Musikmesse Jazzhead in Bremen: Raus aus dem verqualmten Keller

Die Bremer Musikmesse „Jazzahead“ ist ein Marktplatz für Musiker, Labels, Journalisten und Instrumentenmacher. Das Publikum wird immer jünger.

Messestand mit Publikum

Fachgespräch am Messestand: die Jazzahead! in Bremen Foto: Jörg Sarbach/M3B GmbH

Der Plauderpegel oszilliert auf hohem Dezibel-Niveau, aber Musik tönt aus keinem Lautsprecher. Weiter weg zu sein vom Jazzatmosphäre-Klischee eines düster verrauchten, versifften und verschwitzten Kellerclubs voller alter weißer Männer – das ist kaum möglich. Fast zwölf Meter reckt sich der Raum auf 5.000 Quadratmetern dem Himmel entgegen, charmefrei und roh. Glasfassaden locken Frühlingssonne ins Bremer Messezentrum zur 17. Jazzahead. Geraucht wird vor der Tür, fürs Versiffen sorgen lediglich tonnenweise verstreute Werbematerialien.

Das hin und her hetzende Publikum wird jährlich jünger und spiegelt die Tatsache, dass Jazz längst keine Männermucke mehr ist. Perfekt deodoriert gibt sich die aus Amerika, Australien und natürlich Europa angereiste Jazzfamilie, eingepfercht in mal winzigen Messekabuffs oder hofierend in offener und kühl designter Ausstellungsarchitektur.

Aus dem Rahmen fallen als Dauercamper mit Wohnwagen und Kleingartenecke das Musik­land Niedersachsen und Berthold Records, die sich Omas Wohnzimmermobiliar geborgt haben.

Den Ton macht die Business-Etikette der immer gleichen PR-Freundlichkeit. Alle stellen dar, gut drauf zu sein und mit hoffnungsvollem Optimismus in die Zukunft zu schauen. Auf der Jazz­ahead wirbt je­der um Verbündete fürs Geschäft – es ist ein Markt für Jazz vermittelnde, ermöglichende und praktizierende Menschen: 1.500 Standbe­su­che­r treffen auf die 1.300 Standbetreibende.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Die Ukraine findet Aufmerksamkeit für „Jazzmen in war“, die ihre Instrumente gegen Waffen getauscht haben. Flötenbauer und Tourbus-Vermieter suchen Kunden, TV-Sender Interviewpartner, Jazzmedien nach Themen und Lesern, die Cologne Jazz Week nach Leuten, die Kölsch mögen.

Das Geschäft mit der Aufmerksamkeit

Um finanzkräftige Kooperationspartner buhlt eine Jazzday-Initiative, Musiker umwerben Labelmanager, Künstleragenturen, Vertriebsprofis, Journalisten sowie Booker von Clubs und Festivals. Und Musikbeauftragte der Länder erkunden Exportchancen ihrer Künstler. Die Messe brummt. „Work & Meet“ ist hier ein und dasselbe. Wer mit seinem Anliegen vorspricht, kann mit Knabbergebäck, Schulterklopfgesprächen und dem Ausschank edler Alkoholika rechnen. Aber Plattenverträge und Auftritte? Schwierig. Also erstmal Netzwerke knüpfen.

Eine besondere Spezies sind Messis, die sich Hals über Kopf ins Getümmel stürzen und ein Maximum an Infos sammeln. Dabei konkurrieren sie mit den Überstrukturierten, die nicht rechts und links schauen, nur einen vorab ausbaldowerten Plan mit Meetings und Gesprächen absolvieren. Hinzu gesellen sich die Mal-gucken-was-geht-Besucher, spontan offen für jede Begegnung. Und auch die Abgreifer sind noch nicht ausgestorben, sie lassen alles in Taschen verschwinden, was nicht festgetackert ist.

Zwischen Bier und Käse

Als die Beauftragten für luxemburgischen Jazz anfangen, vorzüglichen Weißwein auszuschenken, wächst die Gruppe der Interessierten rasant, schwappt aber nach einem Glas schnell herüber zum Nachbarstand, denn dort geht belgisches Bier über den Tresen. Fast ebenso beliebt, wenn die Franzosen folkloristisch korrekt Käseplatten mit Rotwein kredenzen.

Wer nach weiteren Erlebniswerten strebt, geht eine Halle weiter, dort ist die Jazzahead ein Showcase-Festival. Wo sonst 7.000 Besucher ihren Stars zujubeln können, sind mit schwarzem Tuch zwei Säle für 600 Sitzplätze abgehängt und illusionieren durch mit Troddeln verzierten Scheinwerfer eine Spur Gemütlichkeit. Die Konzerte starten fast immer wie ausgedruckt und enden aller leidenschaftlichen Improvisation zum Trotz pünktlich nach 30 Minuten.

700 Nachwuchsbands haben sich um einen Gig beworben, 36 dürfen dem akkreditierten Fachpublikum vorspielen, ergänzt um 300 Jazzfans mit schlichten Konzerttickets. Das Publikum ist sensibel für frische Ideen und lässt sich dafür aus einer satten Trägheit immer mal wieder zu entdeckungsfreudiger Begeisterung hinreißen.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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