Der Gott der kleinen Tasten

AFRO-JAZZ Der Pianist Roberto Fonseca spielte beim Buena Vista Social Club. Auf „Yo“ sucht er nach den Ursprüngen der kubanischen Musik – in Afrika

Fonseca offenbart seine Glaubenswelt – und seine geheime Liebe zur Hammondorgel

VON STEFAN FRANZEN

Als der Posten des Pianisten beim Buena Vista Social Club nach dem Tod von Rubén Gonzalez vakant wurde, rückte er nach. Heute, mit 36 Jahren, hat Roberto Fonseca nahezu alles erreicht, was man erreichen kann: Den Abschluss im Klavierfach hatte er schon als Teenager in der Tasche, wenige Jahre später spielte er in der wegweisenden Formation Temperamento. Er schwang sich zum Filmmusiker auf, agierte als HipHop-Produzent, jobbte als Mannequin. Rund 400 Konzerte spielte er mit den verbliebenen Legenden vom Buena Vista Social Club, daneben startete er seine Solokarriere. Drei Alben hat er während der letzten fünf Jahre veröffentlicht, mit denen er den kubanischen Jazz auf eine neue Stufe der Verfeinerung hob. Fonseca, so zeigt jeder Takt seines Spiels, hat die Idiome des US-Jazz aufgesogen und mit dem traditionellen Erbe von Son bis Salsa angereichert.

Auf seiner neuen Scheibe könnte nun das Prädikat „Afro“ prangen, denn es ist eine Hinwendung zu den Ursprüngen der kubanischen Musik. „Yo“ ist eine persönliche, ja intime Angelegenheit, wie schon das Cover zeigt: Fonseca ist darauf nackt zu sehen, die Hände öffnen sich nach oben. „Das ist eine spirituelle Köperhaltung“, erklärt er. „Durch diese Spiritualität will ich meine ganze Lebensweise, meine Wurzeln mit den Hörern teilen, auch meinen Zugang zur Musik mit all ihren Facetten.“

Mit seinem neuem Repertoire löst sich der kubanische Tastenmeister von der Sphäre des Latinjazz. Da stürmt gleich zu Beginn mit dem retroverliebten „80’s“ eine karnevaleske Party los. Der Poet Mike Ladd trägt zu einem Drum-’n’-Bass-Gefüge ein Gedicht an eine afrikanische Gottheit vor, und die malische Sängerin Fatoumata Diawara brilliert mit ihren pentatonischen Gesängen über dem Piano. Das Eintauchen in die Musiksprachen Westafrikas geht so weit, dass auch die Stegharfe Kora und die Spießlaute N’Goni in den Händen von Baba Sissoko zu hören sind – Instrumente der Griots, der Geschichtenerzähler und -bewahrer des westafrikanischen Mande-Reichs im heutigen Mali.

„Ich habe mich immer für die Kulturen in Mali, Senegal, Guinea und Kamerun interessiert. Deshalb war es immer mein Wunsch, mit Musikern aus diesen Ländern zusammen zu spielen“, erklärt Fonseca. Auch in der religiösen Ausrichtung seines Werks, in dem immer wieder die Gottheiten der Santería angerufen werden, zeigt sich der Bezug zur Yoruba-Kultur, deren Stammländer in Nigeria und Benin liegen – auf der anderen Seite des Atlantiks wurden die afrikanischen Kulte von den Nachfahren der Sklaven in Kuba und anderswo weiter geführt.

Fonseca hat es von seiner Großmutter mit auf den Weg bekommen, diese Gottheiten zu verehren. Eines der eindrücklichsten Stücke auf der neuen Platte hat er seinem persönlichen Gott gewidmet. „Ich bin ein Sohn von Siete Rayos – so nennt man den Yoruba-Gott Xangó in der Region, aus der ich komme“, erläutert Gonzales. „In der katholischen Kirche wird ihm die heilige Barbara zugeordnet. Aber auch im hinduistischen Glauben gibt es eine Entsprechung: Dort ist es Shiva“, legt Fonseca seine Glaubenswelt dar.

Seine universelle Einstellung spinnt er auf „Yo“ mit einer konsequent panafrikanischen Philosophie weiter. Auch in arabische Gefilde streckt Fonseca seine Fühler aus, mit dem Rai-Sänger Faudel hat er sich einen algerischen Partner an Bord geholt. Außerdem adaptiert er die Rhythmen der Sufi-Bruderschaften aus Marokko, der Gnawa. „Es gibt eine Gemeinsamkeit zwischen den Rhythmen ihrer Rituale und der Folklore Kubas“, behauptet er.

Auf „Yo“ beschränkt sich Fonseca auch nicht mehr ausschließlich auf den Flügel. Mit Hammondorgel, Fender Rhodes und Moog greift er wirkungsvoll auf ein ganzes Keyboard-Arsenal zurück – und offenbart eine bisher geheime Vorliebe: „Ich benutze die Hammond seit Jahren und bin durch viele Funkklassiker dazu angeregt worden. Aber es ist das erste Mal, dass ich sie jetzt auf einer Platte verwende. Ich liebe es, als Alternative zum akustischen Klang des Flügels hier mal richtig mit Effekten spielen zu dürfen.“

Bei so viel Funkyness überrascht es nicht, dass Fonseca für einige Stücke mit dem Groovemeister Gilles Peterson zusammenkam, dem er einen „unglaublichen Geschmack für Musik“ attestiert. So baut Fonseca, bei aller Afro-Spiritualität, eine Brücke zur Retro- und Clubgemeinde: Zwei Remixes seiner Songs gibt es für sie als Zugabe. „Yo“ ist das eindrucksvolle Statement eines Musikers, der um seine Ausnahmestellung weiß.

■ Roberto Fonseca: Yo! (Jazz Villa)