Lebensmittelindustrie über Werbeverbote: „Das wird kein Kind dünner machen“

Industrielobbyist Christoph Minhoff lehnt von Agrarminister Özdemir geplante Werbeverbote für ungesundes Essen ab. Er schlägt einen Kompromiss vor

Ein Schokoladenosterhase ohne Ohren in KInderhänden

Wenn Kinder zu oft besonders süße, fettige oder salzige Lebensmittel in die Hände kriegen, ist nicht nur die Werbung schuld, sagt Christoph Minhoff Foto: Keijo Kurkinen/plainpicture

taz: Herr Minhoff, Sie suggerieren in einer Anzeigenkampagne, Ernährungsminister Cem Özdemir wolle zahlreiche Lebensmittel verbieten. Dabei will er nur die Werbung für ungesündere Nahrungsmittel einschränken. Betreibt die Lobby der deutschen Ernährungsindustrie Desinformation?

Christoph Minhoff: Wir haben es richtig dargestellt: Es geht um Werbeverbote, und das steht da auch.

Die Anzeige trug den in Großbuchstaben geschriebenen Titel: „CEM ÖZDEMIRS VERBOTSKATALOG“. Darunter standen mit einem roten Kreuz durchgestrichene Lebensmittel. Wer nicht den kleiner gedruckten Text der Anzeige liest, der wird zu dem Schluss kommen, dass Özdemir zum Beispiel Schokolade, Salzstangen oder Käse verbieten will, und eben nicht nur Werbung für diese Produkte, beispielsweise zwischen 6 und 23 im Fernsehen. Ist es nicht doch irreführend, was Sie da publiziert haben?

Wenn ich mir die Kommentare in den verschiedenen Social Media dazu durchlese, kann man nicht davon sprechen, dass da irgendeiner etwas falsch verstanden hätte, sondern die Leute haben sehr genau verstanden, worum es geht. Die taz lebt seit 40 Jahren, seitdem ich sie abonniere, von ihren Überschriften. Da finde ich es spannend, dass ausgerechnet Sie die Sorge haben, die Leute würden nur die Überschriften lesen und danach nicht den Text. Anders als manche in der Politik halte ich die Leute für vernunftbegabt und glaube, dass sie in der Lage sind, fünf Zeilen zu lesen. Deshalb plädieren wir auch dafür, die Leute als mündige Bürger zu verstehen.

63, ist Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE). Sie ist der wichtigste Lobbyverband der Nahrungsmittelhersteller.

Eine gute Überschrift muss zuspitzen, aber dennoch korrekt sein. Aber lassen wir das mal so stehen. Sie sagen, die Folge der Werbeverbote seien entmündigte Bürger. Warum ist ein Bürger entmündigt, wenn er bestimmte Werbung nur noch selten sehen kann?

Es geht im Kern um die Frage, ob in einem marktwirtschaftlichen System für legale Produkte geworben werden darf oder nicht, denn nur anhand dieser Möglichkeit kann ich mich überhaupt am Markt differenzieren. Und nur so können die Verbraucher das Angebot dann auch tatsächlich vergleichen und eine Entscheidung treffen.

Der Sinn eines Werbeverbots ist doch genau, eine solche Entscheidung gar nicht zu ermöglichen, sondern manche Produkte von vornherein auszuschließen. Dann ist die Frage, ob man dem Bürger zutraut, dass er mit Werbung umgehen kann. Wir glauben, dass der Bürger das sehr wohl kann.

Supermärkte dürfen immer noch alles anbieten. Insofern kann man nicht davon sprechen, dass hier die Wahl eingeschränkt wird. Es soll ja nur Werbung eingeschränkt werden.

Mit einem Produkt, das Sie nicht bewerben dürfen, können Sie kaum am Markt erfolgreich sein. Wenn Sie ihr Produkt nicht mehr darstellen dürfen, dann werden am Ende die Produkte gewinnen, die bereits bekannt sind. Startups zum Beispiel werden es schwer haben. Werbeverbote werden sehr wohl auch eine Auswirkung auf das haben, was am Ende im Regal liegt. Man tut Herrn Özdemir oder vor allem denjenigen in seinem Ministerium, die sich dieses ausgedacht haben, nicht unrecht, wenn man sagt: Die wünschen sich eine andere Form der Ernährung. Die soll erreicht werden über Werbeverbote.

