Berliner Bücherverbrennung 1933: Grausame Karrieristen

Am 10. Mai jährt sich die Berliner Bücherverbrennung zum 90. Mal. Eine Ausstellung am Bebelplatz untersucht die tragende Rolle der Studierenden.

Dumm grinsende Männer halten Papier und Bücher in den Händen

Studenten bei der Berliner Bücherverbrennung Foto: BPK

BERLIN taz | Auf einem der Bilder ist eine Gruppe von Studenten zu sehen. Sie schauen aufgekratzt und forsch in die Kamera. Und sie halten stolz ein paar Broschüren und Papiere hoch. Würde man ihre Schaftmützen mit den Reichsadlern und die Papiere aus dem Foto retuschieren: Es könnten auch harmlose Studenten bei einer Party sein, wie sie noch heute an der Humboldt-Universität unterwegs sind.

In Wahrheit aber handelt es sich bei diesen Jungs um Berliner Studenten bei der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 auf dem Opernplatz, der heute Bebelplatz heißt. Zu sehen ist das Foto am 90. Jahrestag der Berliner Bücherverbrennung am 10. Mai, im Rahmen der Ausstellung „Wer weiter liest, wird erschossen …“ im Foyer der Alten Bibliothek am Bebelplatz, die heute die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität (HU) zu Berlin beheimatet und besser als Kommode bekannt ist.

Die Ausstellung, die unter anderem von der Historischen Kommission des StudentInnenparlaments der HU organisiert wurde, fokussiert nicht nur auf die Voraussetzungen, Wirkungen und Folgen der Berliner Bücherverbrennung, die zwar nur eine von bundesweit 93 Bücherverbrennungen war, dafür aber die symbolträchtigste und medienwirksamste.

Sie schneidet auch ein Thema an, das in diesem Zusammenhang eher weniger in den Fokus rückt.

Rund um den Bebelplatz Im Foyer der Juristischen Fakultät ist nur heute ab 19:30 Uhr die Ausstellung „Wer weiterliest, wird erschossen“ zu sehen. Dann ist sie wieder vom 16. Juni bis 15. Juli aufgebaut. Darüber hinaus findet dort auch eine Ausstellung zur nationalsozialistischen Verfolgung an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität statt. Draußen auf dem Bebelplatz findet am 10. Mai ab 11.30 Uhr eine Erinnerungslesun statt, unter anderem mit Claudia Roth und Klaus Lederer.

In der Staatsbibliothek Unter den Linden wird um 16 Uhr der Max-Hermann-Preis verliehen, um 19 Uhr gibt es eine Veranstaltung anlässlich des 90. Jahrestages der Zerstörung des Instituts für Sexualwissenschaft von Magnus Hirschfeld.

Im Literaturhaus in der Fasanenstraße lesen ab 19 Uhr 9 Künst­le­r*in­nen wie Paula Beer, Behzad Karim Khani und Shelly Kupferberg Texte von Erich Kästner bis Kurt Tucholsky und erinnern damit an die Schriftsteller*innen, deren Werke am 10. Mai 1933 verbrannt wurden. (sm)

Goebbels schubste nur an

Wer an die Bücherverbrennung denke, dem würden sofort Bilder von Joseph Goebbels einfallen, der auf dem Opernplatz gesprochen hat, berichten der Wirtschaftshistoriker Bern Schilfert und der Literaturhistoriker Jacob Panzner vom Kooperationspartner, der Historischen Kommission Zeitpfeil, einem Netzwerk für politische Bildung an der HU.

Sie sitzen in einem Raum der Kommode, der während der Ausstellung als begehbare Bücherbox fungiert. Hier können in Zusammenarbeit mit dem Berliner Büchertisch und der Initiative Bookcrossing Werke betroffener Au­to­r*in­nen weitergereicht werden.

Goebbels, so Schilfert, schubste den Eifer der Deutschen Studentenschaft höchstens an, so Schilfert. Dieser antisemitische Dachverband der Studentenschaften hatte parallel zum Aufstieg der NSDAP schon 1930 die Mehrheit in fast allen Studentenparlamenten errungen. Die Presse heizte die antiintellektuelle Stimmung an den Hochschulen weiter an.

