Zigarettenkultur in Bremen: Arm – aber mit Fluppe

In Bremen lässt man sich das Rauchen nicht verbieten. Grüne hatten deshalb sogar schon mal Lokalverbot in etlichen Kneipen.

Menschen istzen in einer Gastätte im Freien

Kneipen am Ostertor, das Ausgehviertel in Bremen Foto: Imago

Größter Vorteil des kleinsten Bundeslandes ist es, politisch vorangehen zu können. Das macht Bremen, zumal mit seiner eher alternativ geprägten Stadtgesellschaft, gern. Doch: Was zeigt nach vorne? Was ist emanzipatorisch?

Als sich die gesellschaftliche Linke während der Coronapandemie entzweite, fand Bremens linksparteiische Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard in der Praxis klare Antworten: Durch aufsuchende Impfmobile in den benachteiligten Quartieren wurde sie Impf-Avantgardistin.

Unklarer war die Bewertung der Gesundheitspolitik von links noch vor einigen Jahren. Ein Streit entbrannte 2012 um das Nichtraucherschutzgesetz. Dies drohte auszulaufen und die Grünen preschten vor: Abschaffung von Raucherkneipen, ausnahmslos und radikal. Das kam nicht gut an im Szene-Kiez, der in Bremen nur „das Viertel“ genannt wird. Ausgerechnet in dieser ihrer Bastion hatten die Grünen die Rechnung ohne die Wirte gemacht: In mehreren Bars waren sie plötzlich unerwünscht: „Ladenverbot für Fraktionsmitglieder von Bündnis 90/Die Grünen“.

Vom Bier-Boykott betroffen war die grüne Bundestagsabgeordnete Kirsten Kappert-Gonther, damals gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen Fraktion im Landesparlament. „Das Viertel ist für mich Teil meines Zuhauses. Wenn man dann auf einmal nicht erwünscht ist, fühlt sich das tatsächlich an wie ein Streit mit einer guten Freundin“, sagt sie.

Bremen stört nicht weiter – trotz seines schlechten Rufs. Eine Statistik, die Bremen als Schlusslicht ausweist, ist schnell gefunden. Irgendein Bildungsmonitor, ein Armutsranking, eine Kriminalitätsstatistik. Und auch noch das: Vier Jahre lang ist Bremen von einem rot-grün-roten Senat regiert worden. Die Aufregung um das bisschen Kommunismus im traditionell SPD-roten Bremen war schnell verklungen, als klar war, dass dieses in einem rein westdeutschen Bundesland einmalige Experiment ganz passabel funktioniert hat. Es taugt zum Hingucker.

So wie die ganze Stadt.

Zur Neuwahl der Bremer Bürgerschaft am 14. Mai schaut die taz daher in einem Dossier genau hin. Was macht das Lebensgefühl aus? Wieso ist Bremen die Raucherhauptstadt? Warum nochmal ist Bremerhaven wichtig? Und was macht Werder?

Alle Texte des Dossiers werden unter dem Link taz.de/bestofbremen gesammelt.

„Wir wollten Räume und Kontexte schaffen, wo alle hingehen können, ohne geschädigt zu werden“, sagt Kappert-Gonther. Die Grünen hätten Kneipengäste, Mitarbeitende, Menschen mit Vorerkrankung und Schwangere vor der Gefahr des Rauches zu schützen versucht. Junge Menschen fingen das Rauchen schließlich im Kontext ihres Umfelds an und Bremen habe eine lange Tradition der Tabakindustrie. Und: „In ärmeren Regionen ist der Nikotinkonsum grundsätzlich höher.“

Hohe Raucherquote

Zwar hat das Land mittlerweile die gleichen Regeln des Nichtraucherschutzes wie viele andere. Dennoch: Bremen bleibt für Raucher ein gallisches Dorf, das gegen die Errungenschaften der römischen Zivilisation rebelliert: Nur in Mecklenburg-Vorpommern ist die Raucherquote bei Einwohnenden über 15 Jahren im Ländervergleich höher und liegt dort laut letztem Mikrozensus von 2017 mit 27,7 Prozent knapp vor der Bremens mit 27,4. Beides ist über dem Bundesdurchschnitt von 22 Prozent RaucherInnen. Wobei der Trend überall abnimmt.

Bremen ist Raucherhauptstadt. Woran das liegen könnte? „Zu den größten Risikofaktoren für Abhängigkeiten zählt der soziale Status“, erklärt Kappert-Gonther. In der Tat führt Bremen unter den Ländern mit aktuell 10,5 Prozent die Arbeitslosenquoten an, die Armutsgefährdungsquote ist mit über 28 Prozent fast 10 Prozentpunkte höher als im Bund.

Kann man es einem verübeln, da gestresst mal eine zu smöken? Wenn ich Sorge habe, wie ich meine Familie ernähre und mit den nächsten Anforderungen vom Jobcenter umgehe, dann entstehen Ängste“, sagt Kappert-Gonther.

Es gehe darum, Verhältnisse zu schaffen, in denen es wahrscheinlicher werde, dass man sich gesundheitsfördernd verhält. So wie beim Kiffen. Kappert-Gonther hat auf Bundesebene die Cannabislegalisierung stark vorangebracht. „Ebenfalls aus Gründen des Gesundheitsschutzes“, sagt sie. Kann sie sich nun also wieder in Bremens Kneipen blicken lassen? „Zum Glück darf ich das schon lange wieder.“

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