Strafunmündigkeit von unter 14-Jährigen: Der Schutzraum muss bleiben

Die Idee, die Strafmündigkeit von Kindern individuell zu bestimmen, ist perfide. Ethisch vertretbarer wäre ein Smartphone-Verbot für Kinder unter 14.

Person im Dunkeln guckt auf ein hell leuchtendes Smartphone

Heute bestimmen Smartphones die Welt der Heranwachsenden – früher reif sind sie deshalb nicht Foto: Weronika Peneshko/dpa

HAMBURG taz | Es läuft gerade mal wieder eine Kampagne für die Absenkung der Strafmündigkeit: Nach dem früheren Uni-Hamburg-Präsidenten Dieter Lenzen regte auch Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) an, die Strafmündigkeit zu individualisieren. „Vielleicht müssen wir dazu kommen, dass zwar die grundsätzliche Strafunmündigkeit bei unter 14-Jährigen weiter gilt, wir aber in Einzelfällen, wenn die entsprechende Reife vorhanden war, auch Ausnahmen machen können“, sagte sie dem Hamburger Abendblatt.

Auf Antrag der FDP im Kieler Landtag soll Prien am Donnerstag im Bildungsausschuss sagen, wie sie „beim Thema Strafmündigkeit konkret vorgehen“ wolle. Betitelt ist der Tagesordnungspunkt mit „Weitere Konsequenzen aus dem Fall Heide“. Damit ist ein Vorfall vom 21. Februar gemeint, bei dem eine 13-Jährige von Mitschülern gequält und dabei gefilmt wurde. Medial bekannt aber wurde die Tat erst vier Wochen später, kurz nachdem in Nordrhein-Westfalen Mädchen eine Schülerin getötet hatten. Beide Male waren die Täterinnen unter 14, zu jung für die Strafmündigkeit.

Seither hat das Thema Konjunktur. Selbst der NDR war sich nicht zu schade, die Bevölkerung via Infratest fragen zu lassen, was sie von der Senkung der Strafmündigkeit auf zwölf hält, die es übrigens zuletzt in der Nazizeit gab. Erschreckende zwei Drittel der Befragten finden das richtig.

Da kommt so ein abwägendes „vom Einzelfall abhängig machen“ à la Prien und Lenzen glatt milde daher. Ist es aber nicht. Denn das Wesen einer Schutzfrist ist, dass sie für alle Kinder gilt. De facto würde dieser Schonraum für Kindheit damit abgeschafft. Und es ist davon auszugehen, dass es die eh Schwachen trifft, weil Kinder reicher Eltern sich im Zweifel teure Anwälte und Gutachten leisten.

Die Fachwelt lehnt eine frühere Strafmündigkeit ab

Überhaupt ist die Frage, wer die von Prien lancierte „entsprechende Reife“ hat? Dass junge Menschen generell heute reifer sind als früher, ist unbelegt. Das führt zum Beispiel der Deutsche Anwaltsverein in einer Stellungnahme aus. Wie sollte das auch gehen? Kinder haben heute nur früher mehr Zugang zu Medien und Informationen. Sie können Filmchen machen und durch die Gegend senden. Aber sollen sie für die technische Entwicklung büßen? Haben sie deshalb plötzlich eine schnellere Gehirnentwicklung, die es ermöglicht, die Folgen ihres Handelns wirklich abzuschätzen?

Ethisch vertretbarer als ein Senken der Strafmündigkeit wäre – wenn schon – ein Smartphone-Verbot für alle Kinder unter 14. Das simple Telefon-Handy könnte es ja weiter geben. So ein Verbot schafft zwar neue Probleme, aber nicht so schlimme wie Gefängnis für Kinder.

Ohnehin wurde den Kindern in der Pandemie sehr viel zugemutet. Die jetzige Phase danach eignet sich nicht für verschärfte Repression. Nötig sind gute Betreuungsschlüssel. Erwachsene, die ein offenes Ohr für die Sorgen des Nachwuchses haben, eine Schule, die Kinder ermutigt und nicht beschämt.

Dass es fiese Taten von Kindern gibt, lässt sich in einem Land mit 83 Millionen Einwohnern nicht zu 100 Prozent verhindern. Die langfristige Statistik zeigt jedoch, dass die Anzahl der tatverdächtigen jungen Menschen zurückging, darauf verweist zum Beispiel der Kriminologe Andre Schulz von der Hamburger Nothern Business School. Die Annahme, dass die Zahl delinquenter Kinder ständig steige und dass sie immer früher immer brutaler würden, sei „falsch“ und Folge unseriöser Medienberichte.

Für Schulz ist die Senkung der Strafmündigkeit eine „Phantomdebatte“. Die Fachwelt diskutiere dies nicht, denn es würde nicht zu weniger Kriminalität führen, schon gar nicht bei der Jugend. Die Dunkelfeldforschung, so Schulz, zeige, dass 90 Prozent der Menschen in Kindheit und Jugend mal wegen Bagatelldelikten auffällig wurden. Das hatte aber nicht zur Folge, mit der Polizei in Berührung zu kommen.

Mal angenommen, das letztere ändert sich. Es gäbe volle Gefängnisse.

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Jahrgang 1964, seit 1992 Redakteurin der taz am Standort Hamburg für Bildung und Soziales. Schwerpunkte Schulpolitik, Jugendhilfe, Familienpolitik und Alltagsthemen.

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