Die Lebensmittelproduzenten mit den höchsten Werbebudgets sind Ferrero, Dr. Oetker und Unilever. Gegen solche Konzerne hat ein kleines Startup auf dem Werbemarkt auch jetzt keine Chance, oder?

Das kommt drauf an. Es gibt ja Startups, die ihre Produkte dann weiterverkauft haben an große Unternehmen, und diese Produkte sind dann sehr erfolgreich oder eben auch nicht. Aber ja, ein Startup kann sein Budget nicht mit dem Werbeetat von großen Süßwarenherstellern zum Beispiel vergleichen.

Sie haben kritisiert, Özdemir wolle eine andere Ernährung. Aber brauchen wir nicht genau die, wenn Kinder und Jugendliche etwa doppelt so viele Süßwaren und Snacks verzehren wie empfohlen? Und die meisten Menschen übergewichtig sind?

Sie werden heute keinen ernsthaften Wissenschaftler finden, der bestreitet, dass Übergewicht multikausal bedingt ist – von genetischen Vorherbestimmungen, vom sozialen Umfeld, von Bewegung und, und, und. Man muss sich alles angucken. Aber das mit einem solchen radikalen Schritt zu beantworten, halten wir für Symbolpolitik. Das wird kein Kind dünner machen.

Diese Experten, die Sie jetzt zitiert haben, sagen ja auch: Ein Faktor ist die Ernährung, also zu viel Energiezufuhr durch Lebensmittel. Und was spricht dagegen, bei diesem Punkt anzusetzen?

Die Unternehmen machen unendlich viel. Sie haben Zucker und Salz in vielen Lebensmitteln reduziert. Wir verändern in Zusammenarbeit zum Beispiel mit dem Ernährungsministerium Rezepturen. Wir sind mit der Reduktions- und Innovationsstrategie eine Verpflichtung eingegangen, die laut dem bundeseigenen Max-Rubner-Institut für Ernährungsforschung auch eingehalten wird.

Laut einer Foodwatch-Studie enthalten die meisten der an Kinder vermarkteten Lebensmittel mehr Zucker, Fett und Salz als von der Weltgesundheitsorganisation im Zusammenhang mit Werbeverboten für diese Altersgruppe empfohlen. Reicht die freiwillige Reduktionsstrategie also nicht?

Das kann man pauschal nicht sagen. Es gibt überhaupt keine Einigkeit darüber, was zu viel ist. Wir haben aber auch immer wieder festgestellt: Sie können beispielsweise bei Frühstückscerealien Zucker nur bis zu einem bestimmten Punkt reduzieren, sonst liegt ihr Produkt wie Blei im Regal. Dann können wir es einfach nicht mehr genießen oder essen. Und dann wird es ausgelistet. Ihnen helfen Unternehmen ja nicht, die Produkte herstellen, die keiner kauft.

Wenn die Werbung Kindern immer wieder besonders süße Früchstückscerealien anpreist, werden sie sie wahrscheinlich häufiger essen. Die Kinder werden so konditioniert, dass sie immer diesen Zuckergehalt haben wollen. Ist die Lebensmittelindustrie auch selber verantwortlich dafür, dass diese stark zuckerreduzierten Produkte nicht mehr verkauft werden?

Im EU-Pledge haben die führenden Lebensmittelhersteller zugesagt, bei unter 13-Jährigen nicht mehr für Produkte zu werben, die mehr gesättigte Fettsäuren, Zucker, Salz oder Kalorien enthalten als von den Unternehmen gemeinsam festgelegt. Er ist ist nicht so weitgehend wie die von Özdemir vorgeschlagenen Einschränkungen. Zum einen verbietet er Werbung nur, wenn mindestens 30 Prozent des Publikums Kinder sind. Zum anderen erfasst er weit weniger Lebensmittel als die Pläne des Grünen-Politikers.