Eine Art geistige SA

Es ist die tragende Rolle der Studierenden bei der Berliner Bücherverbrennung, die in der Ausstellung „Wer weiter liest, wird erschossen …“ eine der Hauptrollen spielt. Die Deutsche Studentenschaft verstand sich – „inspiriert vom Boykott jüdischer Geschäfte, Ärzte und Geschäftsleute“ – als eine Art geistige SA und organisierte mit großem Eifer und aufwendigem bürokratischem Formalismus die Kampagne unter dem Titel „Aktion wider den undeutschen Geist“.

Goebbels hatte bei alldem nicht einmal eine lenkende Hand im Spiel: Die Studierenden organisierten völlig selbstständig die Sammelaktionen der circa 25.000 Bücher, die Akquise von Sympathisanten sogar noch angesehener Germanistikprofessoren bis hin zum Fackelzug vom Hegelplatz hinter der Universität über die Oranienburger Straße und den Reichstag bis zum Opernplatz.

Diese Studierenden, so Schilfert, waren Kinder aus großbürgerlichem, aber auch aus kleinbürgerlichem bis prekärem Milieu, die Stipendien erhielten und angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit auf einen sozialen Aufstieg hofften. „Das waren knallharte Karrieristen, die zackig organisieren konnten. Und sie hatten viel Konkurrenz, jeder musste sich ein Opfer suchen, über das er laut brüllen und effektiv schreiben konnte.“

Manche sind bis heute vergessen

Auch über die Studierenden als zu wenig beachtete Akteure der Bücherverbrennung hinaus bietet die Ausstellung „Wer weiter liest, wird erschossen …“ Einblicke, die bis heute selten in den Geschichtsbüchern zu finden sind. So geht es beispielsweise nicht nur um die großen Au­to­r*in­nen von Walter Benjamin bis Stefan Zweig, deren Bücher verbrannt wurden, sondern auch um jene, die keinen Fuß mehr auf den Boden bekamen.

Hier untersucht die Ausstellungen vor allem die Ursachen: Autoren wie Magnus Hirschfeld oder Wilhelm Reich waren im biederen Nachkriegsdeutschland einfach zu fortschrittlich, berichtet Jacob Panzner. „Auch Au­to­r*in­nen mit kommunistischen oder anarchistischen Positionen wurden noch sehr, sehr lang mehr als argwöhnisch beäugt.“ Andere wurden dank Kaltem Krieg in der BRD nicht rezipiert, weil sie in die DDR gegangen waren – oder umgekehrt.

Zu diesem Thema gibt es in der Ausstellung eine interessante Tafel mit der Überschrift Memorizid, einem Begriff des italienischen Autors und Holocaust-Überlebenden Primo Levi. Hier ist zu erfahren, wie effektiv die Politik der Nazis war, Erinnerungen aus dem kollektiven Gedächtnis zu löschen. Sie strichen „jüdische Dok­to­ran­d*in­nen aus den Promotionsverzeichnissen“, erklärten „unliebsame Au­to­r*in­nen für nicht zitierfähig“.

Entrechtet, eingesperrt, ermordet

Sie änderten die Namen von Straßen und Plätzen, verbrannten Torarollen, vernichteten jüdische Grabsteine. Aus den bei der Bücherverbrennung betroffenen 94 Au­to­r*in­nen wurden später 149.

Sie wurden mit Berufs- und Publikationsverboten mundtot gemacht, sie verschwanden aus den Bibliotheken und dem Literaturunterricht, wurden ins Exil getrieben oder entrechtet, eingesperrt, ermordet oder in den Suizid getrieben.

Viele von ihnen wie die deutschsprachige ungarische, proletarisch-revolutionäre Journalistin und Schriftstellerin Maria Leitner oder der pazifistische Schriftsteller Alexander Moritz Frey gerieten in Vergessenheit – von beiden ist in der Ausstellung leider nichts zu lesen.

Dafür aber vom Berliner Rechtswissenschaftler Max Apt, der nach 1945 um eine Entschädigung für die Entwertung seines Lebenswerks durch Aussonderung und Vernichtung seiner Schriften kämpfte. „Das letztinstanzliche Gericht verwirft seine Ansprüche mit der Begründung: Ruhm ist kein Vermögen“, heißt es im Ausstellungstext.

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