftwerke, die sich besser beherrschen ließen. Aber auch dort kam es zu den sattsam bekannten Problemen: Für den deutschen Atommüll gibt es bisher kein Endlager, und zudem wird der Bau neuer Reaktoren immer teurer.

Das Uran würde nur für 13 Jahre reichen, wenn man den ganzen Globus mit Kernenergie versorgen wollte

Was auch gern übersehen wird: Das Uran würde nur 13 Jahre lang reichen, wenn man den ganzen Globus mit Kernenergie versorgen wollte, um die fossilen Brennstoffe zu ersetzen und weltweit Klimaschutz zu betreiben. Momentan ist die Atomenergie ein Nischenphänomen, das weniger als 5 Prozent des globalen Endenergieverbrauchs abdeckt.

Aber technische oder physikalische Grenzen interessieren FDP und Union nicht, weswegen sie sich auch so sehr für E-Fuels begeistern können. Söder fürchtet um den „Industriestandort Bayern“, wenn es zu einem Verbrenner-Aus kommt. Also sieht er „große Potenziale“ bei den synthetischen Kraftstoffen. Doch leider ist es eine große Energieverschwendung, Ökostrom in E-Fuels umzuwandeln. Der Wirkungsgrad liegt bei ganzen 15 Prozent.

Nun könnte man es als Marotte abtun, dass FDP und Union so hartnäckig auf Kernfusion, Atomkraft oder aber E-Fuels setzen, die unwahrscheinlich, unerheblich oder ineffizient sind. Aber die beiden Parteien praktizieren nur besonders ausgeprägt eine Weltfremdheit, die auch anderswo in der Klimapolitik zu beobachten ist. Dieser Irrtum heißt: CO2-Preis.

Technik wird ignoriert

Auf den ersten Blick wirkt die Idee sehr charmant, Treibhausgase mit einem Preis zu versehen, sodass die „Mechanismen des Marktes“ wirken können. Es fällt gar nicht auf, wie vermessen der Ansatz ist, dass ein einziger Preis die gesamte Klimakrise lösen soll. Denn dahinter steht die Annahme, dass sich die physikalischen Realitäten dem „Markt“ schon fügen werden. Technische Probleme und Grenzen werden ignoriert. Die Vermutung ist, dass der Preis alle relevanten Informationen enthält und alles steuern kann. Damit agieren die Volkswirte, als wären sie Gott. Gott soll die Welt erschaffen haben, und ein ähnliches Wunder wollen die Ökonomen nun auch vollbringen. Sie setzen einen Preis – und schon soll sehr bald die Klimaneutralität kommen. Ähnlich wahrscheinlich sind Engel.

Aber von vorn: Wenn wir bis 2045 klimaneu­tral sein wollen, muss es jetzt sehr schnell gehen. Der CO2-Preis müsste in extrem kurzer Zeit rasant steigen, damit 2045 niemand mehr auf die Idee kommt, Gas, Kohle oder Öl zu verbrennen. Ein derartiger Ausstieg aus den fossilen Energieträgern wäre problemlos, wenn genug Ökostrom zur Verfügung stehen würde, der relativ günstig hergestellt werden kann. Wenn jedoch grüne Energie fehlt, wird der Ausstieg brutal.

Die zentralen Fragen sind also technisch, nicht ökonomisch. Um nur einige aufzuzählen: Wie viel Ökoenergie kann man in Deutschland maximal erzeugen? Wie stark kann die Effizienz von Batterien oder Windrädern bis 2045 zunehmen? Was kann die Industrie an Rohstoffen und Energie einsparen? Wie aufwendig wäre der Import von Ökoenergie, die in der Sahara hergestellt wird?

Die Antworten auf diese technischen Fragen sind zum Teil alarmierend. Erst kürzlich hat eine Studie für das Wirtschafts- und Klimaministerium ermittelt, dass Ökoenergie aus der Sahara bis zu 40-mal so teuer wäre wie das fossile Öl, das heute in Saudi-Arabien gefördert wird. Ökoenergie bleibt also knapp, womit sich klar erkennen lässt: Klimaschutz bedeutet Verzicht, nicht grünes Wachstum.

Doch diese technischen Grenzen dürfen nicht wahr sein, und so setzt ein Wunderglaube ein, der von einer religiösen Heilserwartung nicht weit entfernt ist. Viele Ökonomen, Politiker und Wähler wollen unbedingt hoffen, dass Klimaschutz nichts kostet und irgendwie vom Himmel fällt. Im Himmel saß früher Gott, jetzt regiert dort der CO2-Preis. Und wie einst die Apostel sind an seiner Seite Kernfusion, Atomkraft und E-Fuels aufgereiht.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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