Özdemirs Gesetzentwurf sieht vor, dass Werbung für Lebensmittel mit zu viel Salz, Zucker oder Fett von 6 bis 23 Uhr weder im Fernsehen noch im Hörfunk laufen darf. Auch bei Kinderformaten im Internet oder in der Presse sowie auf Werbetafeln etwa in der Nähe von Schulen soll sie verboten sein. Überall und immer untersagt werden soll Werbung für solche Lebensmittel, wenn sie zum Beispiel mit Kindermotiven arbeitet. Das gilt auch fürs Sponsoring etwa von Fußballspielen. Da die meisten Grenzwerte für Lebensmittel unterhalb von denen der Weltgesundheitsorganisation WHO liegen müssten, würden die Werbeverbote beispielsweise für Gummibärchen oder Überraschungseier sowie alle anderen Süßigkeiten gelten.

Fehlernährung trägt dazu bei, dass laut Robert-Koch-Institut 15 Prozent der 3- bis 17-Jährigen übergewichtig und damit später anfällig für Krankheiten wie Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes oder Herzinfarkt sind. (Jost Maurin)

Jeder, der glaubt, er könnte die angeborene Süßpräferenz von Menschen auslöschen, der hat entweder keine Kinder oder ist besonders ambitioniert in seinen Überlegungen. Das ist ein Ammenmärchen, dass die Kinder erst durch die permanente Zufuhr von Zucker eine Vorliebe für Süßes entwickeln.

Es ist doch aber unstrittig, dass auch Umweltfaktoren den Geschmack beeinflussen. In den USA scheint es üblich zu sein, mehr Zucker zu konsumieren als bei uns. Obwohl das genauso Menschen sind wie wir. Also spielen Umweltfaktoren sehr wohl eine große Rolle, oder?

Ja, in den USA werden nach wie vor Lebensmittel überzuckert – mit den entsprechenden Ergebnissen. Aber Gott sei dank sind wir ja nicht in den USA, sondern in Deutschland. Und da sind die Adipositaszahlen von Kindern nicht annähernd so wie in den Ländern, die zu sehr radikalen Maßnahmen gegriffen haben, übrigens ohne jeden Erfolg. Wir wissen, dass die soziale Frage eine wichtige Frage ist in dem Kontext. Oder anderes Beispiel: Auch Kinder und Jugendliche mit ein- sowie beidseitigem Migrationshintergrund sind signifikant häufiger von Übergewicht betroffen als Kinder und Jugendliche ohne Migrationshintergrund. Man müsste herausfinden, welche Besonderheiten in welchen Gruppen da sind, um zielgenaue Angebote zu machen.

Es gibt halt Studien, die zeigen, dass Kinder, die Werbung für solche Lebensmittel sehen, mehr Kalorien zu sich nehmen. Sind nicht gerade Kreise mit niedrigem Bildungsstandard besonders anfällig für Manipulation durch Werbung?

Deshalb sage ich ja: Wir brauchen eine smarte Politik, die sich zielgerichtet an die tatsächlich Betroffenen richtet. Und dafür brauchen wir mehr Information: Wo wird geworben, für wen oder was und in welcher Form.

RTL etwa erreicht wahrscheinlich solche Kreise, und da laufen auch solche Werbespots. Warum also nicht da ansetzen?

Man kann über alles reden. Es gibt Selbstverpflichtungen der Werbewirtschaft und der Industrie. Im EU-Pledge haben die führenden Lebensmittelhersteller zugesagt, bei unter 13-Jährigen nicht mehr für Produkte zu werben, die mehr gesättigte Fettsäuren, Zucker, Salz oder Kalorien enthalten als von den Unternehmen gemeinsam festgelegt. Man muss halt gucken: Sind diese Selbstverpflichtungen noch passgenau, und wenn nicht, wie macht man sie passgenau? Darüber kann man diskutieren.

Welche Lösung könnten Sie sich vorstellen?

Wenn Sie eine freiwillige Erklärung in eine Gesetzesform bringen, und diese Regeln von staatlicher Seite überprüfen lassen, dann haben Sie ein anderes Spiel. Aber es gibt hier von Seiten der Branche insgesamt noch keine gemeinsame Position. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, weil manche unserer Branchen überhaupt nicht und andere besonders stark betroffen sind.

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